Baldanderst

[52] Baldanderst so bin ich genant, der ganzen welte wolbekant.


Eins abents gieng ich aus nach fischen,

ein gutes nachtmal zu erwischen,

mit einem angel an den Rein,

die sonn gar überhitzig schein,[52]

hart stachen die bremen und mucken;

urplötzlich war die sonn verrucken,

das schwarz gewülk nach wetters furm,

der sudwint wet mit großem sturm,

die lantschaft wurt finster und dunkel,

des himels blitz leucht als carfunkel,

die donnerstrel die wurden klopfen,

das gwülk regnet mit liechten tropfen;

nach dem wurden sie reichlich gießen,

die kleinen bechlein wurden fließen,

mit trüben waßern überwalln,

aus dem gebirg und welden falln,

das ich triefnaßer kaum entfloch

am gstat zu einem felsen hoch;

da schmücket ich mich in ein kluft,

zu warten in des steines gruft,

biß das schwer wetter überkem.

in dem ich einen man vernem

in einem hag für disem hol.

erst wart ich sorg und engsten vol,

wan er verwandelt sein gestalt:

iezt wurt er jung, dann wurt er alt,

iezt war er schön, dann wurt er scheußlich,

iezt holdselig, dann wurt er greußlich,

iezt sah er zornig, darnach gütig,

iezt war er ernsthaft, dann senftmütig,

iezt wol gekleidet, dann zerhadert,

iezt stillschweigent, darnach er tadert,

iezt lachet er, darnach er weinet,

iezt war er kurz, dann lang erscheinet,

iezt war er glat, dann kürzlich bartet,

all augenblick sich anderst artet.

ich dacht, das muß Vulcanus sein,

der schmidt die donnerstrel allein,[53]

o solt ich disen man ansprechen?

in dem so war das wetter brechen,

der regn der war sitlich nachlaßen,

da gieng der wunderman sein straßen.

ich eilt im nach und redt in an:

o Vulcane, wo wilt hin gan?

er sprach: du felst, ich bin Baldanderst.

ich sprach: sag mir, woher du wanderst!

er sprach: ich kom von allen enden,

von undern und von obern stenden,

und wil nun hin an alle ort

der ganzen welt. auf dise wort

sprach ich: was ist dein werk bei in?

Baldanderst sprach: merk, wo ich bin,

bei adel, bauern und hantwerken,

bei steten, schlößer, dorf und merken,

in königreich, provinz und lendern,

da tu ich alle ding verendern;

den frid verender ich in streit,

fruchtbare jar in teure zeit,

die gwaltigen von leut und lant,

die erlichen in spot und schant,

die glückhaftigen in unglück,

die senftmüting in zorens tück,

die großmütigen in verzagung,

die milt, gabreichen in versagung,

die reichen in armut, hartsel,

die rusamen in arbeit, quel,

die nutzhaften in brechling schaden,

die gunstreichen in ungenaden,

die liebhabenden in den neit,

die frölichen in herzenleit,

die kurzweiligen gar verdroßen,

die leding in gfengnus verschloßen;

die jungen verker ich in alt,

die schönen in ganz ungestalt,[54]

die gsunden in krankheit und not,

die lebendigen in den tot,

dergleichen auch herwiderum:

das ist in summa summarum

mein werk auf ganzer erden kreiß,

darumb ich wol Baldanderst heiß.

ich sprach: du bist ein wüster gast,

weil du kein ander tugent hast,

wan das du alle ding verkerst.

Baldanderst sprach: kennst du mich erst?

bin ich doch lang gewest umb dich;

wo du hinkamst, da fantst du mich,

ich bin der ganzen welt durchreiser,

verschon weder fürsten noch keiser,

ich mach balt anderst alle ding.

mit dem er trutzig von mir gieng.


Der beschluß

Ich sach im nach und dacht: fürwar,

wie sint all ding so wandelbar!

wer nur auf sich hat selber acht,

wie oft sich mit im tag und nacht

verkert sein sin, gemüt und herz

von freuden, wunn, in sorg und schmerz.

also sint alle ding unbstendig.

was wir haben auf ert beihendig,

als reichtum, gwalt, gsuntheit und er,

kunst, weisheit, sterk und anderst mer,

nimt ab und zu all augenblick.

derhalb du, mensch, dich darein schick,

von disem irdischen gebrechlichen

zu dem himlischen unaussprechlichen,

on wandel, bar als ungemachs.

das wünschet von Nürnberg Hans Sachs.


Anno salutis 1534. am 31. tage Julij.


Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Zweiter Theil: Spruchgedichte, Leipzig 1885, S. 52-55.
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