Ereignisse eines Faschingtages.

[362] Bin doch begierig, ob man mir die Geschichte glauben wird. Man braucht sie aber gar nicht zu glauben, sondern bloß zu wissen. Und manche meiner Heimatsgenossen wissen tatsächlich von der Geschichte. Ich war damals ein Mensch in dem Alter, in welchem man von artigen Leuten »Jüngling« und von wahrheitsliebenden »dummer Junge« genannt wird. So kam der »heilige Faschingdienstag«; diesen Festtag haben wir immer strenge gehalten, und also rüsteten wir uns auch diesmal zum Freiballe, der beim »Goldenen Löwen« in Krieglach abgehalten wurde.

Ich besaß ein nagelneues Steirergewand und im Hosensacke eine gegerbte Schweinsblase mit fünfzehn Groschen Geld. Reicht das aus für zwei Portionen Braten, zwei Maß Guldenwein, eine halbe Maß Glühwein, zwei Schalen Kaffee, für Spielleut'geld auf ein paar Steirische, einen Gestrampften und noch etliche Zigarren? – Das reicht schlechterdings nicht dazu aus. Also verkaufte ich an den Hochbrunnerknecht eine Lodenjoppe, da der Sommer vor der Tür war, übrigens ohnehin nicht gedacht wurde an das Morgen, sondern nur an das Heute, welches Faschingdienstag hieß. Und als ich nun soviel Mammon beisammen hatte, um für mich und eine erst zu gewinnende Tänzerin die obengenannten Güter erwerben zu können, heißt es auf einmal, der Grabenkathel wäre ihr Kind gestorben, selbes werde am[363] Faschingdienstag begraben und ich sei dazu auserlesen, das Trühlein auf den Kirchhof zu tragen.

Die Grabenkathel war ein armes kränkliches Weib, das sonst im Tagwerk arbeitete, um das sich aber in seiner Krankheit niemand eigentlich kümmerte, nicht einmal der eigene Mann, der Grabenhesch, welcher in einer anderen Gegend als Holzknecht arbeitete und oft wochenlang gar nicht nach Hause kam. Doch das nun verstorbene Kindlein mußte die Gemeinde begraben, und sie tat es eigentlich recht gerne, weil sie nur froh sein konnte, für die Zukunft einen armen Eingeborenen weniger in Sorge zu haben. Wie aber gerade ich zur Ehre kam, an einem solchen Tage drei Stunden lang (denn so weit war der Weg bis zum Kirchhof) eine Leiche im Arm zu halten, das leuchtete mir nicht ein. Daher begehrte ich auf und rief: »Wie komm' ich dazu?«

»Du kommst dazu, weil du ein langer Bengel bist,« antwortete der Gemeinderichter. Das empfand ich nun wie eine wirkliche Auszeichnung. Andere Bursche, die auch zum Begräbnisse geschickt worden waren, weil jedes Haus gepflogenheitlich eine leidtragende Person beizustellen hatte, sahen einander jetzt so an.

Der Hochbrunnerknecht, der Franzel, trat vor und sprach: »Mir scheint, der Waldbauernpeter will nicht recht. Könnt's auch leicht wegwerfen das Trühel, wenn ihm schwach wird. Ich geh' ohnehin zum Freiball nach Krieglach und will's schon tragen.«

»Ist auch recht,« sagte der Richter, »so pack's halt in Gottes Namen!«

Ich habe im selbigen Augenblick den Schimpf so tief empfunden, daß ich das heilige Fürnehmen machte: dem Franzel schlag' ich heut' beim Löwen, bis wir lustig geworden[364] sind, all' zwei Füße ab. Nachher soll er sehen, wer schwach wird.

Im nämlichen Augenblick aber sank die arme Grabenkathel nieder auf das bereits geschlossene Särglein und schrie: »Forttragen wollen sie dich mir, du mein einziges Glück auf der Welt! Bist gleichwohl im Himmel bei unserer lieben Frau, so sei mein' Fürbitt, daß sie auch mich bald zu sich nimmt. Bin so ganz und gar verlassen auf dieser Erden!« Und begann so wüst zu klagen, daß ich all meine Rachegedanken vergaß und nur noch denken konnte: die Leute sollten doch gut auseinander sein in einem solchen Jammertal. –

Der Franzel schlang nun um das fichtenholzweiße Trühlein einen Riemen, hing sich dasselbe über die Achsel, dergestalt, daß er es im Arm über der Brust tragen konnte. Ein schwarzbraunes Dirndel, Verwandte der Grabenkathel, kam mit einem papierenem Blumenstrauß herbei, an welchem ein weißes und ein rotes Band war, und diese Herrlichkeit steckte sie dem Franzel auf den Hut. Es ist ein alter Brauch in jener Gegend, daß Leichenträger solche »Totenbuschen« tragen; bei erwachsenen Personen müssen die Blumen weiß, die Bänder schwarz sein, bei Kindesleichen wollen die roten Blumen und Bänder andeuten, daß keine Trauer sein soll, wenn ein unschuldiges Kind früh aus dieser Welt geht. Und in Wahrheit, als der Franzel nun mit dem Särglein und den flatternden Bändern gleich einem Hochzeiter so vorausging durch den großen Kreßbachwald hin und unser etliche plaudernd hinterdrein, da war von einer Trauer nicht viel wahrzunehmen. Zwischen den Vaterunsern trieben wir Schelme miteinander ein bißchen Schabernack. Neben mir ging der junge Bumshöfer, der fragte das schwarzbraune Dirndel, ob er es heiraten dürfe?[365] »Ja, auf wie lang?« gab es ihm fragend Antwort. »Die Mannerleut' sind so viel falsch. Das sieht man wieder bei meiner Muhme, bei der Grabenkathel. Was hat er ihr vorgeschwatzt, der Hesch, vom Liebhaben und Treusein und Brav-Zusammenhalten in Freud und Leid! Weil sie kränklich ist worden und keine rechte Unterhaltlichkeit mehr daheim, hat er sich nach dem Holztagewerk lieber ins Wirtshaus gesetzt, als ins traurige Grabenhäusel. Ledigerweis' ist ihm der Weg bei der Nacht nicht zu weit gewesen bis zu ihrem Fenster; verheirateterweis' vergißt er auf Weib und Kind, zur Not, daß er bisweilen ein paar Groschen Geld schickt, er selber kommt gar nicht mehr. Nicht einmal jetzt, wo das Kind gestorben ist, laßt er sich sehen, der Nichtsnutzige, laßt sein Weib im Elend allein.«

»Weiß er es wohl, was geschehen ist daheim?« fragte ich.

»Das ist keine Ausred'!« fuhr die Schwarzbraune drein, »er soll sich umschauen nach seinen Leuten, wenn er ein ordentlicher Ehemann sein will. Himmlischer Vater, behüt' und bewahr' mich vor einem solchen Mann!«

»Du,« flüsterte ich dem Bumshöfer zu, »ich glaub', das ist nicht die richtige Zeit zum Brautwerben. Wart's ab. Ehevor sie ledig bleibt, kriegst sie gewiß.«

»Kannst recht haben,« antwortete er und stimmte rasch in das laufende Vaterunser ein. Nach drei Stunden waren wir im Tale und unser kleiner Zug trabte betend durch das große Dorf. Vom »Goldenen Löwen« heran klang uns lustiges Pfeifen- und Geigenspiel entgegen und zu den mit Tannenzweigen bekränzten Fenstern heraus erscholl manch kecker Juchschrei. Zum Haustor gingen in Hemdärmeln, die Pfeifen im Munde, Mannsbilder singend und lärmend aus und ein, einer davon blieb stehen, als er den nahenden[366] Zug sah, und rief: »Nu, was ist denn das für eine Maschkerad'! Am Faschingtag Leut' eingraben, das ist keine Mode!«

»Ja, ja!« schrie ihm unsere Schwarzbraune zu. »Geh' nur her! Gehörst eh' dazu! Leicht willst es wissen, wen wir im Trühel haben!«

Der Mann stutzte ein wenig, nahm mit ungefüger Hand die Pfeife aus dem Munde und sagte: »Die schwarzbraun' Sefferl ist dabei?«

»Ja, die ist auch dabei,« antwortete sie, »wenn du selber nicht gehst zu deinem Kind, so müssen wir dir's halt nachtragen.«

Jetzt fiel ihm die Pfeife aus der Hand. Der Franzel war mit seiner kleinen Last stehengeblieben. Der andere starrte darauf hin und murmelte: »Schier Angst kunnt sie einem machen, die dumme Dirn'. – Wem – wem gehört's denn zu – das da drin?«

Antwortete der Franzel: »Hesch, es ist dein Kind.«

Der Hesch stand da wie ein Baumstrunk und rührte sich nicht. Nur der buschige Schnurrbart zuckte, sonst schien sein Gesicht schier versteinert zu sein.

»Schon vorgestern ist es gestorben,« berichtete ihm nun die Schwarzbraune. »Im Hals hat's was bekommen, erstickt in ein paar Stunden. Haben wohl gleich nach dir ausgeschickt, haben dich nicht gefunden. So, daß du es weißt. Und trösten magst dich selber, wenn du willst.« Der Hesch wendete sich schwerfällig um und wankte in den Wirtshof hinein, gegen die Scheuer hin. Der Leichenzug ging dem Friedhofstore zu und ich schlich dem Hesch nach. – Der hat's jetzt tief! so war mein Gedanke. Mag ja sein, daß er ein Nichtsnutz ist, aber jetzt hat er's doch. So eine Stund' wie[367] die, ich dank' schön! Sein Weib daheim hat nur den Schmerz, der hat auch die Reue. Man soll ihn nicht allein lassen in solcher Stund'.

In der Scheuer kauerte er an der finstersten Ecke und ich hörte die Stöße seines Atems. So heftig stieß es ihn, daß ich glaubte, es müsse ihm die Brust zersprengen. Ich blieb einige Schritte vor ihm stehen und dachte: Er soll sich nur ausweinen, ist ja ein Glück, daß er noch kann. Auf einmal – ich erschrak fast – sprang er zu mir heran und rief:

»Ein Kind, wie Gott kein lieberes vom Himmel hat gegeben! – Aber in mir ist der leidige Teufel! Es ist nicht anders, es ist nicht anders! – Die ganze Wochen im Holzschlag nichts denken, als: am Sonntag siehst es wieder. Und hab' ja auch mein' Kathel gern. Aber wie ich heimkomm' in die dunkle Hütten und sind' alleweil nur Sorg' und Elend, hat's mich bald nicht lang gefreut. Der Mensch will nach harter Arbeit am Sonntag ja doch ein bissel Aufheiterung. Und geh' ins Wirtshaus. Die erste Zeit bleib' ich nur ein Stündel, laß mir auch allemal eine Flasche füllen fürs Weib daheim. Nach und nach bleib' ich länger. Gute Kameraden gibt's auch. Spielkarten gibt's auch. Allerhand Unterhaltlichkeit im Wirtshaus. Mein Holzschlag ist ja näher dem Dorf als dem Kreßbachwald. Denk' ich mir: Wozu den weiten Weg heimwärts und wieder den weiten Weg auswärts! Bleib' Sonntags über im Dorf und schick' ihr das Geld, was du an Schuhen ersparst – ist just so gut, ist besser. – Schandkerl, der ich bin!« Die Faust schlug er sich an die Stirn. Vom Tanzboden her klang die Musik, das Jauchzen der Lustigen.

