Hofleben

[194] Jedermann weiß, daß die Blinden

Des bestirnten Himmels Licht,

Und was sonsten ist zu finden

In der Welt hie, schauen nicht;

Weil sie denn nichts können schauen,

Müssen sie nur Worten trauen.

Zwar ich wil es nicht verneinen,

Blinde die sind übel dran;

Noch viel ärger, die da meinen,

Selig sei derselbe Mann,

Der sich und sein ganzes Leben

Hab' an Höfelust ergeben.

Blind sind alle, die da sagen,

Daß bei Hof' ein Leben sei,

Das man führ' ohn' alles Klagen,

Da man, vor der Armut frei,

Nur in Freuden werd' erzogen.

O wie weit, wie weit betrogen!

Wer kein falsches Herz kan leiden

Und ein Maul, das freundlich spricht,

Wer Gefahr und Not wil meiden,

Komme ja nach Hofe nicht,

Weil der Tod an diesen Orten

Vorne sitzet bei der Pforten.[194]

Tausend Unglück must du tragen,

Wilt du hoch am Brette sein;

Wer sich darf bei Hofe wagen,

Kriegt zu Lohn den bloßen Schein,

Den man wahre Freundschaft nennet,

Freundschaft, die kein Mensche kennet.

Wer sich gleich mit Fleiß gesellet

Zu der frommen Männer Schar

Und sein Leben so bestellet,

Daß er hoffet, die Gefahr

Könn' ihm nun hinfort nicht schaden,

Wird mit Neidern erst beladen.

Liegen und den Nächsten schänden,

An sich kaufen falsche Gunst,

Kluge mit Geschenken blenden,

Ist bei Hof' ein' alte Kunst;

Wie man Gutes sol verkehren,

Pfleget man daselbst zu lehren.

Sich und seine Thaten preisen,

Ist der Höfling' erste Lust;

Eigne Klugheit zu erweisen

Und mit aufgeworfner Brust

Andre fast vor nichts zu schätzen,

Das mag diese Leut' ergetzen.

Freunde nur mit Worten weiden

Und versprechen oft und viel,

Mit dem langen Messer schneiden,

Ist der Höfling' einzigs Ziel,

Die oft mit der Heuchler Stangen

Viel der schlechten Vögel fangen.

Wer noch kan bei Hofe schweigen,

Bleibet ohne Spott und Hohn;

Wer die Wahrheit stets wil geigen,

Der kriegt keinen andern Lohn,

Als daß man die Geig' hinreißet

Und ihm um die Ohren schmeißet.

Viel' hat auch der Hof gefangen

Durch den Schein der Herlichkeit,[195]

Weil man da einher thut prangen

Anders nicht, als wär die Zeit,

Die wir doch so schleunig enden,

Nur zur Hoffart anzuwenden.

Gottesfurcht ist ausgetrieben,

Treu' und Glauben sind davon;

Keiner thut den andern lieben;

Undank ist der beste Lohn,

Welchen auch zuletzt die Frommen

Von den Herren selbst bekommen.

Du, mein Freund, bist nun genesen,

Du, du hast es recht bedacht;

Damals bist du klug gewesen,

Wie du gabest gute Nacht.

Wilt du schlafen, wilt du wachen,

Kanst du jetzt den Neid verlachen.

Lasse nun gen Hofe laufen,

Wer nicht selber herschen wil;

Laß' ihn Rauch für Rauch verkaufen;

Ich und du wir sitzen stil,

Schauen, wie dadurch auf Erden

Aus den Herren Schlaven werden.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 194-196.
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