Ein Neujahrsmahl beim Hammerherrn.

[88] In meinem elften Lebensjahre am Silvestertag ging ich wieder einmal ins Mürztal. Ziemlich weit hinauf, in die Mürzzuschlager Gegend, bis dort, wo mein Vetter Jakob lebte und Sensenschmied war. Er hatte, als ich ankam, just Feierabend gemacht und schritt mit mehreren anderen Schmieden über die Brücke, vom Hammerwerk herüber. Er war so rußig, daß ich ihn nicht wieder erkannt haben würde, wenn er mich nicht mit zwei Fingern beim Ohr gefaßt und gezupft hätte. Das war stets seine Zärtlichkeitsbezeugung, wenn er den »kleinen Vetterbuben« sah, wie er mich nannte. Dann fragte er, wie es dem Vater ginge und der Mutter und dem Bruder und dem kleinen Schwesterl. Meine Antwort ist sicherlich fix gewesen: »Dem Vater geht's gut, die Mutter tut spinnen, der Bruder hat einen Kiniglhasen und das Schwesterl hat Zahnweh.«

»Gut ist's,« sagte der Vetter Jakob, »aber daß deine Mutter spinnen tut, das ist nit wahr. Oder ist bei euch der alte Brauch abgekommen, daß man in den Rauchnächten nicht spinnt?«

Wenn solche Buben unrecht haben, werden sie immer keck, und so sagte ich: »Was die Mutter jetzt tut, kann ich nit sagen, weil ich nicht daheim bin. Im Winter tut sie halt spinnen, weißt es eh!«[89]

»Du bist ein Schnabel,« verwies er, »ich hab' dich nit gefragt, was sie tut, sondern wie's ihr geht.«

Da antwortete ich: »Gut,« und damit war der Sache Genüge getan.

Während der Vetter dann seinen Waschtrog mit Wasser füllte, Seife, Rasierzeug und Kamm aus dem Wandkastel nahm, um sich »schön zu machen« für den hohen Feiertag, saß ich vor der Hütte auf der Bank und schaute das vornehme Hammerhaus an, das jenseits des Baches stolz wie ein Schloß dastand mit den vielen kunstvoll vergitterten Fenstern, dem zweifach ausspringenden Schindeldach, in dem es neben den weißen, schlank und zierlich gebauten Rauchfängen auch noch funkelnde Fenster gab. Sie Sonne schien schräg herein auf meine Bank, es war so lauwarm, daß ich mein Gebetbüchel aus dem Sacke zog und den Schulbleistift, und anfing, hinten auf dem leeren Blatt das Hammerhaus abzuzeichnen. Als der Bau fertig war, tat ich ein übriges und zeichnete darüber die dreieckige Mariazeller Mutter Gottes und Glanzstreifen, die von ihr gerade auf das Haus niedergingen. Denn ich hatte das Hammerhaus lieb, obschon ich nicht wußte, wem es gehörte und wer darin wohnte. Zu dem auf dem Papier war ja auch ich der Hausherr, und gerade wollte ich das Büchlein zumachen und in die Tasche stecken, als hinten von der Ecke da nach eine Hand herübergriff.

Ein dicker Herr mit rotem Schnauzer war da, der rief lachend: »Du Sauschwanz, was hast denn da?« Hat mein Kunstwerk in die Hand genommen und bewundert. Hat mich vor lauter Vergnügen über mein Talent einen kleinen Rotzbuben genannt, hat mich gefragt, wer und woher, und hat zum Schluß folgende Einladung gemacht: »Wenn du morgen noch da bist, Bauernböckel, so kannst bei mir essen[90] mit den Schmieden, und dein Kunststückel da muß ich dem Schulmeister zeigen, verstehst, Schlingel?«

Dann ging er mit kurzen Schritten davon über die Brücke.

Seiner Höflichkeit nach zu schließen war das der Hammerherr selbst gewesen. Wen so einer lachend »Sauschwanz« nannte, der stand in seiner Gunst, gleichsam geadelt. Mein Vetter, der mittlerweile so »schön« geworden war, daß man in seinem guten breiten Gesichte wieder alle Warzen sah, nannte mich obendrein einen »Teuxelsbuben«, was wieder nur eine Huldigung war, und zwar zu dem Glück, im Hammerhause zum Neujahrsfestmahl eingeladen worden zu sein.

