Als ich –

[285] Einst war in der Waldheimat ein alter Knecht, der einen gloriosen Spitznamen hatte – er hieß der Talerbüchsentoni.

Er besaß nämlich – ob als Erbschaft oder als Fund, das ist nicht ergründet worden – einen kleinen Schatz von alten Silbermünzen, teils mit Bildnissen Maria Theresias, Friedrichs des Großen, teils mit dem Bilde der Mutter Gottes oder mit dem Zeichen von Krummstab und Schwert, von Adlern, Löwen, zweiköpfigen Tigern, von Kreuzen und Ringen, seltsamen Buchstaben oder anderen geheimnisvollen Markungen. Etliche dieser Münzen, die wir, ohne Unterschied des Landes, der Prägung und der Größe, Taler nannten, sollen sogar vom Dreißigjährigen Kriege hergestammt haben. Den Schatz hielt Toni der Knecht eingeschachtelt in einer runden, blutrot angestrichenen Holzbüchse. Wenn nun der Feierabend kam oder eine stille Feiertagsstunde war, holte er aus seiner Kleidertruhe die Büchse hervor, aber nicht etwa, um nach alter Geizhalsart für sich allein darin zu wühlen und zu schwelgen, sondern um die Talerfreude mit seinen Hausgenossen zu teilen, ihnen nach seiner Weise die Geldstücke zu erklären, sie dann auf dem Tische klingen zu lassen, um die Feinheit des Silbers zu bekunden und sich an den gierigen Blicken zu weiden, die auf seine schönen Taler niederstachen.[286]

Sobald jedoch die Leute merkten, es fiele bei dieser wiederholten Silberbeschau weiter nichts für sie aus, wurde ihnen die Sache langweilig und sie sagten: »Geh', laß uns in Ruh', Toni, mit deinen alten blinden Schimmeln, wenn du keinen herschenkst, so wollen wir sie auch nicht sehen.« Derlei undankbare und lieblose Bemerkungen verdrossen den Knecht Toni allemal so tief, daß er in dem betreffenden Hause sofort den Dienst kündigte und in einen anderen Hof zog, wo man die Talersammlung, die den Inhalt seines Knechtelebens ausmachte, wieder besser zu würdigen verstand. – Aber die Bauersleute sind soviel hochsinnig, sie halten nichts aufs Geld, wenn sie es nicht kriegen. Und so kam es, daß der Toni gar häufig seinen Dienst wechselte, trotzdem er sonst ein stiller, zufriedener Mensch und kein schlechter Arbeiter war.

Nun, so war der Talerbüchsentoni auch in unser Waldhaus gekommen. Und weil er an meinem Vater einen Wann fand, der die Geldstücke nicht nach deren Gewicht schätzte, sondern an den Bildnissen der Könige und Kaiser und besonders an der lieben Mutter Gottes seine Freude hatte, und weil er an uns Kindern eine jubelnde Schar von unersättlichen Bewunderern sah, so lebte er in unserem Hause neu auf.

Jeden Abend nach dem Vesperbrot kam er denn von seiner Gewandtruhe, die oben im Dachgelasse stand, zu uns in die Stube, geheimnisvoll, die rote Büchse noch unter dem Rocke bergend, sie dann langsam hervorziehend, stets mit einer Miene, als ob es das allererstemal geschehe und er etwas unerhört Neues aufzuzeigen hätte. Und wenn er dann am sicheren Orte des großen Eichentisches saß und wir in einem festen Wall um ihn herum[287] waren, schraubte er mit einer bedächtigen Fertigkeit die Büchse auf und faßte einen um den andern mit zwei Fingern an, wie der Priester die Hostie, und begann mit seinen Auslegungen. An jedem Stücke war eine besondere Merkwürdigkeit. Da war eine Maria Theresia, die scheinbar ihre Augen verdrehte, wenn man ihr die blinkende Münze Fritz des Großen gegenüberhielt. Ein anderer Taler zeigte noch Rostflecken vom Dreißigjährigen Kriege, von welchem der Knecht bemerkte, man müsse nicht glauben, daß dieser Krieg dreißig Jahre lang ohne alle Unterbrechung gedauert habe; in den meisten Nächten, besonders aber zu den hohen Festtagen, habe man die Schlacht unterbrochen und Freund und Feind in Gemeinschaft sein Gebet verrichtet. – Auf einem anderen Taler war das wahrhaftige Bildnis unserer lieben Frau und ein Ablaß daran für den, der es küßte. Wir durften es auch küssen, alle der Reihe nach, auch jene Dienstboten, die der Knecht gut leiden konnte; zu den anderen sagte er, sie möchten sich ihren Ablaß nur anderswo holen.

Besonders ein halberwachsener Bursche, der Hiasel, war es, welcher durch manch lose Bemerkung über den Toni und seine Büchse des alten Knechtes Unwillen in so hohem Grade erweckt hatte, daß er nicht ein einzigmal zur Talerschau, geschweige zum Kusse zugelassen wurde.

Der Hiasel war kurze Zeit früher als unterstandsloser, etwas verkommener Junge des Weges gestrichen und mein Vater hatte ihn aufgenommen, mit gutem Hanfzeuge bekleidet, auch ordentlich ausgefüttert, denn die ersten Wochen war der heimatlose Bursche schier nicht zu sättigen gewesen. Dafür griff der Hiasel nun auch die[288] Arbeit flink an, war munter und das regelmäßige Leben schien ihm gar nicht übel zu gefallen. Er sah jetzt recht gesund aus, war schlank gewachsen, und weil er auch die Haare kämmte, so wollte er schier ein hübsches Bürschlein werden. Ich, das muß ich wohl gestehen, hatte keine besondere Zuneigung zum Hiasel, nicht allein, weil er mir immer als Beispiel aufgestellt wurde, wenn ich mich nicht waschen und strählen wollte, sondern und vielmehr noch, weil der Hiasel »Peitenstegga« anstatt Peitschenstecken sagte. Er war aus dem Niederösterreich herübergekommen und mir war das »Fremdeln« in der Sprache zuwider und dieses »Peitenstegga« geradezu eine Ungeheuerlichkeit. Der Bursche schnitt mir manchen Peitschenstecken und unterstützte mich bisweilen in meinen Spielen; doch niemals mochte ich ihn gut leiden, da wandte ich mich zehnmal lieber dem alten Toni und seiner Talerbüchse zu.

Des Alten Gesicht anzuschauen war für mich eine Unterhaltung. Dieses platte, runzelige Gesicht mit den großen Wangenknochen, mit den völlig wasserfarbigen Äuglein, die fortwährend hinter den buschigen Brauen Versteckens spielten, wenn die Taler aufmarschierten, dieses Gesicht war ein großer Spaß; und wie der Mann als Zeichen seiner wichtigtuerischen Befriedigung die furchige Stirnhaut auf und nieder riß und selbst die Ohrläppchen bewegte wie ein Eselein – das war doch gar zu possierlich. Und nun kam mir auf einmal der Gedanke: Wenn der Toni schon in seiner Lustigkeit ein so spaßiges Gesicht macht, wie erst, wenn er zornig und wild ist? – Mit diesem Gedanken hebt die Geschichte an.

Eines Tages, als die Leute auf dem Feld waren,[289] stieg ich die Stiege vom Dachgelaß herab und freute mich auf die Stunde, wenn der Toni wieder seine Taler aufzeigen will und sie nicht findet. Das wird eine tolle Geschichte geben! Aber ich lache still und sag' den Spaß erst am anderen Tag.

Es war die genötige Schnittzeit, da wird bis in die späten Abende hinein gearbeitet, da ist's nichts mit dem Talergucken. Ich vergaß auch bald darauf, ich mußte Garben tragen und dem Vater die Kornschöberlein aufspreizen helfen. Auch waren die Kirschen reif, eine Zeit fruchtlosen Plangens für mich, denn ich wagte noch nicht den Stamm emporzuklettern und das Niederziehen der Äste vermittelst Haken war verboten; wenn ein Ast brach, da war mein Vater streng. Das mutwillige Abreißen von Ästen nannte er: Den Nachkommen Kirschen stehlen. Das war freilich ein garstiges Wort und verzichtete ich schließlich doch lieber auf die so hellrot niederleuchtenden Kirschen bis zum Samstagfeierabend, wenn sie mir der Vater regelrecht herabholte oder es der Hiasel tat, der ein arger Kletterer war.

Damals erfuhr ich, was ein Spottwort vermag. Als der Hiasel hoch oben an einem schaukelnden Aste saß und ihm bei jeder Schwenkung des Hauptes die frischen Kirschengabelein förmlich in den Mund hineinhingen, rief er zu mir nieder ins Gras, es wäre eine Schande, daß ich noch auf keinen Kirschbaum könne! und warf mir – der ich die Haube nach Kirschen auftat – ein paar feuchte Körner hinein. Ich sprang ergrimmt an den Baumstamm und in wenigen Augenblicken war ich zu meiner eigenen Überraschung oben beim Hiasel.

Ich wollte eben der Jubelstimmung über meine plötzlich[290] eingetretene Mannhaftigkeit in einem hellen Juchschrei Luft machen, als neben im Hause auf ein mal ein unheimlicher Lärm entstand. Der Toni sprang wie rasend zur Tür heraus, hielt mit beiden Händen seinen grauen Kopf und schrie: »Mein Geld ist weg! Mein Geld ist weg!«

Ihm folgte mein Vater: der Toni solle sich doch nicht den Kopf wegreißen, das Geld würde sich ja finden, er ließe das ganze Haus durchsuchen. Ein paar Dienstmägde zeterten: das wäre ihnen auch auf der Welt noch nicht passiert, daß sie sich aussuchen lassen müßten, wie Schelminnen, aber sie täten es von selber, würfen dem Bauer all ihre Habseligkeiten vor die Füße, Stück für Stück, und solle er schauen, ob die dumme Talerbüchse darunter sei.

»Die dumme Talerbüchse!« stöhnte der alte Knecht, »o Bauer! mein Bauer! Das Herz möcht' mir zerspringen vor lauter Unglück!« und er hub an laut zu gröhlen und ging, immer noch den Kopf zwischen den Händen haltend, ums Haus herum, als müsse die Talerbüchse irgendwo auf dem grünen Rasen liegen.

Jetzt hörte ich auch die Stimme meiner Mutter, welche darüber schalt, daß die Leute an ihren Gewandtruhen die Schlüssel stecken ließen, daß sie damit leicht ein ganzes Haus in Unehr' bringen könnten; sie halte aber dafür, der Toni hätte in seiner verrückten Weise das Geld aufs Kornfeld mitgeschleppt und dort verloren. Seit Wochen sei kein Bettler, kein Handwerksbursch' oder sonst ein Fremder in den Hof gekommen und daß im Haus kein Dieb lebe, dafür lege sie sich ins Herdfeuer.

Mir, der ich auf dem Kirschbaumast hockte, war[291] wunderlich zumute. Wenn ich jetzt nur wieder unten wäre, das Ding geht schief.

Im Hause wurde der Hiasel gerufen.

»Wenn's eins im Haus getan hat – niemand anderer als der Hiasel!«

Als der Junge dieses Wort gehört hatte, sprang er vom Baum mit einem kecken Schwunge über die Äste hinweg auf den Erdboden. Bald war er von den Leuten umringt. Der Toni hatte seine Fassungskraft wieder erlangt, er faßte daher den Hiasel am Arm und fragte, wo er das Geld habe!

Der Bursche war im Gesichte röter als die reifste Kirsche und sagte, er wisse von keinem Gelde.

Das Leugnen würde ihm nichts nützen. Man wisse bestimmt, daß er die Taler genommen habe!

Auf eine solche Anschuldigung ist der Bursche – überhaupt ungewandt im Reden, aber gewohnt, herrischen Aussprüchen sich zu fügen – ganz stumm geworden. Er stand da wie ein Stück Holz und starrte den Ankläger schier seelenlos an.

»Wenn du's willig hergibst, Hiasel, mein Geld,« sprach der Toni in milder, fast bittender Weise, »so geschieht dir nichts; ich lege beim Waldbauer ein Gebitt ein, daß er dich frei laufen laßt. Wenn du aber leugnest, so schlage ich dich tot!«

Und ich? Als ich merkte, welch schreckbare Wendung mein »Spaß« zu nehmen begann, und daß die Sache jetzt gar nicht einmal wie ein Spaß aussah, und als ich eine Geisterstimme hörte: das was du getan, war Diebstahl! – da war wohl mein erster Gedanke: alsogleich[292] sagen, du hast das Geld hinter der Gewandtruhe unter den Holzsparren gesteckt. – Aber sehr rasch rief eine andere Stimme: das wäre zu gefährlich! Siehe, jetzt reißt er schon die Heckenrute ab, die kriegst du, sobald du das Wort sagst! – Denn das Gesicht des alten Knechtes war ganz schreckbar anzusehen, die Wut, die Ratlosigkeit und den Jammer habe ich in meinem Leben nirgends so scharf ausgedrückt gefunden, als damals auf dem Angesichte des Toni. Da gab's nichts zu lachen!

Wohl totenblaß mag ich gewesen sein, als ich mich hinter den Kirschbaumstamm schlich, dann plötzlich kehrt machte, ins Haus eilte, ins Dachgelaß hinauf, die unselige Talerbüchse aus ihrem Versteck holte und in die sperrangelweit offene Gewandtruhe des alten Knechtes warf.

Als ich hernach wieder zum Kirschbaum zurückgekommen war, lagen von der Heckenrute nur mehr die weißen Splitter umher auf dem grünen Rasen; die Leute verzogen sich grollend und scheltend und den Waldweg entlang wankte der Bursche mit zerrauftem Haar.

Der Knecht wimmerte im Hause umher, der Vater trat zu mir und sagte, ich hätte nun gesehen, wohin Unehrlichkeit führe; den Hiasel habe er verjagt und ich solle nun wieder auf den Kirschbaum steigen.

Jetzt sag's! Jetzt sag's! rief es ungestüm in mir. Aber ich habe es nicht gesagt. Mir war, als könnte ich es nicht mehr sagen, als sei schon zuviel geschehen. Ich war ja fürs ganze Haus das fromme, gutmütige Bübl, das schier den ganzen Katechismus auswendig wußte und das heilige Evangelium lesen konnte so schön und kräftig, wie der Pfarrer auf dem Predigtstuhl, ich sollte nun als Dieb und Schuftlein dastehen! Hatte ich nicht[293] die haarsträubende Entrüstung der Leute gesehen, die sich in allen Formen über den armen Hiasel entleert? Über mich mußte es noch ärger kommen, denn ich war ein doppelter Bösewicht. Für einen solchen ist es doppelt unklug, sich zu verraten – und ich habe nichts gesagt.

Hingegen bin ich jetzt fortgegangen, den Waldweg entlang, um den Hiasel zu suchen. Ich bin, wie der Steig führt, in den Schmiedhofgraben hinabgegangen und jenseits wieder emporgestiegen zu den Hochwaldungen des Teufelssteingebirges. Und auf der Höhe, dort wo der weite grüne Anger liegt mitten im Wald und wo das rotangestrichene Christuskreuz steht, dort habe ich ihn gefunden. Er lag unter dem Kreuze und schlief und sein Antlitz war verweint.

Über den schwarzen Baumwipfeln lag die Abendröte, kein Lüftchen und kein Laut war auf dem dämmernden Anger – ich saß neben dem schlafenden Burschen und schluchzte – Kinder weinen oft, aber es wird wohl selten sein, daß eins so bitter bitterlich weint, als ich's damals getan habe, da ich Wache hielt vor dem schlummernden Jungen, dem so grob Unrecht geschehen war.

Wecken wollte ich ihn nicht. Er war ja so müde gehetzt. Daß er unschuldig ist, das weiß er und wird ihm's sein lieber Schutzengel auch im Traum sagen. Er hat nicht Vater und Mutter, er hat nichts Gutes auf der Welt, und wenn ihm jetzt schon fremde Sünden zugeworfen werden, weil ihn kein Mensch in Schutz nimmt, wie erst, wenn er groß ist und es die schlechten Leute inne werden: das ist einer zum Tragen und Büßen...! Er soll schlafen.

