Der junkbrunn

[94] Als ich in meinem alter war

gleich im zwei und sechzigsten jar,

da mich gar in mancherlei stücken

das schwere alter hart was drücken,

da dacht ich mit seufzender klag

an meiner jugent gute tag,

die ich so unnütz het verzert;

das mir geleich mein schmerzen mert,

und warf mich im bet hin und her,

dacht: o das ein arzenei wer

für das alter oder ein salben,

wie wert würt sie sein allenthalben!

in dem nachdenken ich gar tief

verwickelter sam halb entschlief.

mir traumt, wie ich kem wolbesunnen

zu einem großen runden brunnen

von merbelstein, polieret klar,

darein das waßer rinnen war

warm unde kalt wol aus zwölf rörn,

gleich eim wiltbad; tut wunder hörn:

das waßer het so große kraft,

welch mensch mit alter war behaft,

ob er schon achtzigjerig was,

wan er ein stunt im brunnen saß,

so teten sich verjüngen wider

sein gmüt, herz und alle gelider.

umb den brunnen war ein gedreng,

wan darzu kam ein große meng,

allerlei nation und gschlecht,

mönnich, pfaffen, ritter und knecht,

burger, bauer und hantwerker,

der kam on zal zum brunnen her[95]

und wolten sich verjüngen laßen.

vol zog es zu auf steig und straßen

aus allen landen nah und ferren

auf senften, schlitten, wegn und kerren.

ir vil man auf radwerben zug,

etlich man auf mistberen trug,

und ir vil trug man auf dem rucken,

etlich giengen herzu auf krucken.

zusamen kam ein hauf der alten,

wunderlich, entisch, ungestalten,

gerunzelt, zanlucket und kal,

zittrent und kretzig überal,

dunkler augen und ungehöret,

vergeßen, doppet und halb töret,

ganz mat, bleich, bogrucket und krum.

da war in summa summarum

ein husten, reuspern und ein kreisten,

ein echzen, seufzen und ein feisten,

als obs in einem spital wer.

zwölf man waren bestellet her,

die allen alten, die sie funnen,

solten helfen in den junkbrunnen;

die teten sich alle verjüngen:

nach einer stunt mit freien sprüngen

sprangen sie aus dem brunnen runt,

schön, wolgefarb, frisch, jung und gsunt,

ganz leichtsinnig und wol geberig,

als ob sie weren zweinzigjerig.

balt sich ein rot verjünget fein,

so steig darnach ein andre ein.

da dacht ich mir im schlaf fürwar!

alt bist auch zwei und sechzig jar,

dir get ab an ghör und gesicht.

was zeichst du dich, das du auch nicht[96]

wol halt in den junkbrunnen sitzest,

die alten haut auch von dir schwitzest?

abzoch ich alles mein gewant,

daucht mich im schlaf alda zuhant,

ich stig in junkbrunnen, zu baden,

abzukommen des alters schaden.

in dem einsteigen ich erwacht,

meins verjüngens ich selber lacht,

dacht mir: ich muß nun bei mein tagen

die alten haut mein lebtag tragen,

weil kein kraut auf ert ist gewachsen,

heut zu verjüngen mich, Hans Sachsen.


Anno salutis 1557. am 5. tag Novembris.


Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Zweiter Theil: Spruchgedichte, Leipzig 1885, S. 94-97.
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