Wie ich Pariser Mode habe eingeführt.

[198] Wir trabten mehr in der Luft als auf dem Erdboden. Jener wunderliche Heilige soll Flügel an den Fersen gehabt haben; wir hatten die Federn an den Zehen, so schnellten sie uns dahin auf der Waldstraße, trotz dem gewichtigen Bügeleisen. Der ungarische Schneider war überflügelt! Der ungarische Schneider, der jahrelang die Ster gehabt hatte beim Werksverweser, er war ausgestochen von unseren fleißigeren Nadeln; oder – treu gesagt – wir wußten es selbst nicht, weshalb wir auf einmal geladen worden beim Werksverweser in Brückelbach.

In der großen Stube mit den weißen Fenstervorhängen und den braunpolierten Kästen, einem seinen Herrenzimmer, durften wir unsere Werkstatt aufschlagen. Dort gedachten wir, uns zu behaupten. Zu behaupten durch gediegene Arbeit und solides Benehmen. Wir wollten in diesem fürnehmen Hause auch einmal rechtschaffen gebildet sein, statt »Jo« Ja sagen, zu Beginn der Mahlzeit stets »Guten Appetit« sprechen und mit der linken Hand die Gabel führen. Auch mit du wollen wir keinen anreden, wie sonst in der Bauernschaft, sondern den Herrn Verweser mit »Er« und die Frau Verweserin mit »Sie« und die Mädels mit »Fräuln«. Beim Anmessen aber sagte mein Meister: »Was kriegen wir?«[199]

Das Tuch lag schon auf dem Tisch, grobes und seines, schwarzes, graues und Unterzeug, – in Stückeln und Resteln weich und glatt. Also der Wertsverweser, ein stattlicher Herr mit viereckigen Achseln und dreieckigem Kopf, der kriegt einen lodenen Gebirgsrock, ein Beinkleid und eine Hofe. Sein Kopf war dreieckig, weil er oben mit einem breiten Schädel anhub und unten in einem grauen Spitzbart auslief. Was jedoch zwischen Beinkleid und Hofe für ein Unterschied sein sollte? Das fragte ich den Meister und er mich. Es war einfach: die Hofe für Feiertags heißt Beinkleid und das Beinkleid für Werktags heißt Hofe. Die Frau Werksverweserin »kriegt nichts.« Sie konnte vielleicht darum kein Gewand bekommen, weil sie eigentlich keinen rechten Leib hatte. Es war hinter ihrem dunkelbraunen Hausrock wohl etwas da, aber mehr ein Gestell als ein Leib, eigentlich nur so ein Apparat, der immer bewegsam in allen Teilen des Hauses umherwirtschaftete, mit scharfem Stimmlein Befehle gab und alles im Gang hielt. Sie war das Schemen, der Geist, und bedurfte nur eines dunkelblauen, schlaff niederhängenden Rockes und einer weißen Haube, die über die Ohren herabgebunden war, um gesehen zu werden. Also die Frau kriegt nichts.

Das »Fräuln«. Aber nein: es war ja das Stubenmädel, das wir einen halben Tag lang als »Fräuln« verehrten, ein blasses Rundgesichtel, das immer lachte und trällerte und mich, den Schneiderlehrling mit zwanzig Frühlingen, lustig einen »Haspel« hieß. Sie hatte freilich recht. Während mein Meister mit quieksender Schere einen Rock zuschnitt, hockte ich auf niederem Schemel, spitzte die Knie auseinander, über die ein schwarzer[200] Zwirnsträhn gespannt war, und wickelte mit emsiger Hand den unendlichen Faden aufs Knäuel. Ob solcher Tätigkeit hätte mich jeder Holzhaspel wegen Gewerbsstörung verklagen können. Das rundgesichtige »Fräuln« hatte also völlig recht. Unrecht hatten eben wir mit unserer Menschenkenntnis; und die Augen gingen uns erst auf, als gegen Mittag das wirkliche Fräuln zur Tür hereinrauschte. Der Meister wollte vor Ehrerbietung sofort aufstehen, merkte aber noch rechtzeitig, daß er ohnehin stand. Wir glaubten, die kleine, runde Person komme von der Kirche, so schön war sie angezogen. Auf und auf weiß und mit roten Seidenmaschen an unterschiedlichen Stellen. Beim Kaufmann in Mürzzuschlag war im selben Jahr zu Weihnachten eine Puppe ausgestellt gewesen, diese Werksverweserstochter sah ihr ähnlich. so rot waren die Wangen und so schwarz die Augenbrauen und Wimpern. Zart und hold wie ein gemalter Engel war sie anzusehen; als sie jedoch den Mund auftat, schauten wir ringsherum, ob nicht ein Drescherweib eingetreten sei, das da in breiter, quatschiger Weise ausrief: »Hau! Die Schneider san kiemen! Das isch gscheid!«

»Unsere Tochter!« so hatte die Mutter diesen Engel vorgestellt. »Kriegt ein Mantill!«

Ist nicht so leicht, bei den hohen Herrschaften zu arbeiten. Jetzt weiß man wieder einmal nicht, was das ist: ein Mantill. Ich riet auf einen Wettermantel und erst mit vorsichtigem Näherfragen kam der Meister darauf, daß es sich um ein kurzes Oberjäckchen handelte, zu dem die Frau schwarzen Samtstoff und rotseidenes Unterfutter gebracht hatte. Die Tochter – wir nannten[201] sie nur mehr Tochter, weil das Fräuln schon an dem Stubenmädchen abgebraucht war – ließ sich ruhig mit dem Faden messen. Nicht einmal unter den Achseln war sie kitzlig, was eine Seltenheit ist, wie der Meister versicherte. Lehrlinge dürfen noch nicht messen, – und so muß man den Meistern glauben. Das »Mantill« sollte an den Rändern verschnürt und mit Taffetbändern doppelt »paspoliert« werden. Der Schnitt mußte »neuwienerisch« sein. Zu allem Glück hatte der Meister das Blatt schon dem schweizerischen Gesellen nachgeschnitten, der seine Mustersammlung unvorsichtigerweise zurückgelassen hatte, als er fremd ward. »Sonst wären wir jetzt petschiert!« flüsterte mir der Meister zu.

»I hans gern recht neumoderisch,« gestand die Tochter, »wie's die Baronischen ham im Gschloß ent.« Das »Gschloß« stand drüben im Fröschnitztal und der weiße Engel sollte der erste sein in Brückelbach, der ein neuwienerisches Mantill bekam. »Da wern sie sich gisten, die Schulmeisterin und die Kramerluisl!« Mich hatte die Tochter schon während des Anmessens auf dem Korn und plötzlich rief sie fast schreiend: »Is dos der Schneiderbua, der a so Gedichter dichten tuat?«

Da gehörte rasch ein Riegel vor. »Jetzt heißt's nähen und nicht dichten!« sagte der Meister. Ich setzte mich zur Arbeit. Am Rock des Verwesers konnte schon die Rückennaht gemacht werden.

Aus der weiteren Bewohnerschaft dieses Hauses erzähle ich noch von einer Art Hauswaschel, einem Mann für alles, was es so in dem Alltag der Wirtschaft an Kleinigkeiten zu tun gab. Ein Bursche mit kurzen Beinen, breitem Hinterteil und einem hübschen Kopf, der[202] immer freundlich drein schaute, wenig sprach und zu allem »Ja« nickte.

»Der Siedel kriegt nichts,« erklärte die Hausfrau. Denn er hatte eigentlich schon alles. Er hatte Militär und Zivil, alte und neue Mode an sich geknöpft: eine blaue Soldatenhose, einen grün ausgeschlagenen Jägerrock, einen schwarzen Strohhut, der sehr sein geflochten war, aber schon Fransen hatte. Und trug um den dicken Hals die Reste eines Seidentuches geschlungen, dessen bunte Farben noch loderten. Der Siedel trug alle Ableger der Familie und ihrer Verwandtschaft; und so oft andere was Neues kriegten, kriegte er was Altes. Und an manchem Stück besserte er oder das Stubenmädel so lange herum, bis es wieder wie neu war. Der Siedel stand am Kehrichthaufen oft frischer gewaschen, geflickt und gebügelt als andere in der schönen Stube.

Endlich muß ich den grauen Pintscher noch vorstellen, an dem viel Wolle, aber wenig Hund war. Wenn er auf unserem Tische saß und mit dem Zwirnknäuel spielte, so schien er ein fast mächtiges Ungetüm zu sein, und wenn man ihn anpackte, war eine Handvoll Mistvieh da, – alles andere Pelz. Dieser Hund war der Liebling des Hauses. Jedes gab ihm einen anderen Kosenamen oder einen anderen Fußtritt, so daß wir nicht herausbekamen, wie der Köter eigentlich hieß oder welche Schuhspitze ihm die liebste war. Er ließ sich alles gefallen; nur wenn man »Prrr!« sagte, tat er einen Schnapper. Denn das schien er für eine Fliege zu halten.