Denn das war was! Das war mehr, als so ein Waldbauernbub denken kann. Ein Neujahrsmahl im Hammerhaus! »Brauchst drei Tag' vorher und drei Tag' nachher nichts zu essen,« sagte der Vetter. »Mußt dich um einen starken Ledergürtel umschaun, damit der Bauch seinen Reif hat. Oder mußt eine Hahnfeder rupfen, daß du dir, was zuviel ist, wieder aus der Gurgel herauskitzeln kannst.« Zur weisen Vorbereitung gab's beim Vetter an demselbigen Abend bloß ein »Wasserfaserl«.

Am nächsten Tag in der Kirche fehlte mir die Andacht. Wo denn hernehmen, wenn mir der Hammerherr das Betbüchel weggenommen hat! Nach dem Gottesdienst bin ich mit dem Vetter ins Hammerhaus gegangen. Die Luft roch schon in der ganzen Umgebung nach Gebratenem und Gebackenem. Die große »Leutstuben« war schon voller Schmiede, die an dem langen, mit Zinntellern, Stahlbesteck, Beinlöffeln und braunen Tonkrügen bedeckten Tisch herumstanden. Es waren deren wohl an die zwanzig, alle in schwarzem Festgewand oder grauem Steireranzug. Sie hatten[91] hochgefederte Hüte auf, an den Westen schwere Uhrketten mit allerlei Anhängseln baumeln und etliche sogar an den Ohrläppchen güldene Scheiblein. Sie waren so gründlich durch Haar und Bart hinein gescheuert und in so weißer Wäsche, daß man die Feuer- und Kohlenteufel der Woche nicht wieder erkannte. Ich hielt mich hinter dem breiten Rücken meines Vetters und schämte mich ein wenig, daß ich kein Schmied war.

Plötzlich rauschte eine dicke, schwarzseidene Frau durch die Stube. An den teilweise ganz soldatischen Schmiedreihen ging sie vorüber, rings um den Tisch, um die Anordnung zu prüfen. Auf ein paar versuchte Handküsse entgegnete sie: »Ja, ja, ist schon gut, ist schon gut. Später!« Damit rauschte sie in ein anderes Zimmer, wo die Herrschaft und die geladenen Ortsgrößen beisammen waren. Man hörte aus diesem Zimmer die laute Stimme des Hammerherrn und manchmal ein Gelächter der übrigen.

Nach einem gemeinsamen lauten Gebet in unserer Stube setzten sie sich zur Tafel. Zuerst der graubärtige erste Hammermeister und dann je nach Rang bis hinab zum letzten Kohlenbuben. Mein Vetter war in der Reihe der Wassergeber. Ich stand hinter dem Uhrkasten und sog in Ermanglung von anderem an meinem Zeigefinger. Ich war vergessen worden und meinte schon, mit solchem Eigenbau fürlieb nehmen zu müssen, da rief der Bärtige: »Was ist's denn mit demselbigen Bübel dort?« Und wurde ich am untersten End' der Tafel mitten in die Kohlenbuben getan. Aber auch da noch fand ich's betäubend vornehm. Daß jeder seinen besonderen Teller hatte und sein glänzendes Besteck und sein Trinkglas und sein Stück Brot daneben, mutete mich, aus dem Bauernhause, wo wir alle aus einer Schüssel aßen, an, wie eine wahre Kaisertafel; oder so, wie[92] ich mir eine Kaisertafel dachte. Aber ich habe mich mit Ehren dreingefunden. Auch andere schienen von der Würde des Tages überwältigt, sie bezähmten ihre Reden oder sagten sie leise und saßen sehr anständig da.

Es begann. Zwei Weibsbilder mit aufgekreselten Hemdärmeln trugen die Schüsseln auf. Zuerst kam eine braune Brotsuppe mit Fleischgehack. Bei der hielten mir uns eine Zeitlang auf. Die Schmiede aßen mit ihren großen Hornlöffeln so langsam, daß ich schon berechnete, wie lang' bei etwa viergängigem Mahl das Essen dauern konnte. Hernach wurde Bier eingeschenkt.

»Kriegen die Buben auch ihr Maß?« fragte der Schenk den Hammermeister

»Alles, was Manndl ist, kriegt seine Maß!« beschied der Bärtige.

