Zweite Szene

[132] Vorige. Der Mann. Die Frau.

Der Mann und die Frau treten unbemerkt auf.


DER MANN im Hintergrund. Ah – dort, die Bürger! Endlich, endlich zu greifen! Endlich ihnen gegenüber!

NAUKE zu den Bürgern. Bürger, ich helf euch, wie ich es versprach. Und nun bin ich Gouverneur und Sohn des Geistes! Macht wichtige Gebärden. Auf, Volk, höre mich! Ich befehle deinem Geiste! Hier stehe ich, ein Sohn des Geistes, und ich gebiete dir mit meinem Willen! Wichtige Gebärden im Kreise. – Stille. – Alles bleibt still. Gutes Zeichen. – Auf, Volk, tu, was ich dir sage und was ich will. Ich beschwöre dich bei Totenkopf und gekreuzten Knochen: Folge mir! Hier stehen deine Wohltäter! Sie sind reich, und können dich beschenken, sie sind mächtig und können dich in ihre Dienste nehmen, sie sind bewaffnet und können dir das Leben lassen! Auf, Volk, Geist des Volkes, gehorch ihnen, folge ihnen! Erscheine, erscheine!

DER MANN tritt hervor. Schweig mit deinem Kram.

NAUKE. Ich wußte es! Gewonnen, sie kommen! Das ist der Wille.

DER MANN. Das ist nicht der Wille, das ist Mißverstand! Ein Verräter weiß nie das Ziel, das die Herzen der Menschen emporreißt. Geh! Was du treibst, ist Jahrmarkt!

FÜHRER DER BÜRGER. Wer bist du? Bist du zu packen?

DER MANN. Ihr da, Bürger! Ihr steht in euren Masken, als wäret ihr erfundene Maschinen, um die Welt schauern zu lehren! Was ihr seid, wissen wir. Bomben tragt ihr auf dem Rücken, und wenn ihr sie gegen uns werft, springt nur diese Erde entzwei in ärmlichen Schutt und ewige Verwesung. Ihr könnt uns morden; ihr erstickt nicht den ewigen Menschen!

FÜHRER DER BÜRGER. Bist du die Macht, die in der Stadt gegen uns wirkt, die wir nicht sehen und nicht finden können?

DER MANN. Die Macht? Die Macht seid ihr! Ich bin die Machtlosigkeit! Wir sind die heilige Machtlosigkeit, in die ihr ohne Halt hineinstürzt, und je mehr ihr preßt und[132] mordet, um so mehr umhüllt euch unsere göttliche Machtlosigkeit, und ihr gleitet eine glatte Schräge hinab in die Höhle, aus der ihr nicht mehr herausfindet! Wer seid ihr? Schlagt eure Masken zurück, die finsteren Masken, die ihr zum Schutz vor uns tragt! Herunter mit euren widerlichen Grauensmasken, Bürger, daß man euch ins Gesicht sieht. Herunter! Und man sieht: Aus eurer Furcht- und Schreckensrüstung quillt das ganz gewöhnliche, platte, niedrig fleischige Bürgergesicht!


Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 132-133.
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