Das waren nun die wesentlichsten Hausgenossen beim[203] Werksverweser. Noch wäre die Kochfrau zu erwähnen, deren verborgenes und wohltätiges Wirken wir täglich dreimal merkten. Jeder Tag war Christtag, vom rahmigen Morgenkaffee über den wohlgeschmorten Mittagsbraten bis zu den Schmalzkrapfen am Abend. Dazu noch der Wein am Vor- und Nachmittag, in den Gläsern funkelnd wie ein Goldring, im Gaumen prickelnd wie süßes Feuer und in der Seele alle Geister rund herumjagend, daß sie manchmal purzelten und sich vor Lachen kugelten.

War der Werksverweser da, so trank er mit und erzählte lustige Sachen. Seine Stimme klang, als würde in einen Topf gesprochen. Einen hohen Rockkragen trug er und den Bart so, daß von seinen fünf Kröpfen selten mehr als einer zu sehen war. Obwohl er seit Jahren Eigentümer des Eisenwerkes war, ließ er sich bescheiden immer nur den Verweser nennen. Beim Wein gestand er treuherzig, daß er so den Arbeitern leichter die Löhne schmälern könne, ohne mit seiner Person dafür einstehen zu müssen. Er beschäftigte in seinem Sensenhammer ein Dutzend Schmiede, die er bei guter Laune »Kampel«, bei schlechter »Lumpen« nannte. Neben der Erzeugung von Sensen war seine Lebensaufgabe das Kegeln. In der gedeckten Kegelbahn war eine eiserne Tafel aufgestellt, auf der mit eherner Schrift verzeichnet stand, wann und wie oft schon Herr Erasmus Hultensteiner, Werksverweser allhier, alle Neune geschoben hatte. Die Tochter, wenn sie dem Vater eine besondere Freude machen wollte, bekränzte dieses Denkmal der Gefallenen mit »Eichenlaub«, das sie von den Ahornbäumen riß.

»Schneider? Willst mir helfen auf ein Bot?« Mit[204] solchen Worten lud der Werksverweser meinen Meister manchmal zur Kegelpartie.

»Ist mir nit zuwider,« antwortete stets der Meister; denn fürs erste tat er auch mit Leidenschaft kegelschieben, fürs zweite gewann er dabei dem Gegner meist das Geld ab und fürs dritte wurde er noch extra dafür bezahlt, denn die Ster ist stets nach dem Tagewerk gerechnet worden.

In solchen Stunden, wenn die beiden draußen kegelten, wurde drinnen die dunkelblaue Stange mit der weißen Haube noch schlanker und sie gab mirs zu verstehen, daß man die Handwerker nicht eigentlich ins Haus lüde, damit sie dem Hausherrn das Geld aus dem Säckel spielten, als vielmehr, daß sie gute Arbeit machen sollten. Nun, das geschah ja, dieweilen ich des Tages vierzehn bis sechzehn Stunden nadelte und bügelte. Der Fleiß des Lehrlings ließ sich nicht leugnen; doch war bisweilen unter Variation das Bibelwort anwendbar: Was der Lehrling zusammengefügt, das muß der Meister trennen. Denn während dieses Lehrlings magere Finger unbeaufsichtigt so die Nadel führten, brannte sein Lichtlein vor fremden Altären. Er dichtete einen Roman, der im Monde spielte und in dem er das Leben des Waldbauernbuben so beschrieb, wie er es sich für die Erde vergeblich wünschte. Dort war er König, der sehr gerecht regierte, eine gelbseidene Hofe trug und eine junge Frau hatte, die – nebenbei gesagt – dem Stubenmädel beim Werksverweser auf Erden ähnlich sah. Zwar stand die weiße Tochter mit den roten Seidenmaschen und den bemalten Wangen einmal stramm vor dem Schneidertisch und sagte: »Ischts wohr, Schneiderbub, daß du Gedichter dichten tuast? Geh': dicht eins her auf mich![205] Bitt' dich gor schön, dicht' mich a bissel on! Ast schenk' ich dir wos!«

Senkte ich mein Gesicht auf die Nadelarbeit nieder und antwortete gedrückt: »Mag nicht.« Und stach scharf in den Loden.

Am selbigen Abend zur Lichtfeier stand ich draußen hinter dem Flieder und schrieb in mein Büchel:


»Bin dem Verweser sein' Tochter.

Heiliger Sankt Kulian,

Bitt dich auf allen vier Knien:

Sei so gut, gib mir ein' Mann!

Blind sind die Burschen, ach leider,

Nicht einmal windige Schneider

Gucken mich an.«


Während ich diese sinnreichen Verse schrieb, wurden sie auch schon gelesen, und zwar von Augen, die mir über die Achsel lugten und dem Hauswaschel gehörten. Ich merkte es erst, als der Mensch ein Gelächter anschlug und rief: »Nicht einmal windige Schneider!«

»Was hast mit'm Schneider?« quatschte der weiße Engel vom Kammerfenster her.

»'s Fenster zumachen!« spottete der Waschel, »daß ihn dir der Wind nit einitragt!«

Für diesen Spott hatte ich am nächsten Tag schon eine Genugtuung. Als das Stubenmädel mit dem blassen Rundgesicht in unserem Zimmer von Möbeln den Staub abfächelte, machte sich der Pintscher den Scherz, auf den Kasten zu springen und nach ihrem Wedel zu schnappen. Da packte sie das Hündlein her, und dieweilen sie lachend auf mich schaute, rieb sie sich das Pelztier in ihre Wange und sagte: »Was willst denn? Was willst[206] denn von mir? Mund ablecken, wie? Na, da hast eins. Schmeckt's? Da hast noch eins, Kerl, du lieber!«

Während das seine Mädel den Pintscher also kosete, schaute es auf mich her; da muß es doch der Dümmste merken. Wenn andere ihre Liebeserklärungen »durch die Blume« machen: das Stubenmädel machte sie mir durch den Hund... Sonst, wie ich mich in jenen glücklichen Zeiten des Abends ins Bett warf, so und just so lag ich noch am Morgen, wenn mir der Meister mit der Hand die Achsel rüttelte. In dieser selbigen Nacht aber habe ich mich arg hin und her gewälzt. Herzkrank war ich geworden. Lag ich auf der rechten oder auf der linken Seite: es stieß wie ein Böcklein an den Brustkorb, und zwar wie ein ungestümes.

»Schlecht ausschaust heut'!« sagte morgens der Meister mit Besorgnis.

»Weil ich Herzklopfen han!«

»Das machts Wohlleben in diesem Haus.«

Wenn ich vom Küchenherd das Bügeleisen holte, so huschte das Auge unterwegs manchmal durch die halb offene Tür in eine Kammer hinein, in der das Stubenmädel mit der Wäsche umtat. Sie flickte, sie glättete, sie schichtete und sang dabei Vierzeiler von der Liebe, die gewiß wieder nicht an den Pintscher, sondern an einen anderen gerichtet waren. Und einmal – das Bügeleisen war ohnehin viel zu heiß, es eilte nicht – trat ich auf den Stiefelspitzen rasch und leise in die Kammer. Aber das Mädel war nicht da. über der Lehne des Rohrstuhls, auf den sie sonst zu sitzen pflegte, lag zusammengelegt ein schneeweißes Wäschestück. Ich nahm den Augenblick beim Schopf, den Stift aus der Tasche[207] und schrieb auf das Linnen: »Ich liebe dich!«... Nachher trat der Spitzbub mit dem heißen Eisen harmlos in die große Stube und bügelte den befeuchteten Loden, daß die Dämpfe nur so aufstiegen und den Kopf noch mehr benebelten. Als die Joppennaht glatt und der grüne Kragen dran flach gebügelt war, kamen die Knöpfe an die Reihe. Groschengroße Messingknöpfe funkelten wie die Kriegsmedaille, die der Feldwebel Donnersberger einige Jahre vorher aus Italien mitgebracht hatte. Auf jedem der Knöpfe war ein Husar, das Roß mit sträubender Mähne, der Reiter mit sträubendem Schnurrbart, der fast so lang wie der Säbel, den er schwang. Diese Knöpfe nun sollten an die Lodenjoppe des Verwesers kommen, auf beiden Seiten ihrer sechs in Reihe und Glied. Da wurde der Meister auf die Kegelbahn gerufen. Es waren aus der Nachbarschaft Hammerherren gekommen, die eine große Partie tun wollten. Er hatte das »Mantill« auf dem Knie gehabt, an dem nur noch weniges zu vollenden war.

