Vorwort des Herausgebers.

Auch in unserer Novelle hat Saar ältere Motive wieder aufgegriffen und fortgesponnen. Das Motiv des mit Liebesschuld beladenen Offiziers hatte er in der Umarbeitung von »Vae victis« wieder fallen gelassen (Band VIII, Seite 9); und mit den Papieren zum »Haus Reichegg« stimmt nicht bloß die Situation, die Teilnahme der Offiziere an dem Tanzvergnügen der Städter, sondern auch die Schilderung Ginevras überein. Die Handschrift unserer Novelle ist »Blansko, 4. März 1889« datiert. Es ist eine Reinschrift, die aber noch so viele Korrekturen erfahren hat, daß sie stellenweise nur schwer leserlich geworden ist. Sie liegt zunächst dem ersten Abdruck in dem Wiener Jahrbuch »Dioskuren« 1890 (XIX. Jahrgang, Seite 149–179) zugrunde, der freilich bei der Korrektur noch leise Abänderungen erfahren hat; auf den Dioskuren beruht aber auch noch der späte Abdruck in der Zeitschrift »Moderne Kunst« (XVII. Jahrgang, 1902/3, Seite 262 ff., 294 ff., 305 ff., 314 ff.). Für eine neue Ausgabe hat der Dichter zunächst in einem Separatabdruck aus den Dioskuren Änderungen angebracht, sie aber dann doch wieder in die Handschrift eingetragen und diese zum zweiten Male dem Abdruck in der vierten Novellensammlung »Frauenbilder« 1892 (Seite 1–82) zugrunde gelegt, wodurch die Korrekturen so zahlreich geworden sind, daß der Verleger wiederholt einzelne Stellen ins Reine schreiben mußte und sich bei dieser Gelegenheit auch für ein paar Änderungen im Wortgebrauch die Zustimmung des Dichters einholte. Trotzdem auch hier noch bei der Korrektur nachgeholfen worden war, genügte auch diese Fassung dem unermüdlich feilenden Dichter nicht. Er erbat sich am[163] 3. April 1896 ein Exemplar der »Frauenbilder« für eine etwa notwendige zweite Auflage und unterzog sie im März des folgenden Jahres eingehenden Verbesserungen, die dann der ersten zweibändigen Ausgabe der »Novellen aus Österreich« 1897 (zweiter Band, Seite 179–232) zugute kamen und nicht mehr bloß die Form betrafen: denn die Mutter der Ginevra stammt nun nicht mehr aus Conegliano, sondern aus Bassano, und der Satz am Schlusse, nach welchem der Oberst zu der Polin immer noch in Beziehungen steht, ist erst hier eingefügt. In der zweiten Ausgabe dieser Sammlung (a.a.O.) ist dann neben geringen stilistischen Änderungen die Chiffre L ... in Leitmeritz aufgelöst worden. Dem Abdruck in Reclams Universalbibliothek (Nr. 4600 [1904]) scheinen noch nicht zu Ende korrigierte Druckbogen dieser letzten Ausgabe zugrunde zu liegen; denn er stimmt an einigen wenigen Stellen noch mit der vorletzten überein.[164]


Das Diner war vorüber und die kleine Tischgesellschaft begab sich in den Garten der Villa, um dort den Kaffee zu nehmen. Nachdem man sich auf einer Terrasse niedergelassen, die den Ausblick auf die umliegenden Höhen und einen Teil der Stadt eröffnete, sagte die Hausfrau: »Erzählen Sie uns doch endlich von dieser Ginevra, lieber Oberst. Versprochen haben Sie es längst. Jedenfalls muß sie etwas ganz Besonderes gewesen sein, da Sie noch immer mit einer Art Andacht ihrer gedenken. Lassen Sie sich daher nicht bitten. Wir sind ganz unter uns, und hoffentlich kommt kein unerwarteter Besuch, der Sie unterbrechen könnte.«

Der Oberst, ein hochgewachsener, schlanker Mann in bürgerlicher Kleidung, blickte nachdenklich auf die Glimmfläche der Zigarre nieder, die er sich soeben angezündet. »Nun denn,« sagte er, »wenn Sie wollen, soll es geschehen, obgleich ich befürchten muß, ein recht unüberlegtes Versprechen gegeben zu haben. Denn was ich vorbringen kann, ist eigentlich doch nur eine veraltete Liebesgeschichte, welche, wenn sie heute gedruckt würde, vielleicht niemand mehr lesen möchte. Indes, wie gesagt, wenn Sie es wirklich wünschen, bin ich bereit. Ist es doch ein Genuß, wenn auch ein schmerzlicher, sich in die goldenen Tage der Jugend zurückzuversetzen.«


* *

*

Quelle:
Ferdinand von Saar: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 9, Leipzig [1908], S. 161-165.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Novellen aus Österreich
Novellen Aus Oesterreich (2 )
Novellen aus Österreich