Die Klage

[37] Durch diese unerträglich flachen Tage,

die ihren endlos grauen Frühlingsregen[37]

wie einen Sarg um meine Seele legen,

zog eines Traumes wundersame Frage

ein feines Band; schlägst du dies Band, so prägen

sie zitternd einen Klang von tiefer Klage. –

Nun küß mich wieder! sprach der Traum, da trat

ich in den Streifen, dessen fahler Glanz

und strähniges Gewinde meinen Pfad

schon lang verwirrt und nun im Taumeltanz

der Abendnebel, deren weiße Saat

von allen Wiesen kräuselnd stieg, mich ganz

verzaubert weiter führte; und ich ging

ihm nach und lief und stolperte und sprang

ihm nach durch Tau und Ried, bis wie ein Ring

und gläsern dünner Unkenglockenklang

er schwebend über meinem Haupte hing

und diese Klage zu mir nieder sang:

»Als meine Liebe trunken überquoll,

als ich besessen war und meine Brüste

nichts andres schienen als zwei wollusttoll

lechzende Kissen deiner wilden Lüste,

und als mein Leib von deiner Liebe schwoll

und ich schon wußte, daß ich sterben müßte,

bat ich dich wohl: sag mir ein armes Mal,

daß du mich liebst. – Du sagtest es mir nicht;

ich starb und noch in meiner letzten Qual

bat ich dich – doch du sagtest es mir nicht;

ich war dir lieb, mehr als der Sonne Strahl

dir lieb – doch warum sagtest du es nicht?

Nun trägst du deine einsam kalten Tage

durch eine Welt, die nichts von dir versteht,

und die – – –« und wie ein Blitz, mit einem Schlage

verschwand mir Bild und Traum; doch mich umfleht

noch immerfort der Stimme süße Klage

wie eines Toten heimliches Gebet,

das lockend aus dem Nichts herüberweht.


Quelle:
Gustav Sack: Gesammelte Werke. Band 2, Berlin 1920, S. 37-38.
Lizenz:
Kategorien: