Der Preuß' in der Waldheimat.

[110] Das Jahr 1866 war den Bewohnern meiner Waldsheimat durchaus nichts mehr Neues gewesen. Dort war schon in den Fünfzigerjahren »der Preuß'« eingedrungen. Wir Halterbuben kletterten manchmal an seinen Brennholzstoß hinauf und guckten ihm zum Fenster hinein, beim Grabenhäusel, wo er Wohnung genommen hatte. Das war ein anderes Fenster, als die Fenster der übrigen Bauernhütten! Das alte Grabenhäusel unter der Felswand und den zerzausten Hollerbäumen hatte eine unbeschreibliche Herrlichkeit angenommen, seit es von »Preußen« bewohnt war. Die braunen Holzwände hatten eine Kalktünche bekommen, so daß sie aussahen wie das Herrenhaus in Krieglach. Die kleinen Guckfenster, zu denen vor Zeiten der alte einäugige Grabenhäusler kaum das kleine Kahlköpflein herausstecken konnte, waren vergrößert worden wie Wirtshausfenster. Später, als das Geschick des »Preußen« sich erfüllt hatte, standen sogar Töpfe mit Grüngewächsen und blauen »Veigerln« auf dem Gesimse und dahinter Vorhänge, die so rot waren, wie Kirchenfahnen. Und wer so gut auf dem Scheiterstoß saß, daß er zwischen den Vorhängen in das Stübchen gucken konnte, der sah eine unerhörte Pracht. Da waren an der Wand geheimnisvolle Bilder, deren Darstellung man nicht erkennen konnte, deren breite Goldrahmen aber im dunkeln[111] Zimmerlein viel Sonnenschein ausstrahlten. Dann gab es auf dem Tisch ein buntes Tuch, auf welchem Bücher lagen, und eine beinerne Tabaksdose. An der Wand eine breite dunkelgrüne Polsterbank, deren Lehnen mit weißen Sticktüchlein behangen waren. Daneben ein schwarzer lackierter Schubladkasten mit messingbeschlagenen Griffringen. Auf diesem Kasten unter einem hohen Glassturze ein elfenbeinernes Gestell, das wie ein Altärlein gebaut war, statt des Tabernakels aber ein weißes Zifferblatt hatte. Daneben allerhand Figurlein, Kästlein, gemalte Gläser und Krüge, wie derlei in keinem Hause von Alpel geschaut worden war. Was sich weiter in den Winkeln noch befand, das konnte nicht gesehen werden, maßen selbst ein Halterbubenaug' durchs Fenster um die Ecke nicht zu gucken vermag. In diesem Hause nun hauste der »Preuß'«. Er selbst aber war nicht zu erblicken, er war tagsüber weiter oben in der Waldschlucht bei einer kleinen Branntweinbrennerei tätig, die er sich hergerichtet, sowie auch das Grabenhäusel nach seiner Besitznahme von ihm die unerhörten Veränderungen erfahren hatte. Gekommen waren die Sachen auf mehreren Blachenwagen, ähnlich wie sie die Schleifersleute haben, oder Schaufelschnitzler, Korbflechter und andere fahrende Leute. Der »Preuß'« selbst war nicht etwa drangespannt gewesen, um in Gemeinschaft mit einem mageren Hunde das Gefährte zu ziehen, nein, er war vorne auf dem Bocke gesessen neben dem Fuhrmann, sein Gewand war feierlich schwarz, die Hemdärmeln, die man sah, weil es heiß war und er keinen Rock anhatte, waren grau gestreift und hatten an den Ellbogen Flicken. Er trug einen langen roten Bart und auf dem kleinen Näschen blaue Hornbrillen, die dem Manne etwas Geheimnisvolles und Ehrwürdiges verliehen, obschon er im Grunde noch kein graues Haar unter dem roten gehabt hatte.[112] Anstatt des Filzhutes, wie ihn bei uns daheim jeder ordentliche Mensch trug, hatte der Fremde ein schwarzes Käpplein mit glänzendem Lederschilde. Auf dem Schoße hielt er einen kleinen fuchsroten Hund, von dem er sich das Gesicht lecken ließ. So war er angefahren und wir wußten nicht, kam da ein vornehmer Herr oder einer von der entgegengesetzten Seite. Wir hatten nur gehört, daß der Mann aus dem Preußenlande sei. Da hatten wir schon genug. Jemand wußte, daß im Preußenlande lauter Lutheraner lebten! Dieser Herr war am Ende auch so einer, er lugte durch die blauen Brillen gerade so drein, als wie wenn es mit seiner Seele nicht geheuer wäre; als ihm das Hündlein einmal bei der Liebkosung mit der Pfote ungeschickterweise die Hornbrille von der Nase gestreift hatte, sah man kleine grünlichgrau schillernde Augen. Und erst, wenn er sprach! »Der hat ja alle Buchstaben (es waren wohl die Laute gemeint) im hinteren Gaumen oben!« äußerte sich der Schneider Steff; wenn der Mann den Mund auftat und seine Wörter stoßweise hervorschnarrte, so war es zu hören wie eine Karfreitagsratsche. Anfangs hatten die Leute kein Wort verstanden, er mußte handgreiflich werden. Er griff in die Hosentasche, zog einen aus roter Wolle gestickten Beutel hervor, verschob daran das Messingringlein, so daß das Eingeweide auf die flache Hand herausrieselte. Mit Silbermünzen begann er zu sprechen, und siehe, das begriffen die Leute schnell. Das Grabenhäusel hat er gepachtet, Holz, Milch, Butter, Brot, Eier, kurz alles, was der Mann brauchte, bezog er von den Waldbauern und alles zahlte er mit barer Münze. Sogar den Strohschaub für ein Bett wog er meinem Vater mit einem Silberzwanziger auf, obschon bei uns daheim seit Erschaffung der Welt kein Bettstroh für Bargeld verkauft worden ist. »Für den Schaub[113] ein Vergelt's Gott ist genug!« sagte mein Vater zum Preußen, dieser aber entgegnete: »Sehn Sie mal, Bauer, 'n Silberzwanziger ist mehr!« Mein Vater nahm zwar das Geld, steckte es aber in einen anderen Sack, als wo die gut katholischen Kupfermünzen waren, denn der Knecht Markus – es war aber Schalkheit dabei – hatte ihm gesagt: »Gib Achtung, Lenz! Laß das lutherische Silberböcklein nicht zu den Kupferschafen! Für was Gutes wirst mit diesem Geld nicht viel Segen aufheben. Das gescheiteste, du vertrinkst es.« Mein Vater wollte aber auch keinen lutherischen Rausch haben. »Na, nachher machst es so!« sagte der Markus, nahm ihm den Silberzwanziger aus der Hand, ging zur Tür, wo das Weihbrunngefäß hing, tauchte ihn hinein, hielt ihn dann mit zwei Fingern hoch in der Luft und sprach mit feierlichem Tone: »Jetzt ist er getauft!« Denn zur Zeit hat man in jenen Gegenden die Lutheraner – und wären sie selbst von Silber gewesen – für Heiden gehalten.

Beim Preußen stimmte es aber nicht. Der ging am Sonntag in die Kirche nach Krieglach, wie wir anderen. Er stand stets am Seitenaltar vor dem Dreikönigsbild und benahm sich ganz anständig. Auffallend war es nur, daß er beim gemeinsamen Rosenkranzgebet das Vaterunser allemal vernehmlich, wenn auch stark aus dem Hintergaumen hervor, mitbetete, beim Ave Maria jedoch keinen Laut von sich gab. Solche Widersprüche mußten näher untersucht werden.

So hockten wir eines Tages auf dem Holzstoß, den der »Preuß'« an der Außenwand seines Hauses geschichtet hatte und guckten zum offenen Fenster hinein. Den Mann wußten wir zur Stunde oben in der Schlucht bei seinen dampfenden Branntweintöpfen. Der Heidenflorl hätte gerne gewußt, wie es sich aus der beinernen Dose schnupft, die[114] auf dem Tische lag. Der Haltergustl hätte gerne versucht, wie es sich auf der grünen Polsterbank langhingestreckt liegt und mir wäre für alle Welt um das schwarzgebundene Buch zu tun gewesen, das neben der Dose geheimnisvoll-feierlich dalag. Vielleicht war es das Buch vom Martin Luther! Dann durfte es kein Christenmensch anrühren. Aber, wenn er's nicht anrühren darf, nicht aufschlagen, wie soll er dann erfahren, daß es das Lutherbuch ist! – Ich weiß nicht mehr, welcher von uns dreien den Vorschlag gemacht, durchs Fenster einzusteigen. Dieweilen ich darüber nachdachte, ob es zu wagen wäre, waren die Kameraden schon drinnen. Und – wups, stand ich auch in der Stube. Da gab's einen bremseligen Geruch, ganz eigen. Der Gustl streckte sich sosofort auf der Polsterbank, gab derselben mit seinem Hinterteil etliche Stöße, so daß das Zeug schwellend auf- und niederwogte. Der Florl untersuchte die Stockuhr; ich faßte Mut und schlug das schwarze Buch auf. »Kurzgefaßte Anleitung zur Destillation von Ebereschenbeeren.« – Jetzt wußte ich erst noch nicht, war der Mann Christ oder Heide. Der Florl fand an der Uhr weiter nichts auszusetzen, nahm die Schnupftabaksdose, versuchte sie mit den Fingernägeln auszumachen, was ihm auch gelang, aber so, daß das feuchte schwarze Pulver auf den Tisch niederpatschte. Über das Mißgeschick erschrocken, huben wir alle drei an, mit den Fingern den Schnupftabak in die Dose zu fassen, da kam plötzlich einem das Niesen an, sogleich auch dem anderen, und bald niesten alle drei wie bezahlt.

»Potztausendmillion, ist jemand in der Bude!« schnarrte draußen eine Stimme. Der Schlüssel rasselte im Türschloß, wir purzelten zum Fenster hinaus, aber der letzte, der Florl, tat einen kreischenden Schrei, er fühlte sich am Bein gepackt und zurückgezerrt in die Stube. Der »Preuß'«! – Wir[115] beiden anderen waren hinter die Hollerbäume gestoben und glotzten uns sprachlos an. »Na nu!« hörten wir von drinnen, »die Diebe läßt man mal 'n bißchen hängen, wie?« – Diebe? – Wenn es so stand, konnten wir jetzt nicht davonlaufen, den Kameraden nicht im Stich lassen. Wir müssen hinein. »Geh' du voraus!« flüsterte ich dem Gustl zu und wollte ihn durch die Tür schieben. »Geh' du voraus!« gab er zurück und schupfte mich hinein. – Der Preuß' war schrecklich anzusehen. Nicht sein seines Sonntagsgewand hatte er am Leibe, sondern einen groben Zwilchkittel mit Brandflecken. Der rote Bart krauste sich wirr auf, die Brillen baumelten, nur noch an einem Ohr hängend, an der Backe, seine Augen mit den strohfalben Wimpern waren bloßgelegt, der scharfe Blick war so krumm wie eine Fischangel und damit schien er den armen Florl festzuhalten. Denn dieser stand wie eingebohrt in der Stube und war totenblaß, und seine braunen Augen zuckten hilflos wie zwei gefangene Vöglein umher. Mich macht die Gefahr trutzig, mir ist in ihrem Angesichte allemal, als müßte ich sie schüren, daß sie einen recht großen Brocken gibt. So auch damals. »Herr Preuß'!« sagte ich, »wir sind keine Diebe. Wir sind halt beim Fenster hereingestiegen, weil wir das Glumpert da herum haben anschauen wollen.« Hazih! Denn die Nase hatte sich wieder soweit erholt vom Schreck, daß sie ihrem herkömmlichen Brauch obliegen konnte, bei Schnupftabak zu niesen.

»Zur Genesung, junger Herr!« spottete der Preuß'. »Wollen Sie man Ihre Taschen umkehren.«

»Das nicht!« schrie ich und biß in seinen Rockärmel, weil er schon Hand anlegen wollte. Es hätte sich ein abscheuliches Gemenge zugetragen, wenn nicht zur Stunde der Almhausel hereingekommen wäre. Der Almhausel war[116] ein großer, derbknochiger Mann mit einem ganz seinen, fast zirpenden Stimmlein.

»Sind die Buben 'leicht über Ihner Branntweinhäfen 'kommen?« fragte er zierlich den Mann.

»Zu den Fenstern sind sie 'reingestiegen, die jungen Herren!«

»Beim Fenster sind wir wohl hereingestiegen,« berichtigte ich, »aber Herren sind wir keine und gestohlen haben wir auch nichts. Ob er ein Lutherischer ist, das haben wir wollen wissen!« Damit glaubte ich, unser Eindringen vollgültig entschuldigt zu haben. Doch gestaltete sich durch mein Geständnis die Sache wesentlich schlechter. Der Almhausel meinte, daß man durch Einbruch erstens weder seine katholische Gesinnung sonderlich beweise, und zweitens, daß die Lutherischen ihren Glauben nicht daheim auf dem Tisch liegen ließen, während sie oben in der Waldschlucht Branntwein machten.

»Hab' gemeint, daß es dem Martin Luther sein Buch wäre!« gestand ich, auf die Anleitung zur Destillation zeigend.

Da riet der Almhausel, um der Weltgeschichte einen anderen Lauf zu bereiten, dem »Preußen«: »Jagen's das Bubenwerk davon und verkaufen's mir ein Glasel Kranabethenen.«

Für uns »Bubenwerk« war diese Fenstergeschichte nun zwar abgetan. Doch hatte sie eine Folge. In den Heugräben bei Alpel lebte eine junge Holzmeisterswitwe, eine kleine, recht geschmackige Person, die immer am »Rematischen« litt. Sie ging stets mit verbundenem Kopfe um, so daß man das rotwangige Gesichtel nur partienweise zu sehen bekam, an einem Tage die rechte, am anderen die linke Backe; oder sie trug um das Kinn ein wulstiges Tuch,[117] wie der Soldat das Helmband, und sie zog dieses Tuch über den Mund hinauf wegen »der scharfen Luft«, wobei dem männlichen Kennerblicke wieder die vollen kirschroten Lippen vorenthalten blieben. 's ist halt ein Kreuz, wenn man alleweil das »Rematische« hat, einmal im Kopf, einmal in den Zähnen, einmal in den übrigen Gliedern, daß man oft nächtelang nicht schlafen kann. Und die Leute denken nicht daran, was eine verlassene Witwe leiden muß.

Der »Preuß'« dachte dran. Er hatte sie im Walde beim Schwämmesuchen kennen gelernt und gefragt, weshalb sie den Beißkorb trage vor dem Mund? Sie nahm ihm die ungeschickte Rede nicht übel und erzählte treuherzig von ihrem »Rematischen«. Da gab er ihr fürs erste Ebereschenbranntwein zum Einreiben. Solange sie rieb, war's gut, dann hatte sie wieder ihr »Rematisches«. Dann riet er ihr, sich abends vor dem Schlafengehen in ein warmfeuchtes Tuch einschlagen zu lassen und erbot sich zu Diensten. Sie tat's aber allein und am nächsten Tage war es schlimmer, als vorher. – Schließlich mußten sie doch auf das rechte Mittel gekommen sein, denn die Witwe half dem »Preußen« Ebereschenbeeren sammeln und ihr Gesichtl war nicht mehr verbunden.

So stand es zur Zeit, als wir dem »Preußen« in die Stube gestiegen waren, und als nun der Almhausel bei ihm saß und das »Stamperl Kranabethenen« austrank, so oft es sich gefüllt hatte. Und sagte unter anderem Gespräch plötzlich der »Preuß'«, wenn es sich so verhielte, daß ihm die Leute schon bei eitel Tageslicht zum Fenster hineinstiegen, so würde er künftighin allein nicht leben können.

»Werden's halt ein bösen Haushund müssen anschaffen,« meinte der Almhausel.

»Ne was!« schnarrte der »Preuß'«, »'n Weibsen werd'[118] ich mir mal anschaffen.« Und rückte kühnlich hervor mit der von den Heugräben.

»Hau!« lachte der Almhausel, »die lassen's Ihna nit!«

Der »Preuß'« antwortete ganz barsch, da werde er niemand fragen, der »Kranabethene« koste drei Groschen und der Hausel möge sehen, daß er beizeiten zur Tür hinauskomme.

Der Almer sah sich verabschiedet, sagte auch nichts weiter, behielt aber doch recht. Schon am zweiten Tage, nachdem die Holzmeisterswitwe ganz unauffällig eingezogen war in das fürnehme Grabenhäusel, kam der Schragelfranz mit dem langen Stecken. Der Schragelfranz war damals in Alpel Ortsrichter und der Stecken bedeutete die Würde.

Die Witwe tat wie eine Hausfrau, rückte dem Schragel einen der Polsterstühle zurecht, fächelte mit der Schürze allfälligen Staub ab und lud zum Niedersitzen ein. Der Richter blieb stehen und pflanzte seinen Stab auf vor den Augen des Weibes, dem jetzt schier ein wenig unheimlich zu werden begann.

Der Richter stand großartig da. Nun öffnete er seinen Mund, hielt ihn ein Weilchen offen und ließ ihn dann wieder zugehen. Er hatte eine Anrede im Kopfe und fand dazu den Anfang nicht. Dabei war ihm die strenge Richtermiene abhanden gekommen und nun setzte er sich nieder. Jetzt kam auch der »Preuß'« herein, stellte sich neben die Witwe hin, daß man sah, wie gut sie zusammenstanden, und fragte dann den Richter, ob Geist gefällig wäre?

