Ueber das Evangelium am h. Christtage

[243] Luc. 2, 1.


Wie groß ist dieser Freudentag,

Daran man sich versamlen mag,

Zu loben unsern Gott allein,

Der itz sein Volk läßt frölich sein!

Wer ist, der dieses nicht bedenkt,

Daß Gott uns seinen Sohn geschenkt,

Uns, die wir saßen in Gefahr,

Verdamt zu bleiben immerdar?

Der Engel macht uns alle gleich

Durch seine Botschaft freudenreich,

Weil große Freud' in dieser Frist

Uns allen widerfahren ist.

Gott rufet jetzt in seinen Sal

Die Menschenkinder allzumal;

Denn er ist auch der Heiden Licht,

Kein Volk bleibt ausgeschlossen nicht.

Seid froh, ihr Herren und ihr Knecht',

Ihr werdet heilig und gerecht

Durch dieses Kindleins Lieb' und Fleiß,

Das gar von keiner Sünde weiß.

Ihr Reich' und Arm', euch sei bewust

Die wundersüße Weihnachtslust,

Empfanget itz mit frischem Mut

Eur Jesulein, das höchste Gut.

Dieß Freudenfest geht mich auch an,

So, daß ich kühnlich rühmen kan:

Geboren ist dieß Kindelein

Auch mir, wie könt' ich traurig sein?

Dieß Kindlein ist erzeuget zwar

Von Ewigkeit, jedoch gebar

Maria solches auch zur Zeit

Der neuen Römer-Obrigkeit.

Dieß ist das Kind, das mehr vermag

Als alles, auch noch alle Tag

Geboren wird an manchem Ort

In uns durchs Sacrament und Wort.[244]

Was jene Hirten dort gesehn,

Das kan noch täglich uns geschehn:

Das Kind wird auch geboren heut,

Im Fall man seiner sich erfreut.

Heut ist es zwar in seinem Reich'

Ein König, dem kein ander gleich,

Und dennoch bleibt sein treuer Sinn

So freundlich, als er war vorhin.

Er gibt uns heut' auch gar sein Herz;

Ja, wenn uns Trübsal, Angst und Schmerz

Betrüben oft bis in den Tod,

So hilft er uns aus aller Not.

Ei, laßt uns diesem Jesulein

Auch heute ganz ergeben sein,

Daß er uns wiedrum Gutes thu,

Ja, stets in unser Seelen ruh'.

O Freud' und Lust zu dieser Frist,

Darin der Heiland Jesus Christ,

Der hochverlangte Wunderheld,

Geboren ist ein Mensch zur Welt!

Ach Gott, wie groß war die Gefahr,

Als uns der Satan ganz und gar

Verstricket hielt in seinem Reich

Und plagt' uns grausam alle gleich!

Bald aber wie dieß Kind ankam

Und unser Not zu Herzen nahm,

Da wurden aus des Teufels Macht

Wir zu der Freiheit wieder bracht.

Frisch auf, ihr Sünder allzumal,

Da komt aus seinem Freudensal

Immanuel, das höchsie Gut,

Wird willig unser Fleisch und Blut.

O welch' ein' Ehr' und Herlichkeit,

Daß Gott vom Himmel in der Zeit

Geboren wird ein Kindelein,

Das gar wil unser Bruder sein!

Wie komt es, allerliebstes Kind,

Daß wir so hoch verehret sind[245]

Von dir mit solcher Gnad' und Huld?

Ach Herr, es ist der Liebe Schuld.

Ja, du mein treuer Mitgesell,

Du freundlicher Immanuel,

Nimst mich für deinen Bruder an;

Wer ist, der mir itz schaden kan?

Ja, Bruder, steh' uns kräftig bei,

Mach' uns von allen Sünden frei,

Gib uns dein süßes Himmelbrod,

Und stärk' uns in der letzten Not.

Du bist zugleich ein wahrer Gott,

Du mächtigster Herr Zebaoth,

Auch wahrer Mensch, ein Wundermann,

Der hier und dort uns segnen kan.

O Freude! Du weißst Rat und That,

Du König, Held und Advocat;

Du bist der Sohn ins Vaters Schoß

Sehr reich von Macht, von Ehren groß.

Drauf singen wir in dieser Stund'

Hallelujah mit vollem Mund';

Immanuel, wir preisen dich

Hier zeitlich und dort ewiglich.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 243-246.
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