|
[195] In der sechsischen chronica
findt man warhaft geschriben da,
als man zelet eilfhundert jar
und vierzig, als ein herzog war,
regiert zu Braunschweig in dem lant
herzog Heinrich, der löw genant,
ein streitbar fürst, sighaft und kön.
der het ein gmahel from und schön;
den doch künig Konrad vertrib,
das im nur sein haupstat belib;
der auf ein zeit wolt ziehen ab
hinein zu dem heiligen grab,
in das heilige lant hinein.
als er von dem gemahel sein
vor seim abscheid sein urlaub num
und befalch ir das fürstentum,
ein güldin ring von einandr schnit
und die fürstin vereret mit
dem halben, und das ander teil
behielt er im. mit glück und heil
mit seim hofgsint abreisen tet,
des er ein anzal bei im het.
und als er gen Venedig kam,
ein galeen er da annam;
darmit fur er hin auf dem mer.
am dritten tag begab sich ser
auf dem mer ein groß ungestum
mit sturmenwinden umb und um.
wie streng man an den rudern zug,
iedoch das ungwitter verschlug
das schiff dahin in schneller eil
mit gewalt etlich hundert meil[196]
gem nidergang, hin über zwerg,
hin an den Adamantenberg,
daran dann stemt das klebermer,
darum kein schiff wirt ledig mer.
da waren sie in angst und not
und ruften allesamt zu got,
wan ir speis weret nicht ser lang,
das sie der bitter hunger zwang.
all tag ein greif geflogen kam,
der ein man aus dem schiffe nam,
den füret er hin in sein nest,
mit menschenfleisch sein junge mest.
solchem unglück hofft zu entrinnen
herzog Heinrich mit weisen sinnen;
der legt an sein stehlein gewant
und verschuf, das man in einbant
in ein roshaut und leget in
an des schiffs bort. da holet in
der greif im luft auf ein fels hoch,
sein junge mit zu speisen; doch
balt nun der greif wider abflug,
aus der roshaut er sich balt zug
und würgt die jungen greifen ab
und steig über das birg hinab
in ein wildnus, darinnen was
kein mensch, auch weder weg noch stras,
nur wilde tier, giftige würm,
der sach er vil grausamer fürm.
forchtsam er da in hunger was,
wurzel und kraut der herzog as,
und wilde frücht von baumens esten
die dauchten in süß und am besten;
im walt sucht er wider und für,
doch funt er keins menschen gespür;[197]
des tet er sich ellent bedunken.
eins tags sach er vor einr spelunken
ein löwen kempfen mit eim drachen
gar freidig, doch het in den sachen
der drach mit seinem schwanz umbschlungen,
das der löw stunt in angst bezwungen.
des den fürsten erbarmen tet,
zog balt von leder an der stet
und dem drachen den hals abhib.
nach dem der löw beim fürsten blib
und bei im wonet tag und nacht,
auch etwan im zu eßen bracht
wilds obs und etlich kreuter gut,
und hielt den herzogen in hut
vor den tieren, und bei im wacht
so ganz freuntlich, zam und geschlacht,
sam ein gut freunt in allen dingen.
den der fürst nicht kont von im bringen,
und also in der wildnus war
bei im biß auf das sibent jar.
nun als der herzog hochgeborn
also lange zeit war verlorn,
kein botschaft man nie het vernommen,
wo er mit seim gsint wer hin kommen,
vermeint sein volk, er wer ertrunken,
in eim schiffbruch im mer versunken.
darob im lant war große klag.
die landschaft der fürstin anlag,
das sie wider heiraten tet,
auf das das lant ein herren het.
das also gschach und sich zutrug,
ein fürstlich hochzeit man anschlug;
nun als frü solt die hochzeit sein,
zu nacht der teufel da erschein
als ein langer rabschwarzer man
und zeiget da dem herzog an:
morgen wirt dein weib hochzeit halten,
mit eim andern der freuden walten;[198]
wilt du aber sein eigen mein,
so bring ich dich die nacht hinein
gen Braunschweig, e wan kret der han.
der fürst sprach: ja, ich wil es tan,
wenn du mich und mein löwen mit
bringst, doch das ich erwache nit,
biß hin gen Braunschweig in die stat;
darmit beschloßen war der rat.
der teufel nam in samt dem leben
und fürt sie in dem lufte eben
den nechsten hin auf Braunschweig zu;
der fürst der schlief in stiller ru.
balt nun die mitternacht her gieng,
der löw zu lüen anefieng,
darum der herzog auferwacht.
des wurt der teufel ungeschlacht
und ließ den löwen fallen wider,
sezt auch den fürsten ungstüm nider
etwas von Braunschweig auf ein meil,
bei eim kloster; darein in eil
gieng der fürst samt dem seinen leben.
frü solt sich in der stat anheben;
darein gieng er in pilgrams kleit,
vermischt mit freud und herzenleit,
kam unerkant hin auf den sal,
darauf man hielt das hochzeitmal.
mit großem pracht man saß zu tisch,
het vergult wiltpret, vögl und fisch,
mit seitenspil und mit hofieren,
artlichem gesang und quintieren.
der fürst schickt den herolt vertraut
an tisch zu der fürstlichen braut
und ließ ir also sagen an:
es wer dort bei der tür ein man,
ein alter man, arm und ellent,
der begeret aus irer hent[199]
einen trunk weins zu einem segen
von ires herzog Heinrichs wegen.
die fürstin mit weinen durchbrach,
in einer güldin scheur darnach
schickt sie dem fremden gast ein wein.
der trank und ließ fallen darein
das halbe fingerlein von golt,
begeret, das auch trinken solt
die fürstin von herrn Heinrichs wegen,
der wer auch noch nit tot gelegen.
als ir der herolt solches sagt,
da trank die fürstin unverzagt
und sach das halb goltfingerlein
in der scheuren ligen im wein;
das erkennts, das des fürsten was,
und es an ir halb ringlein mas,
stunt auf vom tisch in großer freut,
mit verwundrung aller hofleut,
und zu des sales tür hin gieng
und iren alten fürstn umbfieng
mit höchster freud, doch ungeret,
an seinem hals im weinen tet,
der gleich er auch. zu hant auffur
als hofgsint, und entpfangen wur
der fürst mit großer reverenz,
und setzten in zu tisch eilenz,
wan er der rechte breutgam was.
als man nun frölich trank und as
und von dem hochzeitmal gieng ab,
der fürst dem jungen breutgam gab
ein jungs freulein, sein töchterlein.
also wurden zwo hochzeit gmein
beider fürsten vierzehen tag,
da man aller schön kurzweil pflag
mit rennen, stechen und turnieren,
mit tanzen und mit banketieren,[200]
weil man den fürsten wider het,
der darnach lang regieren tet.
der bhielt den löwen sein lebtag,
der zu tisch bei sein füßen lag,
und wo der fürst auch reit zu hof,
der löw allmal auch mit im lof;
zu nacht lag er vor der saltür
und wacht als ein wechter darfür.
der fürst auch bauen ließ ein stat,
Löwenburg die genennet hat
seinem treuen löwen zu ern,
sein gedechtnus darmit zu mern.
nach dem der alte fürste starb
und ein seliges ent erwarb,
und gar fürstlich begraben wart,
sein löw ganz schwach, trauriger art
sich leget auf des fürsten grab.
niemant kont bringen in herab,
und da zu lüen anefieng
für unde für kleglicher ding,
wolt auch nicht mer eßen und trinken,
vor herzleit tet in tot hinsinken.
derhalben nent man darnach eben
disen herzog Heinrich den leben,
dieweil sie heten beidesander
so herzlieb gehabt an einander,
in rechter treu biß an das ent
beider leben heten vollent.
Diß ist zu gedechtnus beschriben
und uns zu eim exempel bliben:
weil der löw also on abscheu
so hoch vergalt des fürsten treu,
die er am drachen im bewies,
das er sein leben bei im lies
und nach seim tot mocht nit mer leben,
hat er uns ein schön beispiel geben.[201]
vil mer sol ein vernünftig man
recht lieb und treu vergelten tan,
wo im geschicht aus treuem mut
ein treu an leib, er oder gut,
an freuntschaft, kindern oder weib,
das die nicht unvergolten bleib,
von dem sie im wirt zugemeßen,
sol er ewiglich nicht vergeßen;
wan es ist die undankbarkeit
ein grob laster, das unser zeit
doch get gewaltig in dem schwank.
die gegentreu ist schwach und krank
hie gleich wie auch jenseit des bachs,
das klagt auch zu Nürnberg Hans Sachs.
Anno salutis 1562., am 23. tag Maij.
Ausgewählte Ausgaben von
Spruchgedichte (Auswahl)
|
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro