Die Nacht

[210] Als um einhalbneun die Nacht auf ihren Fledermausflügeln aus der Heide kam und ihren Bruder, den Abend, hinter die Wälder verscheuchen wollte, rief der ihr zu:

Halt ein mit deinen Flatterscheuchen, du Garstige! Ich will deine Neugier kitzeln, du Schwarze. Gib Acht auf das Schloß, das da zwischen den Teichen und Rohrdommelwiesen schläft; auf das nördliche Fenster gib Acht, wo der Efeu sich plustert und die Spatzen schlafen. –

Das alte Geschwätz! Wieviel von deinem Neblerleben soll ich dir wieder schenken? Was hast du gesehen? –

Da verkroch sich der Abend hinter das Dorf, wo die Lichter brannten, und erzählte seiner Schwester, die über den Dächern auf ihren Flügeln hing: Als ich vorhinnen bei dem alten Schloß meine Nebel kämmte, sah ich in dem Efeufenster einen Menschen stehen, der mir bei[211] meiner Arbeit zusah. O, ich kenne die Augen der Menschen! Und der – kennst du noch den Moorbrenner, der da oben in Friesland – oder war es am Haarlemer Meer? – in der tollen Wut sein Kind in den Backofen unter dem Schlehdorn warf? Es war um die Zeit, wenn mir der Höhenrauch meine Nebel verdreckt – – nun flattere nicht gleich mit deinen Scheuchen! denn der Moorbrenner machte auch solche Augen.

Da dachte ich, Der da im Fenster hat dir so oft zugesehn, just wie das blanke Weib, das sonst dort steht: du solltest ihn trösten. Darum flog ich hinter die Wälder, wohin die gestorbenen Jahre und Tage gehen, und brachte von dort einen Nußbaum mit und an ihn gelehnt ein altes, hohes Haus, an dem ein Weinstock bis hoch zu dem spitzen Giebel kletterte. In dem Garten auf dem rechten schmalen Beet längs des Weges waren Stiefmütterchen und Goldlack, links aber standen die Georginen und krausköpfigen Sonnenblumen; und hinter der Weißbuchenhecke kamen die Ginsterbüsche und das Heidebruch, in dem im Herbst der Nebelkönig seine Laken spinnt, und aus dem Heidebruch wurde Buschwerk und märchendunkler Wald. Und da wuchs ein Machandelboom: bei dem hatte er gespielt und[212] eine schöne goldbraune Schlange gefangen. – Dann war er krank; und ich brachte ihm ein helles Zimmer, dessen vier Wände waren weißgekälkt. An der einen Wand gegenüber dem kleinen Bett hing das Bild des alten Kaisers und darunter unter einem Glasrahmen ein vergilbter Bibelvers; auf der Glasscheibe spielte die Sonne mit ihren runden Lichtern, – das sah der Knabe und fragte seine Mutter, die neben ihm am Bett saß: Mutter, was will die Sonne? – Sie will dir Gute Nacht sagen, mein Junge. – Dann küßte sie ihn, faltete seine Hände und ging aus dem Zimmer; das wurde voll von Sonnenschein. – Und dann brachte ich ihm einen Sonntag her – Oh, Schwester, nun scheuche nicht mit den Flatterflügeln! –

Als nun diese Tage und Stunden mit mir gekommen waren, schnitten sie ein traurig Gesicht und wollten Den da im Fenster nicht wiederkennen und gingen zurück hinter die dunklen Wälder. – Als das Der da am Fenster merkte, zerdrückte er eine Träne in seinen gottverlassenen Augen und wollte herab springen und fliehn – aber da trat das schwarze blanke Weib zu ihm und warf sich vor seine Füße. Da lachte er. – Aber sie erhob sich und legte den Kopf auf seine[213] Schulter, und nun sahen mir beide bei meiner Arbeit zu mit ihren gottlosen Augen. Aber als du angeflattert kamst, du Garstige, schlossen sie das Fenster und ließen den schweren Vorhang herab.

Gib Acht auf das Fenster, Schwester, da geht was vor! Erzähle mir drüben, was du gesehn, du Feuchte, Garstige, du Fledermausflüglige! –

Da hob die Nacht sich hoch, und als sie mit gewaltigen Flügelschlägen ihren Bruder vertrieben und nachgeholt hatte, was sie versäumt, huschte sie und kreiste sie acht Stunden lang um das Schloß. Bald hing sie auf ihren Flügeln wie ein Alp über den Dächern und Türmen – bald klammerte sie sich mit ihren Krallen in den Efeu und die Mauerritzen und lugte in das Zimmer, während ihre Fledermausflügel die ganze Wand bedeckten, daß die Spatzen im Schlaf die Federn sträubten, so kalt und feucht waren die Flügel der Nacht, – dann hockte sie auf dem Dachfirst und hüllte sich in ihre Flughäute, die nun so feucht waren, daß das ganze Dach troff, und ließ ihr Ohr zu dem Fenster herabschlottern und horchte – ihre Nase aber schnupperte gen Osten, ob dort der Morgen schon käme, der blanke Affe mit seinem ewig faden Lächeln. –[214]

Da plumpste sie wie ein Stein vom Dach und huschte am Boden hin, über die Bachläufe und Ackerfurchen, Ziegenmelker und Käuzchen hinterher: der blanke Affe war da. –

Schatten flattern auf und ab, Stunden, Tage und Jahre und was in ihnen war. Da zischelt es:

Was hast du gesehn? –

Am Schloß, als ich an der Wand hing, daß die Spatzen schauerten und froren? –

Erzähle! Erzähle! –

Was soll ich Großes gesehn haben! Kennst du das Menschenweib? – Dieses hatte seine Glieder in ein seidenes Kleid gezwängt, wie die Pagen es trugen, – und seinen Buhlen hatte es vermocht, sich in ein Lederwams zu kleiden, wie die Falkeniere sich kleideten. Dann hatte sie verstaubte Weine geholt und Ambra verbrannt. Und während ihr Liebster sich auf ein Lager geworfen hatte, lag sie zu seinen Füßen und erzählte ihm Märchen, schöne Menschenmärchen –, von Djinnen und Genien und wie sie sich vor Jahrtausenden schon geliebt – o wie geliebt! o, schöne schimmernde Märchen. Ihre Augen aber glummten wie die eines nächtlichen Vogels, ihr Gesicht war wie leuchtendes Weidenholz[215] um Mitternacht. – Märchen vom Wiedersehn und Weiterleben als lachendes Spechtpaar im Buchenwald, als Wind und Nebel – o schöne Märchen.

Doch er schüttelte das Haupt. Da entstürzten ihren Augen Tränen, sie raufte ihr Haar und zerschlug ihre Brust. Doch dann hob sie wieder Augen und Arme und sang ihm Märchen, o wilde flackernde Märchen! Und willst du es glauben, Bruder? Da nickte der Tölpel ihr zu und zog sie zu sich hoch. Sie aber zerriß ihr Kleid über den nackten Brüsten und warf den Leib über ihn und umschlang und umkrallte ihn, als wollte sie ihn zerpressen mit ihrer Lust. Und ein Taumel kam über sie, eine Wut wie – was weiß ich, ich feuchte uralte Nacht. – Aber siehst du, Bruder, mit einem Male knickte ihr Körper in ihres Liebsten Armen zusammen, und sie fiel von ihm ab wie ein geschlagener Ast – ihre Augen lohten und brannten, dann schlug ihr Haupt auf die Seite – und das schöne Weib war tot. –

Und er? Erzähle, erzähle! –

Als sie in seinen Armen zusammengebrochen war und ihre Glieder sich lösten und ihr Kopf zur Seite schlug, taumelte er und stürzte von dem Lager zu Boden. Als er sich aber wieder über[216] sie geworfen hatte und das, was er vorher gesehn, nicht glauben mochte, waren ihre Augen schon gebrochen, häßliche, tote Menschenaugen. Da hob sich seine Brust und zerriß das Lederwams über ihr, – – dann sank er neben sie, betastete blind ihren Kopf und drückte dabei ihre Augen zu. –

Und dann? Erzähle! erzähle! –

Und dann? Hast du einen Menschen gesehn, in dem nichts mehr von seinen Göttern und Eitelkeiten geblieben ist, nur der hell schreiende Schmerz, der seinen armen Körper rasen heißt? Ich sah sie oft, wenn ich an ihren Fenstern kauerte, und dann kam es über mich, daß ich meine spitzen Zähne in ihr Fleisch graben wollte und ihnen beistehen in ihrem Schmerz. – Dieser arme Hund kuschte in die Ecke und kroch in sich zusammen, und seine Augen verglasten. – Und als ich auf dem Dachfirst hockte und nach dem blanken Affen ausschaute, und mein Ohr herunterschlotterte, hörte ich ihn nach einer Weile deklamieren:

Nun ja – so sollte es ja kommen – besser konnte es garnicht kommen – jetzt ist es Zeit für dich – –.

Da hörte ich jenes törichte Knacken, wie ich es so oft schon hörte, und ihn weiter deklamieren:[217]

Was zögerst du? – – Hast du Angst? – – Haha! was Angst? was Mut? Bist du nicht das Maß der Dinge, die Welt? Bist du nicht die Welt?–

Da schlug er ein gellendes Gelächter hoch, wie ich es auch schon oft gehört:

Die Formel! Hahaha! Die Formel! Der Gott! Der Irrsinn! – – Bist du es nicht, die mich hierhin gebracht hat? Wollte ich mich nicht vor dir, vor deiner Tierheit und goldnen Verhurtheit retten? – Aber du hast mich gefangen und vergiftet und hast mich zum Tollhäusler gemacht! – Und nun du mich hast, wo du mich haben wolltest, gehst du deinen Weg, verfluchtes Weib! Du Hure! Du Tier! Schlagt sie tot, die Teufelinne! –

Das Alles muß er in der Ecke deklamiert haben, in die er sich gekuscht hatte; aber bei den letzten Worten muß er aufgesprungen sein, denn ich hörte Stühle stürzen und dann den Knall – und darauf ein Geheul, als hätte ich ihn bei den Füßen gefaßt und zerschmetterte seinen Kopf an den Wänden:

Hussa ho! Den Leichenschänder! Schlagt ihn tot, den Leichenschänder! –

Dann brach er durch die Tür mit Fäusten und brüllte in den Flur:[218]

Den Leichenschänder! Schlagt ihn tot, den Leichenschänder! Hussa ho! den Leichenschänder! –

Dann stürzte er über die Brücken und Straßen davon – . –

So? O erzähle! Erzähle! –

Dann kroch er in ein Röhricht und kuschte sich in den Schmutz, wie die angeschossenen Tiere es tun – . –

Erzähle, was wird er tun? –

Da kam der blanke Affe – was ist auch dabei? –

Erzähle –

Doch sie hatte sich schon in ihre Fledermausflügel gehüllt und plumpste tiefer, wie ein Stein vom Dach fällt.

Quelle:
Gustav Sack: Ein verbummelter Student. Berlin 21-221929, S. 210-219.
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