Das toten erquicken

[208] In dem schatzton Hans Vogels.


6. juli 1546.


1.

Es wont ein könig in Edom,

Anastres Tasri war sein nam,

der mit hohem verstande

ein man het, hieß Berosias;

der selb in einem buche las,

wie im Indier lande

weren gar weit erkande

Gar hohe berg, darauf erbaut

weren gar edel würz und kraut,

vil beum, der eigenschafte:

wan man die künstlich ordinirt,

zusam stieß, brent und conficirt,

so gwünnen sie warhafte

ein solche edle krafte,

Das man die toten mit erwecket.

der künig großes gut darstrecket

seim meister, das er zoch

im Indiam und da anhub,

der edlen würz er sucht und grub;

kraut und frucht allenthalben

samlet er auf den bergen hoch

und macht daraus die salben,


2.

Und bestrich einen toten mit,

darvon wurd er doch lebent nit,

des erschrak er gar sere;

der Indier weisen das klagt,

von dem wurd im also gesagt,

das dise hohe lere

het ein auslegung mere:[209]

Wie durch den berg wurden bedeut

die hoch gelert und weisen leut

in India dem lande,

aus den wüchsen zu aller zeit

beum, kreuter, würzen der weisheit,

durch ir sinreich verstande

vernünftig allerhande.

Aus solcher kunst zusam getrieben

sie darnach gute bücher schrieben,

das wer die edel salb,

darmit man die toten erquickt,

des todes bande in ausstrickt;

die toten bedeuten die jugent,

welche tet leben allenthalb

on kunst, weisheit und tugent.


3.

Die wird aus den büchern gelert,

von ir unwissenheit bekert,

die dem tot gleichet eben,

so sie empfecht rechten verstant,

folgt nach mit herzen, mund und hant,

wie ir die ler tut geben,

fecht erst an recht zu leben

Nach ordenung menschlicher zunft

in tugent, weisheit und vernunft

erst ist vom tot erquicket.

heim eilt der weis Berosias

und dem könig anzeiget das,

der die weisen beschicket,

ir ler in bücher zwicket.

Wie man das findt im Buch der weisen.

darum die bücher sint zu preisen

kunst, zucht und guter ler,

welche das töricht gmüt erleucht,

das es forthin die laster scheucht,

tödt ir eigen begire,

lebet in tugent, zucht und er

in aller weisheit zire.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 208-210.
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