Aber mir half das nichts. Seit jenem Schluck Bier, den mir beim »Bäcken« einmal ein Holzknecht reichte und den ich sofort unter den Tisch spie, war ich mißtrauisch gegen derlei. Gallhantiges Zeug oder so was. Nicht alles ist so gut trinken, wie Wasser. Und Wasser bekam ich heute nicht. Der zweite Gang brachte Brustkern mit Krennkoch. Spießte man die Fleischbrocken, tauchte sie ins Koch und verschlang sie. Dann kamen zwei Schüsseln voll Selchfleisch, eine Schüssel voll Bratwürste und ein großes Blechbecken voll Sauerkraut. Das gab Arbeit für längere Zeit. Die meisten aßen in schweigender Andacht, einer oder der andere aber begann schon Witze zu reißen, zuerst verstohlen, allmählich dreister. Manche hoben die Biergläser, tranken einander zu. Dabei fehlte es an kräftigen Ausdrücken nicht.

»Die abgestanden' Lacken! Da hat sich der Alt' schon drin gebadet!«[93]

»Batsch du! Der Alt' badet sich ja gar nit!«

Das brauchte nicht mehr verstohlen gesagt zu sein, denn im Herrenzimmer ging es schon so laut her, daß die verwegensten Reden gewagt werden konnten. Das mit dem Nichtbaden war übrigens nur des Witzes wegen gesagt, denn damals badete sich überhaupt noch niemand, am wenigsten ein Schmied. Deshalb, hat einmal einer gesagt, sei damals noch das Gebirgswasser so rein gewesen.

Nun erschien, hochgetragen von den drallen Armen der Mägde, kälbernes Bratel mit gespecktem Krautsalat. Jeder langte mit kühnem Gabelstich sein »Trumm« aus der Schüssel, schleuderte es auf den Teller und bekränzte es mit Krautsalat. Jetzt kamen auch die ersten Flaschen Wein. Weißer untersteirischer Tischwein, kein »falsches Luder«, wie es der Dorfwirt im Gebinde hat, sondern herb und echt. »Man kriegt davon seinen Rausch, aber kein Kopfweh.« Mancher Hammerherr hatte im Unterland seinen eigenen Weingarten, bloß für den »Leutwein«. Im Herrenzimmer hatten sie eine andere Gattung; wir sahen ihn nicht, wir rochen ihn nicht, aber wir hörten ihn knallen.

»Hau, bei dena drina geht's schun an!« sagte einer der Schmiede. »Knallen tuat's ban uns nit!«

»Knallen tuat's ban uns ah!« sagte ein anderer, rückte ein wenig auf der Bank und brachte dafür einen ausgiebigen Beweis. Der machte weiter kein Aufsehen.

Ich verging fast vor Durst, aber statt Wasser wurde nur Wein eingeschenkt.

»Ja, so nobel wie bei dem Waldbauern,« spottete mich einer, »künnen mir's nit geben. Aber wenn auch unser Trank nit so stark ist, wie der eurige, der Mühlräder treibt –«[94]

»So treibt er wenigstens das Radl im Kopf,« setzte ein anderer bei und zog mit dem Finger Kreislein an der Stirn. Da rückten neue Schüsseln an mit »Einmachfleisch« und »Lungenkoch«.

Auf dem Kirchturm läutete es schon das erstemal zum Segen. »So lang ma Segen im Haus hat, holt ma kein' in der Kirchen,« bemerkte ein Witzbold und wies auf das schweinerne Bratel, das eben in großen Flachpfannen auf den Tisch kam, begleitet von Schüsseln voll Triät. Der besteht in gerösteten Semmelschnitten mit Wein getränkt und mit Zimmt gewürzt – ein steirischer Leckersalat, zu hohen Festlichkeiten üblich. Dieses Gericht munterte meinen schon lange erlahmten Appetit wieder auf. Die Tropfen Wein, wovon die Semmelschnitten vollgesogen waren, schmeckten mir und brachten es dahin, daß ich nun auch aus dem Glase Wein zu trinken begann. Jetzt merkte ich erst, es sei sehr lustig, und lachte mein Teil munter mit zu den Späßen, die sich immer üppiger entwickelten.

Einer griff sich mit dem Finger in den Mund und wußte mit dem Schneller des aufgeblasenen Backens einen Knall zu erzeugen, der dem Champagnerknallen im Herrenzimmer ganz ähnlich war. Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen, der gewerkschaftliche Kohlenschreiber schaute mit brennendem Gesicht heraus und gebot Ruhe.

Diese Gelegenheit der offenen Tür wollte der Eßmeister (heut' war er's in doppeltem Sinn) benützen, um mit gehobenem Glase eine Gesundeit und ein glückseliges neues Jahr auszubringen auf den »hochehrengeachteten Herrn Vattern und die gnädige Frau Muatter!« aber schon war die Tür wieder zugefallen, so daß die Gesundheit und das glückselige neue Jahr uns selber verblieb.