»Mach' es fertig,« sagte er, »da sind die Sachen.« Und schob mir alles zu über den Tisch her. Und trippelte munter hinaus zur Kegelbahn, um den Hammerherrn das Geld abzugewinnen. Ich legte die Lodenjoppe beiseite, begann, am Mantill der Tochter zu arbeiten und dabei wieder an das weiße Rundgesichtel zu denken. Und während die Nadel mit dem schwarzen Seidenfaden am Samtmantill die Knopflöcher einrandete, singen im Köpfel gewisse Gedanken im Takt zu tanzen an.


Die Liab is a Vögerl,

Im Mai fliagts daher.

Tuas fangen! Schau: später,

Da kommt's nimmermehr.
[208]

Der Knopflöcher waren mit der Kreide acht oder neun angemerkt; sie mußten mit dem Stemmeislein zuerst durchgestemmt und dann »paspoliert« werden.


Die Liab is a Flammerl,

Entzünd't sich gar gern,

Und wer damit spielt,

Kann ein Abbrandler wern.


Klipp und klapp den Knopflöchern gegenüber nun die Knöpfe. Achtgeben, daß das rote Seidenfutter inwendig nicht mit geheftet wird, sonst faltet's.


Die Liab ist a Bleamerl,

Wohl guat mußt es pflegn,

Die Liab braucht a Busserl,

Wia 's Bleamerl ein Regn.


»Was tust denn da?« fragte der Meister, der plötzlich an der Tischecke stand. Seine Stimme war heiser. Seine Augensterne waren kleiner als sonst und zuckten im Weißen hin und her, wie Irrlichter; die Nase war blaß und spitzig geworden wie bei einem Toten, aber auf dem glatt rasierten Gesicht zitterten alle Fältchen. Verspielt hatte er beim Kegelschieben, den ganzen Wochenlohn verspielt. Das sind Kerle, diese Hammerherren! – Aber nicht deshalb tat er die verwunderliche Frage. »Was tust denn da?« Er zog mir das Mantill vom Knie weg. Und jetzt hab' ich's gesehen, was da angestellt worden war während meiner Versunkenheit... Fürs erste schloß ich die Augen und mein Denken und Wünschen war kein anderes als: Erde, tu' ein tiefes Loch auf und verbirg mich! – Was geschehen war? Statt der niedlichen Glasknötelein, die auf dem Tisch in der Papierdüte lagen; hatte ich aus Samtmantill[209] die Husaren genäht, das ganze Bataillon, und hatte die entsprechenden Knopflöcher dazu gemacht. Mit grenzenloser Ratlosigkeit starrt der Meister auf diese Tat; dann warf er mir das Zeug an den Kopf: »Jetzt schau, wie du's recht machst!«

Schau, wie du's recht machst! Das war leicht gesagt. Aber unmöglich zu tun. Die groschengroßen Messingscheiben konnten losgetrennt werden; aber die Knopflöcher! Wie fletschende Schnauzen lechzten sie nach meiner armen Seele, diese ungeheuren Öffnungen, ihrer sechs in der Reihe, mit nichts auszufüllen als mit den schrecklichen Husarenscheiben. In einem solchen Abgrund hatte mich der Meister noch nie gesehen... War das Mantill für den Meister gemacht? Nein, es war für die Haustochter. Vielleicht ist's ihr gerade so recht. Meiern wir ein bissel an. Wir stehen jetzt auf dem Punkt, wo man die größte Dummheit machen kann. Es ist nichts mehr zu verlieren. Wem mein Lied vom Vögerl ursprünglich zugeeignet war? Das ist leicht zu erraten. Und nun, im Drange grauser Not, geschah der Hochverrat. Schon am nächsten Tage war der weiße Engel verankert. Er hatte draußen am Kirschbaum, unter dem seine Bank war, ganz zufällig das Liedel gefunden, das ich ganz zufällig dort an die Baumrinde gesteckt hatte. »Die Liab is a Vögerl,« also gehört sie auf den Baum.