»Das sind Faschingtage!« rief der Hesch aus, während er mit heftigen Schritten durch die Scheuer schritt. »Bin[368] seit Sonntag so herum – von einem Dorf zum anderen, von einem Wirtshaus zum anderen. Der Arbeitsmensch muß seine Aufheiterung haben, natürlich! Alleweil dieselbe Ausred'! – Morgen ist Aschermittwoch, da wollte ich denn einmal sehen gehen, wie es daheim ausschaut. Just ein rechter Tag. Und was das Bübel macht. – Und jetzt kommt mir das Bübel schon entgegen. Das will den Aschermittwoch auf dem Kirchhof zubringen – ha, ha! – Schweigen sollt ihr, verdammte Kratzen da drinnen!« schrie er wütend gegen das Haus, von dem die Geigenklänge herübertönten. »Peter, Peter!« sagte er und packte mich an meiner Hand. »Gut muß es mir gehen, daß ich schon die Musikanten verachte!«

Ob er nicht mit auf den Kirchhof kommen wolle? war meine Frage, denn zwischen den Musikklängen durch hörte man das Kirchenglöcklein. »Jetzt auf den Kirchhof?« begehrte er auf. »Du meinst mir's gut. Daß mich der Leut' Augen totstechen täten! – Nein. Ich schleich' mich da hinten über die Felder, und nachher, wenn sie sich verlaufen haben...«

Der Holzknechthesch ist aber an demselbigen Tage nicht mehr gesehen worden auf dem Kirchhof. Einen anderen Weg hat er gefunden, der war noch besser – der Weg durch den Kreßbachwald ins Hochgebirgstal zu seinem Weibe. –

Der kleine Leichenzug hatte sich auf dem Friedhofe nicht gerade lange aufgehalten. Sie kamen – eins nach dem anderen – ins Löwenwirtshaus und der Hochbrunnerfranzel schlenkerte immer noch seine Arme aus, die ihm vom langen Tragen etwas steif geworden waren. Wir setzten uns zusammen an einen Tisch in der Gaststube, während über unseren Köpfen unter den Füßen der oben Tanzenden die Dielen schwankten. Der kugelrunde Wirt kam herbeigewackelt und kreischte: »Brav, meine lieben Leut', daß ihr die Traurigkeit[369] ein bissel wollt hinabschwemmen. Was schafft's für einen, ordinari oder bessern?«

»Bessern!« bestellte ich.

»Bist ein Schaf!« raunte mir der Hochbrunnerische zu, »er hat ja nur eine Gattung, sagst: ordinari, so ist er billiger, sagst: bessern: so ist teuerer.«

Wir junge Leute in Hemdärmeln, aber die Hüte auf dem Kopf und Zigarren im Mund, machten uns heimisch im Wirtshaus zum Löwen. Bald nachher fingen wir an zu schnabulieren und zu süffeln. Ja, ja, süffeln ist schon das rechte Wort, denn für ein Trinken war es zu anhaltend und für ein Sausen zu zahm. Wir stießen auch mit den Gläsern zusammen, anfangs ließen wir das Tote leben, das wir auf den Friedhof getragen hatten, später sogar uns Lebendige! Als der Bumshöfer und die Schwarzbraune zusammenstießen, da sprangen einige Tropfen Wein auf den Tisch und natürlich kam darauf der alte Spaß von der Taufe. Die Schwarzbraune machte ein trotziges Gesicht und meinte, sie stoße mit Männern nur an, um ihnen die Gläser in Scherben zu rennen. Ob sie die Gläser mit ihrem Göscherl ersetzen wolle? gab ich ihr zu bedenken, da antwortete sie, das wären keine Reden für einen solchen Tag! stand auf, bezahlte an der Tür ihren Teil der Zeche und ging davon. Der junge Bumshöfer saß und lehnte noch eine Weile so herum im Wirtshause. Das sei der langweiligste Faschingstag, den er je erlebt! klagte er und endlich war der Bursche nicht mehr zu sehen. – Anders hatte sich's beim Hochbrunnerfranzel geschmiedet. Die junge schneidige Wirtin aus unserem Walde, die am Kreßbach ihr wohlangesehenes Haus besaß, war erschienen. Auf einem Steirerwäglein war sie angefahren gekommen, hatte den Braunen selbst geleitet, und dabei mit der Peitsche geknallt. Jetzt trat sie mit ihrem frischen Rundgesichte[370] ins Haus, ließ die kecken Äuglein von einem Burschen zum anderen fliegen.

»Welcher hat denn die größte Schneid?« rief sie heiter in die Stube, »mit dem will ich tanzen!« Alles drängte sich an sie.

Die Kreßbachwirtin schaute aber auf den Hochbrunnerfranzel her und sagte: »Der dort gefällt mir am besten. Der hat sogar einen Buschen auf dem Hut.«

»Ja, einen Totenbuschen,« spotteten andere drein; nichts will ich wetten, ob ich nicht auch selber unter diesen »anderen« gewesen bin. »Einen Totenbuschen!«

Darauf sie: »das macht nichts, wenn nur der Bursch' recht lebendig ist! Na, komm' her, probieren wir's.« Winkte den Franzel zu sich. Der ging nicht ungern, sie nahm ihn bei der Hand, führte ihn flink auf den Tanzboden und rief den Musikanten zu, sie sollten auf ihre Unkosten einen Steirischen aufspielen!

Als dieses Paar unter den gemütlichen Klängen des »altweltischen Landlers« sachte dahinreigte, da schauten wir anderen einmal so süßsäuerlich zu und schüttelten unsere Köpfe. Daß die junge Kreßbachwirtin herlebig war und mit ihrer heiteren Mutwilligkeit die Welt nur so frisch vor sich hintrieb, war längst bekannt; daß die unterschiedlichen Freier, die es bei ihr versucht, auf die lustigste Weise abgefertigt zu werden pflegten, so daß sich niemand mehr an sie wagen wollte, war auch bekannt, aber daß sie selbst zu einem hinging und ihn hernahm vor allen Leuten, und es »mit ihm probierte«, das war etwas Neues.

Als das Stückel aus war, stellte sich die Kreßbachwirtin stramm vor den Franzel hin und sagte: »Lebendig bist mir genug. Magst, so heiraten wir zusammen.«[371]

Der sonst hübsch kecke Franzel war im Gesicht glutrot geworden vor lauter Schamhaftigkeit, und er schämte sich fast dessen, daß ihm so »g'schamig« zumute war. Er trat etwas zurück und antwortete auf ihre Frage bescheidentlich:

»Ja, das wär' schon recht, heiraten, wenn ich nicht ein armer Bauernknecht wär' und sie nicht die Kreßbachwirtin.«

»Oh Lapperl du!« lachte sie und zwickte ihn am Kinn, »wenn wir zusammenheiraten, bist du ja nicht mehr der Bauernknecht, nachher bist ja der Kreßbachwirt! Der Kreßbachwirt und die Kreßbachwirtin werden doch zusammenpassen, nicht?«

»Die foppt mich ordentlich!« brummte der Franzel und verlor sich im Gedränge.

Mein Sinn ging nun ebenfalls nach einer Tänzerin, aber die jungen und hübschen waren stets alle »in der Hand«. Daß meine menschliche Gestalt nicht die leuchtendste war, wußte ich wohl und in diesem Be wußtsein fehlte es mir auch stets an Courage; allein auf mein neues Steirergewand hatte ich gebaut und auf das Klimpern mit den paar Groschen in der Hosentasche. Es hatte nicht die erwartete Wirkung. Da wurde ich im Gewoge zufällig an ein ältliches Weibsbildchen gedrängt.

»Oho!« zirpte dieses, »druck mich nicht zu tot! Was doch diese Mannsleut' zudringlich sind!«

»Ist nicht gern' geschehen,« also entschuldige ich mich und trachtete hinweg.