Länger als drei Stunden hatte der Schmaus gedauert,[95] und als ich schon hoffte, nun würde des Guten genug sein, zündete der Hausknecht Lampen und Kerzen an, denn es begann zu dunkeln. Und jetzt kamen große, dampfende Schüsseln herein. Die Reissuppe. – Sollte es denn von neuem beginnen? Das geht ja nicht mehr, dachte ich mir; aber es ging. Bis aufs Neigerl haben wir die Suppe ausgelöffelt. »Ein' warme Suppen ist gut auf 'n nüchternen Magen!« Mit diesem Sprichwort leitete man lustigerweise die neue Epoche an. Endlich war die große, langersehnte Krapfenstunde gekommen. Auf riesigen Reittern hoch getragen, erschienen, üppig gegupft, gelblich gerandet und bräunlich geschmort, die Butterkrapfen. Alle gossen die Gläser voll mit frischem Wein. Mit den Fingern zerrissen wir die Krapfen zu Fetzen und verschlangen sie, und gossen Wein nach. Eine gewisse Wütigkeit war ins Essen gekommen, als ob aus dem Hunger, dem das Haupt abgeschlagen worden, sieben neue gierige Häupter hervorwüchsen. So lange hatten sie getrunken, bis sie besoffen wurden, und wieder so lange hatten sie gegessen, bis sie nüchtern wurden. Aber mir kreiste im Kopf das Rädchen. Bereits tanzte die große, qualmige Stube ein wenig, als in weiten flachen Schüsseln die Germnudeln kamen, über und über mit brauner, süßer Branntweintunke begossen. Und das war zuviel.

Denn es war zu wenig. Fast balgten sie sich um die walzenförmigen Kräpflein, obschon immer und immer noch frische Nachschübe kamen. – Daß sie so schwer zu sättigen waren, ist kaum zu glauben, aber daß sie gar nicht zu sättigen waren, das leuchtet ein. Wer von der Unersättlichkeit genießender Weltkinder je etwas gehört hat. Trotz der Vorräte, die alle Schüsseln und Teller deckten, war zwar allmählich eine gewisse Erschöpfung eingetreten, aber[96] in der Besorgnis, daß sie im nächsten Augenblick wieder anheben könnten, erhob sich der graubärtige Hammermeister – er torkelte ein wenig und sagte: »Wünsch' allerseits wohl gespeist zu haben.« – Er lallte ein wenig. – »Aber eh wenn ihr die Pfeifen anzündet,« setzte er bei, »wollen wir bei der gnädigen Herrschaft anfragen, ob wir danken gehen dürfen.«

Hernach suchte er die Tür zum Herrenzimmer zu gewinnen und als es ihm gelang, klopfte er an. Die Doppelflügel gingen auf. Durch Rauchqualm, auf silbernen Armleuchtern schimmerten die Kerzen. Die Tafel da drin war eine prachtvolle Ruine, noch voll beladen von den Trümmern und Resten einer großen Vergangenheit. Nur wenige saßen mehr daran; der Hammerherr, der Bezirksrichter, der Pfarrer, der Schullehrer, der russische Agent lehnten an den Sofas und den Kästen herum, lärmten und lachten und rauchten Pfeifen, ja sogar nach der neuesten Mode Zigarren. An kleinen Tischen standen die weißen Schälchen des schwarzen Kaffees.

Die Hausmutter saß ausgebreitet auf einem großblumigen Kanapee und winkte uns mit der flachen Hand durch die Tür zu: »Nau nau, Leutln, kemts nur herein!«

So gingen sie nun hinein, schön der Reihe nach, trotz allem möglichst sittsam. Manches halblaut gemurmelte Wort über die liebe gnädige Herrschaft war fürs Gehörtwerden gesagt, manche in den Bart hineingekicherte Äußerung war nicht dafür berechnet.

Den Vortritt in die Herrenstube hatten der Hammer- und der Essemeister, denen schlossen sich die Wassergeber an und diesen die Schmiedgehilfen und Kohlenbuben. Einer der Gehilfen wollte sich unauffällig in die Reihe der Wasserer schmuggeln, aber der bekam einen ausgiebigen Rippenstoß, ihn[97] an seinen niedrigeren Gesellschaftsgrad erinnernd. Dann kam aus anderen Räumen her von Tischen, die man gar nicht gesehen, das Gesinde der Hauswirtschaft, der Mar, der Marknecht, die Ackerer, der Mistknecht, der Kutscher, der Staller, die Roßknechte und die Jäger. Endlich erschienen schüchtern und ruckig getorkelt die Köchin, das Stubenmädchen, die Kucheldirn, die Mardirn, die Hausdirn, die Schweizerin, die Kuhdirn, die Felddirn und zuletzt ein paar alte Einleger.

In solcher streng vorgeschriebenen Ordnung, die der Vetter mir nachher erklärte, drückten sie sich zum Handkusse vor. Die Hammerfrau war sehr gnädig und streckte jedem die reichberingte Hand entgegen. Mancher machte seine Sache derb und ungeschickt, mancher gleichgültig, flüchtig, mancher zärtlich. Die Hammerfrau hatte für jeden ein bezeichnendes Wort, lobend oder auch tadelnd. Jeden duzte sie und nannte ihn bei seinem Taufnamen. So sagte sie gleich zum graubärtigen Hammermeister, der kurz seinen Neujahrswunsch vorgebracht hatte: »Is scho recht, is scho recht, Franzl. Wünsch' dir auch soviel. Und daß du gesund bleibst und uns noch viel Sengsen klopfest. Tut's euch nit verlaufen, Leut', 's kommt nachher noch was.« – Zum Eßmeister, der sich für das Essen bedankte: »Hat's geschmeckt? Na, wenn's na g'schmeckt hat!« – Zu einem anderen: »Du kunntst dir auch besser die Pappen waschen, wenn du zum Handkuß kommst!« Wieder zu anderen: »Bist auch da, Hiesel? Dein' Weib geht's gut, gelt? Will ihr ein Körbel voll Resteln schicken lassen. – Laß gut sein, Michel, und schieb' dich weiter, daß die Hinteren nach können! – Wart', Josel, dir werd' ich ein besseres Halstüchel schenken, daß d' nit mit dem alten Fetzen zum Neujahrsessen gehen brauchst! – Geh', Ferdl, reib' deinen Bartwisch einer anderen in die Hand.[98]

Wenn du so gut sengsenschlagen kannst, wie Bußlgeben, nachher werden die Russen schon zufrieden sein.« Zu meinem Vetter sagte sie: »Mir scheint, Jakel, du hast nit mehr weit zum Vormeister. G'freut mich, g'freut mich. Aber die Fingernägel kunntst dir einmal zwicken!«

Als nachher aus der Küche und den übrigen Wirtschaftsräumen, wo auch großes Essen stattgehabt hatte, die Weibsleute herbeikamen zum Handkuß, mit denen war sie weniger gnädig. Zur Köchin: »Die Nudeln san dir heut nit b'sunders g'raten. Is halt wieder einmal die Germ nix nutz g'west, gelt!« – »Wie windschief hast denn heut' 's Halstüchel schon wieder um!« rügte sie an einer Küchenmagd. Und zu einer anderen: »Verhoff' mir mit dir eine bessere Zufriedenheit fürs nächst' Jahr! – N an, du Rotkittlete, was machen denn d' Schweindln? Schau, daß wir zum Fasching ein paar feiste auf den Tisch kriegen. – He, da kommt ja meine liebe Kathl! Brav bist alleweil, brav bist; nur so fort. Ist schon gut, ist schon gut.«

So ging es die lange Reihe der Schmiede und des Gesindes bis zum letzten Abwaschdirndl und den Einlegern, und knapp hinter diesen kam der Waldbauernbub. Der schämte sich noch immer, daß er kein Schmied war und trachtete sich so gut als möglich hinter den Vorgängern zu verstecken, damit die Herren ihn nicht sollten bemerken. Endlich kam ich zum Handkuß. Ich tat's wie bei einem Pfarrer und bedankte mich fürs Essen.

»Was ist denn das für ein Grill?« rief die Hammerfrau, »den kenn' ich gar nit.«

»Ho ho!« lachte der Hammerherr von seinem Sofa her. »Das ist der klein' Spitzbub, der so sauber zeichnen kann. Na, geh' her da, daß ich dir dein Gebetbüchel zurückgeb'.[99] 's Bildl hab' ich herausg'rissen, das b'halt ich mir. Da, seh' – das g'hört dein.«

Einen Silberzwanziger warf er mir zu; der blieb auf dem Teppich liegen. Die Herren schauten mich alle an und betrachteten die Zeichnung, die von Hand zu Hand ging. Und so war ich, der in der Menge verschwinden wollte, aller Welt zum Anschauen ausgesetzt. Sogar die Schmiede verwunderten sich, daß der kleine Kerl, der ihnen unbeachtet unter den Füßen herumgelaufen war, Hammerhäuser zeichnen konnte.

