Vierte Scene.

[9] MANFRED.

Weckt auf die Lust, die schlafend liegt,

Weckt sie auf mit Rufen und Singen!

Schon purpurn herüber das Frühroth fliegt,

Schon schüttelt die Lerche die Schwingen!

Weckt sie auf, aus dem süßen Schlaf empor,

Führt ihr geflügelt Roß ihr vor

Und reicht ihr den goldnen Zügel,

Ihr nach, ihr nach durch die Lüfte blau,

Ueber Wald und Au,

Ueber Fels und Thal und Hügel.


Wohin sie nur setzt ihres Fußes Spur,

Wie rinnen und rauschen die Quellen!

Ein strömendes Leben durchdringt die Natur

Und alle Knospen schwellen!

Die Sorgen entfliehn, das Herz wird weit,

Aufathmet es tief in Seligkeit

Und will zum Himmel sich schwingen!

Und Lippe sich zitternd an Lippe schmiegt, – –

Weckt auf die Lust, die schlafend liegt,

Weckt sie auf mit Rufen und Singen! –

CHOR DER RITTER UND FRAUEN.

Gekommen ist das Paradies,

Nun laßt die Harfen klingen![9]

Schon purpurn herüber das Frühroth fliegt,

Weckt auf die Lust, die schlafend liegt,

Weckt sie auf mit Rufen und Singen.

MANFRED.

Eckart, du Vielgetreuer,

Was blickst du ernst in all' die Lust?

ECKART.

Wolltest du meiner

Warnung hören!

Heimlich durchziehen

Das Land die Verbannten,

In Schaaren stehen

Sie an den Grenzen,

Und ab schon wendet

Das Volk sich dir.

MANFRED.

Du bist ein Träumer! –

Wenn die Vertriebenen,

Rachedürstend,

Wenn hag're Mönche

Aufschüren das Volk,

Ich lass' sie ergreifen und tödten.

ECKART.

O gib ihr nach

Der Stimme der Menge!

In diesen nächtigen Zügen,

In diesem Taumel der Lust


Sieht es die Hölle!

MANFRED.

Nein, bei den Göttern,

Nicht setz' ich den Becher[10]

Ab von den Lippen,

Bis ich ihn leer auch getrunken!

Ha, wer sind diese?

Die schwarzen Gestalten,

Die Gestalten der Nacht?

Sind sie verbannt nicht aus meinem Reiche,

Dem Reiche des Lichts und der Freude?

Hinweg mit ihnen! Führt sie zum Tode!

GHISMONDE.

Willst du tödten?

Tödte du mich,

Mich allein! – –


Für sich.


Maria!

Er ist's, er ist es!

So sah ich ihn in der Nacht der Gräber!

MANFRED.

Ist staubgeboren diese, oder stieg sie

In ew'ger Schöne nieder aus den Wolken?

Holder Anmuth welche Fülle

Birgt sich in der düstern Hülle,

In der här'nen Nonnentracht!

GHISMONDE.

Daß nicht Blicke Wege finden,

Himmel, lasse mich erblinden,

Senk das Aug' in ew'ge Nacht!

MANFRED.

Süße Heil'ge!

GHISMONDE.

In die Seele

Stiehlt sich seiner Stimme Klang![11]

MANFRED.

Komm, was soll auf diesen Lippen

Grabeslied und Bußgesang?

Lern' des Lebens Lust empfinden, –

Sieh den Himmel, Stern an Stern!

GHISMONDE.

Will die Schlange mich umwinden?

Bleib, Versucher, bleib mir fern!

ECKART.

Ist ein Zauber jäh entglommen?

Hält ihn fest ein schlimmer Bann?

Das Verderben seh' ich kommen,

Ach, er ruft es selbst heran!

MANFRED.

Wirf hinweg den finstern Wahn!

GHISMONDE.

Weh, das Herz fühl' ich erbeben!

MANFRED.

Süße Heil'ge, komm, das Leben

Lacht in hellem Glanz dich an!

Heit'res Spiel nur ist sein Ernst!

Komm, o komm, daß du genießen lernst!

GHISMONDE.

Leben ist nur Grab und Nacht!

MANFRED.

Ist dies Grab und ist dies Nacht?

Sieh, die Sonne ist erwacht!

Ueberfluthend mit goldnem Strahl

Füllt sie das Meer und das weite Thal![12]

Komm, mit süßen Liebesschwüren

Will ich dir die Seele rühren!


Quelle:
Carl Reinecke: König Manfred. Leipzig [o. J.], S. 9-13.
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