[205] Annas. Cayphas. Nathan. Amos.
Wehrend diser Sceen wirdt innenher ein garten zu bereitet, in welchem das aus einem felsen ausgehauene grab Christi zu sehen.
ANNAS.
Ist wahr: es ist sehr vill geschehen,
Was noch kein menschlichs aug gesehen,
Doch hat es nicht den wahren schein,
Das er soll der Messias sein.
CAYPHAS.
Wer soll sich ab den Blendereyen
Mit unseren gesaz entzweyen?
Dan wan er der Messias wär,
So bleibte er bey unsrer lehr.
NATHAN.
Bey einmahl schon geschechnen sachen,
Mus man sich kein bedenken machen,
Messias hin, Messias her
Jezt ist er stum, und lebt nicht mehr.
AMOS.
Wan er von gott: wie soll man fassen,
Das ihm gott selbsten hat verlassen.
Wie er doch selbsten hat bezeigt,
Befor er hat das haubt geneigt.
CAYPHAS.
Ich halt davor, und habs gehalten,
Das alle wunder, und gestalten,
Nach seinen todt ein lährer dunst,
Und ein verblendte teuffls kunst.
ANNAS.
Diß kame mir auch stätts zu sinnen,
Dadurch das Volckh nur zu gewinnen,
Hat Belzebub den list erdacht,
Und so vill weesens angemacht.
Doch ist noch eins wohl zu erwegen,
An dem das ganze werckh gelegen,
Die erste noth war ungemein
Die lezt wird doch sonst erger sein.
Ihr wüßt, das er in seinen tagen
Den feinden pflegte vor zusagen,[206]
Das wan an unsren himmels Creis
Die sonn angeh ihr dritte Reis,
Woll er von todten auferstehen,
Und nacher Galliläen gehen,
Alldorten sollten sie ihn sehn,
Lebendig unter ihnen stehn.
ANNAS.
Nein, wan man es bedacht erwegt,
Hat ers mit ihnen angelegt.
Den Leichnahm aus dem grab zu tragen,
Und allenthalben auszusagen,
Er sey erstanden von dem todt,
Damit man ihn erst hielt vor gott.
Soll diser fund sodan gelingen,
Wie weith wurd er sein gottheit bringen?
Es wär firwahr in diser sach
All unser wüz, und mühe zu schwach.
CAYPHAS.
Es ist dem übl vorzubeugen,
Und diser list die spiz zu zeigen,
Bis an den 3ten sonnen schein
Mus dan das grab verwachet sein.
Laßt uns dan zu Pilatus gehen,
Umb kriegs knecht selben anzuflehen,
Von denen, wie man es begehrt,
Die grabstatt wohl verwachet werd.
ANNAS.
Er wird, und mus es zuerkennen,
Weill es ein billichkeit zu nennen,
Es ist schon Zeit, kommt nur geschwindt
Damit man baldt das Mittl findt.
Gehen ab.
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro