Fünfte Scene.

[13] KARDINAL.

Laß ab von ihr, es ist die Braut des Herrn!

MANFRED.

Verwegner Kardinal!

KARDINAL.

Zum letzten Male zu dir

Bin ich gesandt,

Mich führte das Schiff hierher in der Nacht,

In neuen Freveln treff' ich dich an!

MANFRED.

Trau deinem Kleid nicht, schone deine Zunge!

KARDINAL.

Kehr um auf deinem Weg,

Wirf voller Rene zu den Füßen

Des heil'gen Vaters dich,

Nimm die geraubte Kron' von deinem Haupt

Und wieder wird sie dir zu Lehen

Die Kirche geben.

MANFRED.

Ha, Kardinal,

Eh' du mich siehst zu Rom die Kniee beugen,

Geht unter diese Welt!

KARDINAL.

Weh' dir, verharrest du in deinem Trotz!

MANFRED.

Süße Schönheit, dich seh' ich wieder.[13]

KARDINAL.

Von ihr hinweg, der Gottverlobten!

Stimmt an das Lied der Buße!

MANFRED.

Nein, rauschend fliege auf das Lied der Lust,

Daß wiederkling' das Meer, die Luft, der Wald

CHOR DER RITTER UND FRAUEN.

Gekommen ist das Paradies,

Auf, laßt die Harfen klingen,

Die dunkle Nacht, sie ist besiegt,

Strahlend die Lust zum Himmel fliegt

Empor auf goldnen Schwingen.

CHOR DER NONNEN.

Das Kreuz empor, es siegt das Krenz im Streit.

MANFRED.

Ich laß dich nicht!

GHISMONDE.

Dem Kreuz bin ich geweiht!

MANFRED.

Dem Kreuze? Ha, ich will dich ihm entringen!

KARDINAL.

Das Kreuz empor, es siegt das Kreuz im Streit.

GHISMONDE.

Wollest gnädig mich behüten,

Du Maria! sei mein Hort!

MANFRED.

Brech' zum Kranz ich mir die Blüthen,

Schreckt mich nicht des Priesters Wort.

ECKART.

Wer wird seinen Pfad behüten?

Untreu' wohnt an jedem Ort.[14]

KARDINAL.

Schon beginnt des Sturmes Wüthen

Und sein Schiff zerschellt im Port.

Quelle:
Carl Reinecke: König Manfred. Leipzig [o. J.], S. 13-15.
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