Der edelfalk

[137] Im rosenton Hans Sachsen.


9. august 1543.


1.

In centonovella ich lase,

wie zu Florenz vor zeiten sase

ein jung edelman, weit erkant,

Fridrich Alberigo genant,

der in herzlicher liebe brennet

gen einem edlen weib, genennet

Giovanna, an gut ser reiche,

an eren stet und gar lobleiche.

der edelman stach und turniert,

zu lieb der frauen lang hofiert;

sie aber veracht all sein liebe,

an irem herren treulich bliebe.[137]

Gar reichlich Friderich ausgab,

bis er verschwendet große hab;

entlich verpfent er all sein gute,

zug auf ein sitz und in armute,

nichts dan ein edlen falken het,

mit dem er teglich baißen tet

und nert sich aus eim kleinen garten,

des er auch tet mit arbeit warten.


2.

Ir her der starb, und sich begabe:

der frauen sun, ein junger knabe,

wart schwerlich krank bis in den tot;

sprach: »muter, ich bit dich durch got,

hilf, das Friderichs falk mir werde,

so nimt ein ent all mein beschwerde.«

Die muter tröst in, den zu bringen,

kam zu her Fridrich in den dingen.

der freuet sich irer zukunft,

entpfieng sie mit hoher vernunft.

zum frümal tet sie sich selb laden.

fro war Friderich irer gnaden;

Het doch weder wilpret noch fisch,

darmit er speiset seinen tisch;

armut und unglück tet in walken.

er würgt sein edlen lieben falken,

briet den und in zu tische trug,

zerleget in höflich und klug;

in mit der edlen frauen aße,

die doch selbs nit west, was es wase.


3.

Nach dem mal sprach die frau mit sitten:

»durch euer lieb wil ich euch bitten

um euren edlen falken gut,

nach dem mein sun sich senen tut

totkrank, wo ir im den tut geben,

errettet ir sein junges leben.«

Her Fridrich war mit angst beseßen:

»den falken«, sprach er, »han wir geßen;[138]

die allerliebst mein liebstes aß.«

die frau sich des verwundern was.

er zeiget ir des falken gfider.

schieden sich beide traurig wider.

Nach drei tagen ir sune starb.

her Fridrich um die frauen warb;

sie erkennet sein lieb und treue,

het seiner armut kein abscheue,

weil er war tugenthaft und frum.

zu eim gemahel sie in num.

drum ift nit alle lieb verloren;

lieb hat oft lieb durch lieb geboren.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 137-139.
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