Abschied

[18] Nun lebe wohl! Wir müssen scheiden –

Ich sprech' es aus: auf Nimmerseh'n;

Die Stunde schlug schon längst uns Beiden,

Wir fühlen es und müssen's leiden –

So laß uns auseinander geh'n!


Der Tag, wo wir zuerst uns fanden,

Uns scheu begrüßt mit Blick und Wort,

Er wob schon heimlich an den Banden,

Die uns stets inniger umwanden

Im Lauf der Jahre fort und fort.


Wir wissen es, wie wir gelitten,

Wir wissen es, wie wir gekämpft;

Doch nimmer ward der Sieg erstritten,

Und ob wir selbst in's Herz uns schnitten,

Ward nimmer doch die Gluth gedämpft.


Die aus geheimstem Innern stammen,

Die Mächte, ach, wer kennt sie nicht!

So schlugen die verwandten Flammen

Zuletzt in eine doch zusammen –

Trotz deiner und trotz meiner Pflicht.
[19]

O weine nicht, daß es geschehen,

Daß du mich küßtest leis' und zag –

Und ich bei deiner Seufzer Wehen

Mit Ungestüm und heißem Flehen

Erzitternd an der Brust dir lag.


Umschling' dein Haupt mit wildem Mohne,

Vergessen soll's auf immer sein;

Mir aber wird's zu herbem Lohne,

Daß Frieden in der Brust dir wohne,

Bin ich dir ferne – und allein.


Wir fühlen es und müssen's leiden –

So laß uns auseinander geh'n;

Die Stunde schlug schon längst uns Beiden,

Leb' wohl, leb' wohl, wir müssen scheiden,

Leb' wohl, leb' wohl – auf Nimmerseh'n!

Quelle:
Ferdinand von Saar: Gedichte, Heidelberg, (2) 1888, S. 18-20.
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