Brandopfer

[64] Vergessenheit, dir bracht' ich heut ein Brandopfer,

So wie seit manchem Jahr' ich's bring', im Hauswesen

Papiernen Krams von Pros' und Versen aufräumend;

Heut nimm als Opferlied noch diese Hinkjamben!

Viel speichert sich von Dingen auf, was unfertig,

Mißlungen, falsch gedacht, trotz mancher Mühwaltung

Zuletzt doch aufgegeben, in den Schubfächern

Den Raum nur engt: Novellen, Dramenbruchstücke,

Romanfragmente, hingeworfne Reimkünste;

So manches auch, was leidlich bei der Arbeit schien,

Und als es fertig, wie Empfang von Ohrfeigen,

Ach, von des eigenen Geschöpfes Handreichung,

Beschämend mich berührte! Wart, du Bosheitsbrut,

Die so mich foppte! Wild Gezücht der Selbsttäuschung,

In's Ofenloch! Verkohle, brenne, flamm' hochauf!

Ritz, ratz, ihr Fetzen! Immer mehr? Du fünfakt'ge

Komödienrange warst die schlimmste! Heiß werden

Soll dir, wie mir! Und du, Novellenschlafmütze

(Die einz'ge, die ich jemals trug) du sperrst gähnend

Den Mund auf, höhnend noch, daß ich im Halbschlaf dich

Aus Lappen flickte? Ho! Du sollst in Glutasche

Jetzt schwellen, lustiger als mir dein Dasein war!

Was siehst du Liederheft mich an so scheinheilig?

Verwünschter Mückenschwarm, der mir aus Hundstagen

Vergang'ner Sommer, die ich nicht zurückwünsche,

Die Nas' umspielt! Das wär' Originaltonart,[65]

Aus der du pfeifst? Wir kennen die Gebrauchsweise

Der alten Leier! Knistre nun im Rauchloche!

Da ist Musik, die ich für dich gesetzt habe.

So kann ich freier wieder einmal aufathmen.

Und sterb' ich dieses Jahr, so ist der Nachlaß doch

Schon lichter, und erspart wird ernstes Kopfschütteln

Dem Guten, der da nachforscht um Herausgabe.

So etwas kann ja doch geschehn. Wer schriftstellert

Und stirbt, der wird mit einemmal auf sechs Wochen

In Deutschland Mode, wenn er auch bei Lebzeiten

Niemals in Mode war. Drum ist die Druckschwärze

Dem Nachlaß sicher, nebst ein bischen Theilnahme,

Auf die der Lebende vielleicht umsonst hoffte. –

Hochheil'ge Flamme! Hätt' ich doch von frühauf dir

Mehr anvertraut zu weihevoller Selbstläutrung!

Mehr anvertraut von dem, was jetzt auf Staubbrettern

Gebunden steht, vergessen halb vom Zornrichten,

Doch einst vielleicht herabgezerrt, zu trostloser

Verwunderung der Guten, die drin nachblättern!

Dein Segen, heil'ges Feuer, für das Hausopfer

Im Ofenloch kam spät, doch kam mir's einleuchtend!

Brennt es wohl noch? Nein. Schwarzverkohlter Aschflocken

Ein Häuflein weht entgegen durch den Zugwind mir.

Wie groß das Opfer wohl im nächsten Jahr sein wird?

Ich wünscht' es kleiner doch. So klein, daß nichts weiter

Zu opfern wär, als dieses Häuflein Hinkjamben!


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 64-66.
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