Ähnliches mag ich gedacht oder gefühlt haben und[294] ein unendliches Mitleid kam über mich, eine Reue und eine Liebe, und ich wußte mir vor Weinen nicht zu helfen. Als er sich einmal ein klein wenig bewegte, da ging's mir heiß durchs Herz und mir verging der Mut, es ihm zu sagen, daß ich das Schelmenstück getan hätte, wofür er mißhandelt worden. Konnte ihn das nicht gegen mich empören, wütend machen? Konnte er mich nicht auf der Stelle totschlagen in diesem finsteren Wald und mir dabei zuschreien: die Strafe dafür hätte er schon im voraus empfangen?

Aber – und das allein ist's, was aus jenem bösen Tage heute noch milde auf mich herüberschaut – ich blieb neben dem Schlummernden kauern und war entschlossen, nicht eher von ihm zu gehen, als bis ich ihm alles gestanden und abgebeten hätte. Dann wollte ich ihn mitnehmen hinein in mein Vaterhaus, daß er alles dort habe, was ich bisher gehabt, und das so lang', so lang, als die Heckenruten wachsen neben dem Kirschbaum.

Bevor jedoch der Hiasel aus seiner schweren Betäubung erwachte, kam was anderes. Den Waldweg heran knarrte ein Leiterwagen, bespannt mit zwei Ochsen, die ein Mann leitete. Der Stegleitner von Fischbach war's, er fuhr von seinem Walde heim – ich kannte ihn von einem Ochsentausche her, den er etliche Wochen früher mit meinem Vater abgemacht. Trotz der tiefen Dämmerung erkannte ich auch die Ochsen als jene, welche er von uns fortgeführt hatte. Das heimelte mich an. Als der Stegleitner hier unter dem Kreuze einen schlafenden und einen schluchzenden Jungen fand, war er gar erschrocken und fragte, was das zu bedeuten habe.[295]

Und vor den Stegleitner bin ich hierauf hingekniet, als ob er der Bestohlene oder der Mißhandelte gewesen wäre, und habe ihm wohl mit gefalteten Händen alles erzählt.

Ter Stegleitner war ein ruhiger, ernster Mann; als ich fertig war, fragte er nur, ob ich fertig wäre, und da ich schwieg, hat er mir folgendes gesagt: »Mit dem Hiasel hast du und hat dein Vater nichts mehr zu schaffen, der gehört jetzt mein, ich nehme ihn mit mir. Abbitten wirst du ihm's, wenn du größer geworden bist, denn das – mußt du wissen – verjährt nicht. Für jetzt werde ich ihm sagen, was zu sagen ist, daß sein Schutzengel seine Unschuld aus Licht getragen hat. Mehr braucht er nicht zu wissen. Und du, Waldbauernbub, gehst jetzt heim, und was du zu tun hast, das weißt du.«

»Das Geld ist schon zurückgegeben,« berichtete ich gefaßter.

»Das Geld ist Mist,« sagte der Stegleitner, »die Ehre gibst zurück. – Mein Kind!« fuhr er fort und richtete mich mit seiner Hand auf, »schau, dort oben heben jetzt die Sternln an zu leuchten. Sie schauen nieder auf dich, wenn du bei der Tür eintrittst in dein Vaterhaus, sie sehen, was du tun wirst und was lassen – und sie brennen fort, bis zum Jüngsten Gericht t«

Die Worte waren ruhig, fast leise gesprochen, und doch war mir, als bebe vor ihnen der Erdboden unter meinen Füßen.

Der Stegleitner blieb mit seinem Gefährte noch stehen bei dem roten Kreuz; ich tat einen kurzen Blick auf den Schläfer und war mir, als sähe ich das Bild eines Heiligen. Dann ging ich heimwärts; ging und lief und ahnte Gespenster, die mir folgten.[296]

Als ich gegen unser Haus kam, hörte ich schon von weitem die Stimme meiner Mutter, die meinen Namen rief.