»Nu, meinetwegen,« flüsterte sie, »komm', tanzen wir eins miteinand'!«

Ziemlich willenlos folgte ich ihr, der Raum war aber derart überfüllt, daß wir nicht drankommen konnten, daß wir aus dem Kreise immer wieder herausgedrängt wurden. Meine Kleine – sie hatte in ihrem spitzen Gesichte eine[372] Menge zarter Runzeln – trippelte ungeduldig mit beiden Füßen, endlich, da es nicht vorwärts ging, sagte sie: »Komm'!« und zerrte mich durch mehrere Gänge in eine große Kammer, da war es still und duster, allein mein Weibsbildchen zog aus dem Kittelsack eine Mundharmonika, nahm sie zwischen die Lippen, mich kühnlich in die Arme und bei selbstgeblasener Polka strampften wir etlichemale in der Runde herum.

»Das ginge ja prächtig!« meinte sie, »wozu die kostspieligen Musikanten, wenn man selber sein Zeug bei sich hat! Die seine Mundwetzen und einen so netten Tänzer dazu!«

Nach mehreren mißlungenen Fluchtversuchen entkam ich ihr endlich durch ein Nebenpförtchen, sprang durch ein Fenster hinab in den Hof und flüchtete ins Gastzimmer. Dort war es tabakrauchdunstig und leer, denn alles hatte sich auf dem Tanzboden versammelt. Nur der Hochbrunnerfranzel saß da und war sehr verdrießlich.

»Der, wenn ich kunnt, der möcht' ich was antun!« knirschte er, auf die Kreßbachwirtin anspielend, »mich so zum Narren zu halten vor allen Leuten!«

»Wenn nur du dich selber nicht zum Narren hältst, Franzel!« war mein Bedenken. »Wenn du gescheit bist, können wir Waldbauern aufs nächste Jahr unsern Faschingwein bei dir trinken.«

»Sei halt du so gescheit!« trumpfte er mich ab.

»So gescheit wär' ich schon, aber so schön bin ich nicht.«

Wir hatten noch kaum ausgeredet, kam sie selber zur Tür herein und gerade auf den Franzel zu.

»Von den Feineren bist du keiner,« sagte sie zu ihm und setzte sich daneben hin. »Daß ein richtiger Bursch seiner Tänzerin ein Glas Glühwein zahlen soll – ich glaube, davon weißt du nichts!«[373]

»Um ein Glas Glühwein ist mir die Kreßbachwirtin just auch nicht feil!« war seine Antwort.

»Franzel,« sprach sie nun, und ihre Stimme war eine leisere und eine andere, »warum sagst denn nicht du zu mir, wie ich zu dir? – Im Spaß und im Ernst, Franz, sag's aufrichtig, magst du mich oder nicht?«

Für mein Leben gern hätte ich den zwei Leutchen noch weiter zugehört, aber der Franzel winkte mir mit den Augen, und ich dachte, einen besseren Gefallen kann man ihm nicht erweisen, als daß man sie jetzt allein läßt. Leise nahm ich meine Jacke von der Wand, schlich zur Tür hinaus, und weil ich beim »goldenen Löwen« die erhoffte Unterhaltlichkeit doch nicht mehr fand, so machte ich mich auf den Heimweg.