»Der Knabe sollte in eine Zeichenschule kommen,« meinte einer der Herren; das wunderte mich. Wenn man's schon kann, wie sie sagen, was braucht man denn da noch in eine Zeichenschule zu gehen?

»Waldbauer ist dein Vater?« fragte der Pfarrer. Und gleich setzte der Hammerherr bei: »Sag' deinem Vater, dem Locherl, er sollt' mir einmal Holzkohlen bringen!«

Dann konnte ich gehen.

Aber es kam noch nicht dazu. »Wer einen Kaffee haben will, der soll wieder auf seinen Platz gehen!« verkündete die Hammerfrau so laut, daß es in allen Zimmern und Gängen zu hören war. Da truderten die Mägde vergnüglich in die Küche und die Schmiede setzten sich wieder an ihre lange Tafel. Ich war unsicher, ob das auch mir noch vermeint sei und stand wieder so herum, bis der Vetter mich an meinen Platz winkte. Der Tisch war derweil gedeckt worden mit Kaffeeschalen, Zuckerbüchsen, Germbroten und wuchtigen Gugelhupfen. Neben jeder Kaffeeschale lag ein rosenrotes Tüchlein und unter demselben – der Kohlenbub hatte es zuerst entdeckt – ein güldenes Kreuzerlein. Ein Aufruhr entstand um den ganzen Tisch, denn Kenner hatten erklärt, daß es keine Kreuzerlein wären, sondern Dukaten. Auch bei[100] mir lag einer und da ich kein Neujahrsgeschenk beanspruchen durfte, so nahm ich ihn als Ehrenlohn für das gezeichnete Hammerhaus, das der Herr mir aus dem Gebetbüchlein gerissen und das ich nachher nie mehr gesehen habe.

Und auf einmal war der stattliche Hammerherr in der großen Schmiedstube. Mitten unter den Leuten stand er da, in seiner ganzen Höhe und Breite. Mit beiden Armen schlug er Räder und rief: »Lost's auf, Schmied!«

»Der Herr Vatter, der Herr Vatter!« flüsterte alles, und sie horchten.

Der Hammerherr sagte die gewichtigen Worte: »Alle Tag' geht's euch nit so gut wie heut' – gelt? Mir auch nit. Mir müssen jetzt neue Schmiede haben. Verhoff's, daß ihr euch gut mit ihnen vertragt. Eine große B'stallung aus Rußland ist da, eine großmächtige. Bis Ostern brauchen wir um dreißigtausend Sengsen mehr – was! Was sagt's denn da dazu – ha? Von der Türkei sind auch wieder B'stallungen da. Unser steirisches Eisen hat den Preis davongetragen vor dem englischen und dem schwedischen. Werd's nit Vivat schreien, ihr Locherln?«

»Vivat!« riefen sie, »Vivat!« daß die Fenster surrten.

»Das hab' ich enk sagen wöllen und jetzt könnt's heimgehen.«

Also ist dieser merkwürdige Tag beschlossen worden. Für mich war's der erste und der letzte dieser Art gewesen. Für andere ist er überall und oft wiedergekehrt in jener großen Eisenzeit, die das Land weltberühmt gemacht hat. Derb sind die Leute gewesen, aber einen guten Kern haben sie gehabt und weitum in ihrem Kreise hat's keine Not gegeben. An Essen und Trinken haben sie was geleistet und an Arbeit auch. Seither hat die steirische Eisenindustrie unvergleichlich größere Formen angenommen, die Technik[101] hat sich fabelhaft vervollkommnet, aber die Gediegenheit jenes altsteirischen Eisens und Stahls ist nicht mehr erhöht worden. So sind die alten Geschlechter der Hammerherren in ihrer Art Adelsleute gewesen, die schon fest auftreten durften: »Mir san wer!« Ein großer Teil steirischen Wohlstandes und steirischer Sitte stammt noch aus ihrer Zeit. Und nebenbei haben sie auch Kunstmäzene gespielt, wie jener Mürztaler Hammerherr, der dem Waldbauernbuben ein bekritzeltes Blatt Papier mit einem Zwanziger, einem Dukaten und einem sieben Stunden langen Festessen honoriert hat.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 88-102.
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