»Was das für ein Tag ist!« klagte sie, »Geld und Kinder werden gestohlen, da müssen doch rein Zigeuner im Land sein!«

Aber Geld und Kind hatte sich nun glücklich wieder gefunden und in der Stube kniete der Vater am großen Tische, knieten die anderen Leute an den Wandbänken herum und sie beteten laut und gemeinstimmig den üblichen Samstagsrosenkranz. Mir war wohl und weh. Ich kniete zum alten Knecht, dem Toni – recht nahe an seine Seite hin – und begann laut mitzubeten. Sie wiederholten immer wieder das Vaterunser und das Ave Maria und ich stimmte in den surrenden Ton mit ein und sagte fortwährend: »Lieber Knecht, vergib mir meine Schulden, ich habe dir das Geld gestohlen! Lieber Knecht, vergib mir meine Schulden, ich habe dir das Geld gestohlen! Lieber Knecht, vergib mir meine Schulden, ich habe dir das Geld gestohlen!«

Weil der Toni entweder stark schläfrig war, oder weil er während des Rosenkranzes in Gedanken an die wiedergefundene Talerbüchse schwelgte, so währte es ziemlich lang', bis ihm mein wunderlicher Text auffiel. Endlich hub sich seine Stirnhaut und sein Ohrläppchen an zu bewegen, er wendete sachte sein entsetztes Gesicht und schrie in die Stube hinein, man solle still sein und den kleinen Buben allein weiterbeten lassen.

Und als von solcher Unterbrechung überrascht alles still war, duckte ich mich in den Wandwinkel und wimmerte laut: »Ich habe das Geld genommen!«[297]

Der Rosenkranz war für heute aus. Die Begebenheiten spitzten sich nun rasch und scharf einem herben Ende zu, welches Ende jedoch durch den Umstand, daß der Hiasel geborgen war und von seiner Ehrenrettung bereits durch den Stegleitner Kenntnis haben mußte, bedeutend gemildert worden ist.

Von diesem verhängnisvollen Tage an ist der Talerbüchsentoni nicht mehr lange bei uns geblieben. Aber zum Abschiede nahm er mich an seine Gewandtruhe. Dort öffnete er würdevoll die Büchse und schenkte mir daraus ein funkelndes Tälerlein als – Finderlohn.

Nach Jahren, als der Toni mühselig und krank geworden war, wollte er mit seinem Silberschatze eine »wundertätige Kapelle« stiften, was ihm aber der Pfarrer entschieden mißriet. Hingegen ward ihm nahegelegt, ob er nicht einem braven Bauernburschen, dem dieser Silberlinge wegen einmal unrecht geschehen,: in kleines Angedenken hinterlassen wolle?

Aber der Hiasel war nicht im Lande. Er war lange im Stegleitnerhofe gewesen und man hatte schon davon gemunkelt, daß er dort die hübsche Haustochter heiraten werde – da wurde die Gegend plötzlich geräumt. Alle jungen, kräftigen Männer mußten fort. Es war die Zeit, in welcher nach dem Sprichwort die Weibsleute um jeden Stuhl raufen, auf dem einmal ein Mannsbild gesessen. – Wie die Meereshochflut, die den Damm zerreißt, so wollte der Feind ins Vaterland herein. Der Hiasel kam mit einem durchschossenen Fuß zurück.

»Armer Bursch,« so begrüßte der alte Stegleitner den Heimkehrenden, »jetzt bist ein zweitesmal unschuldigerweis' geschlagen worden.«[298]

»Ich trag's,« antwortete der Hiasel, »mir ist's nur ihretwegen hart!«

»Was ihretwegen!« sagte der Bauer, »ihre Ahndl, meine Mutter selig, hat auch einen hinkenden Mann gehabt. Dirndel, geh' her! Schau, der Krumme kann dir nicht so leicht davonlaufen. Der lieb' Herrgott geb' seinen Segen dazu!«

Heute ist der Hiasel angesehener Stegleitner. Ob er das Andenken vom Talerbüchsentoni erhalten hat, weiß ich nicht. Gebührt hätte es ihm.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 1: Das Waldbauernbübel, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 11, Leipzig 1914, S. 285-299.
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