Der Dichter

[63] Erst erschrack ich, sagt im, ich wer

irr worden und im holz benacht.

er sprach: du schalk, du hast verlacht

uns, diß ellende wütent her.

da schwur ich im bei treu und er,

ich het mit in gehabt erbarmen,

sprach: aus was ursach, o ir armen,

müst ir mit solcher ungestüm

bei nächtlicher weil ziehen üm?

er sprach: wir suchen weit und breit

die waren strengen grechtigkeit.

etlich sagen, sie sei vor jarn

wider gen himel aufgefarn,

ander sagn, sie sei wider kommen,

doch sei ir aller gwalt genommen,

die dritten sagn, sie sei gefangen.

nun hab wir in der welt durchgangen

stet, merk, dörfer und die baufelder,

gebirg, klingen und wüste welder,

noch könn wirs nirgent kommen an.

ich sprach: was wölt ir bei ir tan?

da wolt wir unser not ir klagen,

das man uns kleine dieb tut plagen,

iederman auf uns zeigt und pfeift

und henkt uns, wo man uns ergreift;

die großen hat man wert und lieb.

ich fragt: wer sein die großen dieb?

tu mir die sach lautrer erklärn.

er sprach: die lant und leut beschwern

als rauber, lantzwinger, finanzer,

aufsetzmacher und alefanzer,

die fürkaufer und wucherer,

die warfelscher und trügener,[64]

falsch juristen und rechtverkerer,

simoneier und falsche lerer

und ander on zal gleich der sum,

die gen nur mit dem tausent umb,

bleiben darbei groß herren noch;

wir kleinen dieb zalen das gloch

und tun dem lant doch wenig schaden,

das doch ist überschwer beladen

mit solchen großen schweren dieben,

weil schier kein creatur ist blieben

von in unbeschwert in den tagen;

das wolt wir der grechtigkeit klagen,

nit unsern diebstal uns zu schenken,

sonder die großen zu uns henken;

denn würt es baß sten in der welt,

all ding wolfeil umb ringes gelt,

und möcht aufwachsen gmeiner nutz,

als denn würt folgen alles gutz,

die grechtigkeit künt unser klagen

billicher weis gar nit abschlagen,

sie müst üben ir straf und rach.

derhalben so leßt auch nit nach

zu suchen sie das wütent her,

und find wirs auf ert nimmermer,

so find wirs doch am jüngsten tag,

da sich niemant verbergen mag

vor der strengen gerechtigkeit,

welche hat gar kein underscheit

noch ansehen keiner person;

sie straft, wer unrecht hat geton.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Zweiter Theil: Spruchgedichte, Leipzig 1885, S. 63-65.
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