2. Nach einer Krankheit

[335] (Im Jahre 1783.)


Ich bin so froh, daß ich dich wieder sehe,

Dich, meines Gottes schöne Welt!

Daß wieder ich auf diesem Plätzchen stehe,

Das mehr als alles mir gefällt.


Vor mir die Flur, im Gold der Sonnenstrahlen,

Hier gelb und grün, dort rot und blau;

Des Regenbogens hohe Farben malen

Den Bach, die Wiese, Busch und Au'.


Allüberall ist nichts als reges Leben

Im weiten Reiche der Natur!

Die Mücken, die im lichten Strahle schweben,

Und jedes Gräschen auf der Flur!


Die Lerche, die sich kühn zur Sonne schwinget

Und hoch in Wolken sich verirrt;

Die Nachtigall, die laute Lieder singet;

Die Grille, die im Grase schwirrt –
[335]

Wohl alles zeugt, im fröhlichen Gewimmel:

Es ist ein Gott, der uns die Freuden giebt;

Ein guter Gott – ein Vater ist im Himmel,

Der alle seine Wesen liebt.


Dank, Vater, dir! Es ist auch deine Gabe,

Was heut mein frohes Herz genießt;

Mit Thränen Dank! daß nicht im dunkeln Grabe

Mich itzt der enge Sarg verschließt:


Daß diese Augen, statt itzt zu verwesen,

Ringsum in der Natur, entzückt

Die großen Spuren deiner Güte lesen,

Die du so schön ihr aufgedrückt;


Daß ich, gestärkt, noch wandle auf der schönen,

Mit Lust besä'ten Pilgerbahn.

Des bin ich froh, und danke dir mit Thränen,

So viel, so viel ich danken kann!


Laß, Vater, mich! Noch weil' ich gern hienieden.

Doch giebt mir einst der Tod die Hand –

Ich zittre nicht; froh geh' ich und zufrieden

Zu dir, ins bessre Vaterland!

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 335-336.
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