»Isch dos auf mich?« fragte sie unter dem Haustor, während sie das Papier mit zwei Fingern in der Luft mir entgegenhielt. »Host du's gemocht?«

»Ich will Ihnen mit noch was Mehreres überraschen!« war meine Antwort. Wenn der weiße Engel[210] so schön bäuerisch sprach, so konnte der Waldbauernbub ja wohl einmal herrisch reden. Und also erklärte ich ihr in kühnstem Hochdeutsch: das Neuwienerische sei längst veraltet. Für solche Kuhmenschertracht wäre die Fräulein Tochter viel zu schön! Für die Fräulein Tochter müßt' wohl was Neues sein, was sich könnte sehen lassen. Und so wäre gesorgt worden, daß ihr Mantill nach der Pariser Mode ausfiele, wie wir sie erst kriegt hätten, mit Doppelpaspolatur und vergoldeten Kaiserknöpfen »vorn awer«. Da würden die Leute einmal ihre Augen ausreißen! Und der Neid von den Menschern!

Nach solchen Vorbereitungen hielt ich's denn an der Zeit, mit dem Äußersten hervorzurücken. Wie ein dressierter Bär, halb Zärtlichkeit und halb Blutdurst, ist sie mir an den Hals gesprungen, als sie die großen Scheiben sah mit den Husaren. Gewonnen war's. Schon an demselben Nachmittage hatte die Tochter im Kirchdorf zu tun und ist sie mit dem Husarenbataillon davongestolzt.

Das blasse Rundgesicht ging und tat im Hause so gelassen umher, als ob seit der Erschaffung der Welt kein Mensch auf weißes Linnen geschrieben hätte: Ich liebe dich! Ich aber wartete auf eine Rückwirkung.

Und sie kam.

Nach regnerischer Zeit war ein wunderschöner Heutag. Der Verweser hatte eine Wiese voll gebleichten Heues. So bot er seinen ganzen Heerbann auf, die Hausleute, die Schmiede und die Schneider, daß sie mit langen Gabeln, Hacken und Rechen auszogen. Froh, der dunkeln Stuben entkommen zu sein, hüpfte ich lind hin über den kurzgemähten Rasen, barfuß und in Hemdärmeln,[211] wie alle anderen, in deren Reihe ich ans knisternde Heu ging. Da flogen die Mahden; und ein rußiger Schmied sprach laut die Mahnung aus, auf die Schneider achtzugeben. Wenn sie unters Heu kämen, wären sie nicht mehr zu finden und das Kalb, das sie dann etwa erwischte, könne daran ersticken. Ich hatte schon gemeint, mit meinem Rechen an die grüne Seite des blassen Rundgesichtels geraten zu sein, da schob sich Siedel, der Hauswaschel, mit seiner Gabel dazwischen. Dieser Mensch war heute weiß wie eine Schneesäule; nur daß er in der Sonnenhitze nicht abschmolz, dieser Hitze wegen sich vielmehr auf Hemd und Unterhose beschränkt hatte. Schweigend gabelte er neben dem Stubenmädel dahin, daß die Heuwogen nur so kräuselten, und er hatte bei dieser fleißigen Arbeit häufig eine Stellung, in der mir sein breitrundlicher Hinterteil zugekehrt war. Mich ließ diese Erscheinung natürlich gleichgültig, bis ich urplötzlich auf der weißen Rundung geschriebene Worte sah: »Ich liebe dich!«

Das weitere Ausspinnen dieser Begebenheiten ist überflüssig. Kein Jüngling hat seine Liebeserklärung je an so unpassende Stelle hingeschrieben.

Nach solchen Erfahrungen war uns die Ster beim Werksverweser verleidet. Mir nahm es der Meister noch lange übel, daß ich das Mantill mit den Husaren aus der Hand gegeben hatte. Eine solche Arbeit könne er mit seinem Namen nicht decken. Sein Erstaunen ist deshalb durchaus nicht gering gewesen, als er sah, wie das Fräulein Haustochter mit dem Jäcklein Staat machte und wie die Pariser Mode überall bewundert wurde. Jede, die auf seines Gewand was hielt, wollte ein Samtmantill[212] mit großen Messingknöpfen haben und ein Jahr später mußten wir überall Pariser Mantills machen. Der Schneiderlehrling hat sich für die Erfindung weiter kein Privilegium genommen; wer's machen will: ein Samtjöppel mit doppelter Paspolatur, fletschenden Knopflöchern und zwölf Mann Husaren auf Messingknöpfen. Inwendig rotes Seidenfutter... und ein dummes Weibsbild.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 198-213.
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