Wandergruß

[119] In der hellen Sonntagsfrühe,

Die mir flügelt Herz und Fuß,

Blüh' im Herzen mir, erblühe,

Sangeslust zum Liedesgruß!

Wie vom Thal die Glocken klingen

Aus dem goldnen Nebelduft,

Soll mein Sang sich aufwärts schwingen

Durch die reine Morgenluft.


Und als ob mir Antwort riefe

Dort der Firnen Silberschnee,

Dort der blauen Himmelstiefe

Feuchtes Wiederspiel im See:

Hör' ich Worte wiedertönen,

Holde Namen im Gesang,

Die mit seligem Gewöhnen

Ich zu Lied und Reimen schlang.


Ruft dem Wiederhall der Ferne

Heut der Wandrer seinen Reim,

Ach, in dieser Früh' wie gerne

Wär' ich auch bei euch daheim!

Herz und Augen zu entzücken

In geliebtem Zauberkreis,

Der das Schönste vor den Blicken

Noch zu überstrahlen weiß!
[120]

Alle Musen zum Geleite

Gabt ihr mir auf meine Fahrt,

Und so bleibt auch in der Weite

Herz und Sinn mir wohlbewahrt.

Will zu lang der Weg mir werden,

Weiß ich treu mir zugesellt

Meinen Himmel schon auf Erden

Und im Herzen meine Welt!


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 119-121.
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