Frau Treu ist tot

[267] Im braun ton B. Regenbogen.


12. November 1548.


1.

Ein einsidel fand ich auf einen tage

in seiner zellen wein in großer klage,

ich fragt in der ursach mit kurzen worten;

Da fürt er mich in walt in einen grunde

zu einem gar uralten tempel runde,

mit blei bedeckt, offen so stunt die pforten;

er füret mich in tempel dar,

alda sach ich mit samit braun bedecket

in der mit stund ein totenbar

mit einem totentuch, das mich erschrecket;

ich sprach: »wer ist verschiden?«

er sprach zu mir: »frau Treu

on scheu

hat iren tod erliden,

des hab ich herzliche nachreu.«


2.

Ich fragt: »was krankheit ist die zart gestorben?«

er sprach: »an der schwintsucht ist sie verdorben.«

ich fragt: »pflag sie dan keiner arzeneie?«

Er sprach: »etlich frume weltlich regenden

wolten ir krankheit durch purgatzen wenden,

durch gut statut, gesetz und polizeie,[267]

Doch griff im werk es niemand an,

das man frau Treu darmit het tun purgiren;

auch teten sich ir unterstan

etlich theologi sie zu christiren;

die christir war im becher

zu lint, nit operirt,

regirt:

der halben wurt nur schwecher

frau Treu und heftig tribulirt,


3.

Bis entlich gar ausdoret und verdarbe

und eines harten strengen todes starbe,

des traure ich, und klag es kleglich gote.

Weil noch frau Treu krank an der schwintsucht lage,

nam die lieb ab teglich von tag zu tage;

wie wird es gen, so sie nun gar ist tote!

Judas kuß der wirt werden neu,

menschlich geschlecht wirt vol untreuer stücke,

vil guter red on alle treu,

vor augen gut und gar falsch hinter rücke.

der halb gsel halt dich innen

und wart mit fleiß das dein

allein,

wiltu unglück entrinnen;

trau nit, wilt unbetrogen sein!«

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 267-268.
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