Fröliche Betrachtung der Gewißheit des zukünftigen ewigen Freüden-Lebens

[248] Dises kan man auch singen auf die Melodei des Lides: Der Tag hat sich geneiget.


1.

Wie magst Du Dich so kränken,

Mein Seelichen, sag' an,

Wen wilt Du das bedenken,

Was Dich erfreüen kan?

Gott wird nach disem Leben,

Wo nichts alß Angst und Pein,

Dir viel ein bessers geben,

Wo lauter Lust wird sein.


2.

Magst Du noch Zweifel tragen

An solcher Herligkeit,

In welcher wir erjagen,

Waß Leib und Seel' erfreüt?

Gott hat ja selbst verheissen,

Daß solch ein Leben sol

Auß aller Angst uns reissen

Und thun uns ewig wol.


3.

Nun, Gott, der kan nicht liegen,

Es weiß Sein treües Hertz

Von keinem Leüt betriegen,

Sein Wohrt ist Ihm kein Schertz:

Waß Er Dir hat versprochen,

Das folget mit der That;

Es wird nicht unter brochen,

Waß Er beschlossen hat.


4.

Waß man alhier auf Erden

Im Glauben guhtes thut,

Sol ja vergolten werden;

Nun aber wird das Guht'

Hier selten angesehen

Mit einem GnadenLohn:

So muß es ja geschehen

Für Gottes FreüdenThron.


5.

Es sitzen hier die Frommen

In Trübsahl und Gefahr,

Den Armen wird genommen,

Was ihnen nöhtig war:

Ei wol, so muß ein Leben

Nach disem sein bereit,

Da Gott wird wieder geben,

Was uns geraubt die Zeit.


6.

Ein Frommer muß sich neigen

In diser argen Welt,

Gerechtigkeit muß schweigen,

Die Warheit wird beschnellt,

Man darf so leicht vernichten

Kunst, Tugend, Zucht und Ehr':

Ei solte Gott nicht richten

Dis alles und noch mehr?
[248]

7.

Er wil ja heftig straffen

Die frechen Sünden Knecht',

Hier aber läst Er schlaffen

Oft sein Gericht und Recht:

So folgt ohn allen Zweifel,

Daß solcher Spötter Lohn

Wird ewig sein beim Teüfel

Mit Marter, Angst und Hohn.


8.

Es ist der Mensch erschaffen

Von Gott zur Seligkeit;

Den hat des Satans Klaffen

In einer kurtzen Zeit

Vom Himmel abgeführet:

Das kan nun nicht bestehn;

Gott wird sein Hertz gerühret,

Er wil uns selig sehn.


9.

Wie solte Gott uns machen

Zu seinem Ebenbild'

Und lassen uns im Rachen

Des Todes? – Nein, so wild

Und hart wil Er nicht handlen;

Den weil Er ewig lebt,

Sol der auch ewig wandlen,

Der stets an Ihm geklebt.


10.

Ward nicht hinweg gerükket

Der Henoch, ward Er nicht

In Gottes Reich verzükket

Uns andren zum Bericht',

Es werd' auch endlich kommen

Der liebe Tag heran,

Daß wir hinweg genommen

Sehn disen Gottes Mann?


11.

Waß dörfte Christus leiden,

Waß hett' auß diser Welt

So schmertzlich müssen scheiden

Der theüre Wunder Held,

Wen wir nun solten leben

In diser Zeit? Ach nein!

Er ist drumb hingegeben,

Wir solten Ewig sein.


12.

Noch besser zu verstehen,

Was uns bereitet ist,

Lasst uns auf Tabor gehen,

Woselbst sich Jesus Christ

Mit grossem Pracht verklähret,

Ja gläntzet wie die Sonn',

Und Petrus der begehret

Zu weichen nie davon.


13.

Der HERR stund zwischen Beiden,

Auch war Elias da,

Und Moses kahm mit Freüden

Den dreien Jüngern nah',

Auch Gott rief selbst von Oben:

Ei solten wir den nicht

Auch werden aufgehoben

Wie Sie zum HimmelsLicht?


14.

Ich habe Lust zuscheiden,

Spricht Paulus, aus der Welt.

Daß nun den Tod zu leiden

So hertzlich Ihm gefält,

Das macht: Er ist gewesen

An einem Ohrt, da wir

In Ewigkeit genesen

Und jauchtzen für und für.


15.

Wie magst Du dich nun kränken,

Mein Seelichen, sag' an?

Auf, auf, itz zu bedenken,

Waß Dich erfreüen kan.

Gott wird nach disem Leben,

Wo nichts als Noht und Pein,

Dir viel ein bessers geben,

Da wird kein Tod mehr sein.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 248-249.
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