Der Richter antwortete, Branntwein trinke er aus Sittlichkeitsgründen nicht, außer es wäre guter Weichselgeist. Dann begann er mit dem Stabe auf das Fletz zu klöpfeln und endlich – als er die beiden groß angeschaut hatte – begann er zu sprechen: »Also, jetzt hätte ich euch einmal[119] beisammen, dich, Preuß' mit der, und dich, Holzmeisterin, mit dem. Und jetzt muß ich euch sagen, daß ihr nit beisammenbleiben dürft, daß ihr wieder auseinander müßt. Und das heut' noch. Ich leid's keine Nacht mehr länger, und desweg bin ich da, und die Holzmeisterin muß auf der Stell' mit mir gehen. Unsereiner hat die Verantwortlichkeit und ich laß euch nit beieinander. Keinen Tag mehr länger. Ich leid's nit. Und desweg muß sie mit mir.«

Als der Richter merkte, er wäre in seiner Rede bereits zweimal herum und es wiederhole sich möglicherweise immer so, schloß er ab und stieß den Stab scharf in den Boden – gleichsam: punktum.

Die Holzmeisterswitwe schaute ein wenig verblüfft auf zu ihrem »Preußen«, und was der jetzt sagen werde. Dieser sagte gar nichts, sondern lachte scharf auf. Das Lachen ging dem Richter durchs Mark. Er war hier zwar der Höhere, aber nicht der Stärkere, und im Lachen lag's: Wollen mal sehen! –

»Und wenn's auch wär',« sagte der Schragelfranz sänftiglich, »daß ich euch heut' noch beieinander ließ', freiwillig – so kommen morgen die Schandarn! – Heiraten? Ihr zwei zusammen? Das ist eine dumme Red'. Ein Lutherischer! Das wär' noch schöner! Zwiescheckige Kinder! Das darf nit sein. Ich sag' es euch. Und gesagt hab' ich's euch und jetzt geh' ich wieder.«

Er ging und die zwei blieben.

Am nächsten Tag kamen die »Schandarn« noch nicht, aber acht Tage drauf kamen sie.

Die Holzmeisterswitwe wollten sie »davontreiben«. Aber das kleine Weibsbild schaute auf die großen Landwächter von oben herab, vom Söller, und drällerte ein Spottliedchen:
[120]

»Mei Schatz is a guata Bua,

Is a Schandar.

Sei Pulver is naß

Und sei Taschl is lar

Er hat a schöns Ketterl mit,

Schliaßt aber nit,

Er hat a schöns Hüaterl auf,

Grüaßt aber nit.

Er hat an schwarn Spiaß ban eahm,

Sticht aber nit,

Er hat a seins Büchserl um,

Schiaßt aber nit.«


Das ließen sich die Gerichtsboten nicht zweimal sagen, doch als sie dem Weibe das »schöne Ketterl« um die Hände legen wollten, tat der »Preuß'« in der Eile eine schneidige Wachebeleidigung, so daß sie jetzt auch ihn mitnehmen mußten.

Nun hatten aber die »Schandarn« nur ein Handschloß, und da von einer besonderen Freundschaftlichkeit der beiden Leute gegen die Landwächter keine Spur war, so wurden die beiden, der »Preuß'« und die Witwe, aneinandergeschlossen, er an der rechten, sie an der linken Hand, und so stapften sie, von der Ehrenwache begleitet, die Straße entlang.

Der Bezirksrichter in Kindberg mußte freilich lachen, als er sah, wie dieses Paar, das behördlich getrennt werden sollte, behördlich zusammengeschlossen worden war.

»Tut's weh, das Kettel?« fragte er die Witwe und befühlte ihr gefesseltes Handgelenk.

»Aber nit ein bissel tut's weh,« antwortete sie frisch.

»Na, wenn's nicht weh tut,« sprach der Bezirksrichter, »so wird sich ja wohl ein Mittel finden lassen, daß statt diesem Band ein anderes angelegt werden kann, eins, das nur die Untreue brechen kann oder der Tod.«[121]

»Die Untreue gewiß nit!« schrie die Witwe.

»Na nu, und der Tod ooch nich,« setzte der »Preuß'« bei, »denn weil zwee verliebte Christenleut' in Ewigkeit zusammenhalten wollen.«

Wenige Wochen später ist das Ehepaar eingezogen ins Grabenhäusel zu der fürnehmen Stockuhr, zu den güldenen Bilderrahmen und zu der grünen Polsterbank. Ich habe später noch ein einzigesmal ganz flüchtig zum Fenster hineingeguckt nach dem Lutherbuch und der Tabaksdose. Auf der Polsterbank saß das Weib und hatte einen kleinwinzigen »Preußen« auf dem Schoß. –

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 110-122.
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