Über der Schneelandschaft lag Nebel, und Nebel spann in den Ästen der Bäume, die nun stundenlang zu beiden Seiten des Weges standen. – Ich dachte so für mich hin, wie manch ein Mensch eigentlich schrecklich verlassen sein kann auf der Welt. Just an Tagen der Lustbarkeit fühlt man's am meisten. Ich habe auch gar keinen Schick zum richtigen Lustigsein so wie andere; wenn's gerade recht laut und toll ist um mich und alles einladet zum Mitjauchzen und Springen, tut mir leise – ganz leise das Herz weh, und ich weiß nicht warum. Jung und gesund – ich weiß wirklich nicht warum. Und wenn mir so ums Herz ist, da bin ich doch lieber im stillen Wald, als in der lärmenden Gesellschaft. Sie sollen machen, was sie wollen, und wenn gleichwohl einer sagt, mir könnt' schwach werden – deshalb will ich ihm keinen Fuß abschlagen. Als es schon dunkelte, hörte ich hinter mir Schlittengeschelle. Stand zur Seite und sah nun ein braunes Rößlein vorbeitraben. Auf dem Schlitten, in härener Decke wohl verwahrt, saß die junge[374] Kreßbachwirtin und der Hochbrunnerfranzel. Sie sahen mich nicht stehen, lachten einander ins Gesicht und da waren sie auch schon vorüber. Den Buschen hatte er nicht mehr auf dem Hut, ich wußte es aber doch – mit dem Leichlein aus, – mit dem Lieblein heim!

Als ich am Grabenhäusel vorüberkam und zum niedrigen Fenster einen Blick hineintat, sah ich, wie an der Wand die Ampel brannte, am Herd die Kathel kauerte, und am Tisch der Hesch tiefgesenkten Hauptes saß. Daneben stand die Wiege, halb gefüllt mit Stroh – sonst nichts drin. Ein traurig Bild – ich ging vorüber.

Der Hesch – ein sonst baumstarker Mensch – ist vom selbigen Tage an schwer krank gewesen viele Wochen lang. Ein Nervenfieber, kein Mensch hat ihm Wiedergenesung verhofft. Aber seine Kathel – wohl auch selbst abgehärmt und krank, doch ihres eigenen Leidens vergessend – hat ihn gewartet und gepflegt voll Geduld und Herzensmut, bis er endlich in den Tagen der Maien wieder gesessen ist vor der Hütte, in einer fast süßen Kraftlosigkeit die laue Luft des Waldes hat getrunken und in seinem Herzen unermeßlich selig ist gewesen. Da hat er einmal seinen Arm um den Nacken des Weibes gelegt und gesagt:

»Katharina! Das Unglück hat mich zu mir selber gebracht und zu dir, jetzt erst bist du mein geworden. So oft ich aus Wirtshaus und an die Spielkarten denke, wird mir übel. Das ist vorbei. Alle Sonntage nur bei dir. Heut' wär' ich unter der Erden, nur deine Liebe hat mich festgehalten auf der Welt. Mein Mutter hab' ich gern gehabt, das weißt. Bei der Seel' meiner Mutter versprech' ich dir's: Von jetzt an nur bei dir daheim!«

Sie drückt den vor Aufregung Bebenden sanft auf seinen Sitz zurück und sagt:[375] »Tu' dich nicht so auseinander, Hesch, ich glaub' dir's, du bist ja mein lieber Mann.«

Das war im Mai. Im Juni, als man das große Fest der Apostel Petrus und Paulus beging, waren in der Gegend zwei Hochzeiten. Der Bumshöfer und die Schwarzbraune, der Franzel und die Kreßbachwirtin.

Denn die Schwarzbraune, wie sie die Bekehrung des Hesch gesehen, war zur Ansicht gekommen: Gar so schreckbar schlecht, wie es manchmal ausschaut, sind die Mannsleute eigentlich doch nicht! – Und der Franzel hat gemeint, besser als im Bauerndienst ist es doch, der Kreßbachwirt sein, ein frisches Weib haben und in Arbeitsamkeit und Redlichkeit wirtschaften.

Ein Jahr später ging eines Tages wieder ein Zug vom Waldgebirge gen die Pfarrkirche zu Krieglach hinab. Aber kein weißes Trühlein wurde getragen; drei kleine, winzig kleine, aber durch und durch lebendige Kinder brachten sie daher zur heiligen Taufe. Das eine war vom Bumshöferhofe, das andere vom Kreßbachwirtshause, das dritte vom Grabenhäusel...

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 362-376.
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