Italien

[551] Zu ihr, zu der die Gletscherbäche

Südwärts hinunterjauchzen,

Noch einmal wend' ich den Blick.

Wie unter der nordischen Eichen Dom

Ihre Riesenschwester Germania,

So unter Lorbeerwipfeln

Hält Italien die Siegesfeier.

Ein magischer Ring

Hat eure Geschicke, ihr Länder,

Aneinander gebunden –

Zu eurem Unheil, o wie lange!

Mit ihres Himmels schmachtendem Blau,

Ihrer Goldfruchthaine Duft und Glanz[551]

Lockte die Zauberin des Südens

Deutschlands Fürsten und Völker

In ihre Armidagärten,

Daß sie bei Brunnenrieseln

Unter Myrtengebüsch und leuchtenden Marmorbildern

Nicht ihres Reiches und Volks mehr gedachten.

Dann aus Wollustträumen der Nacht

Fuhren sie auf;

An den eisernen Panzer

Pochte ihr Herz in Begier,

Ueber das Land der Götter zu herrschen;

Es zuckte das Schwert aus der Scheide,

Und hochauf schlug die Flamme des Kampfes;

Städte loderten und erstanden neu

Zum Rachekrieg aus der Asche;

Von Gift gewürgt

Sank der größte der Kaiser

Bleich auf den fieberatmenden Boden;

Selbst die Bande des Bluts

Löste der Haß,

Ganze Geschlechter von Italiens Söhnen

Niederwälzte die mordende Schlacht;

Und als verhallt der Schwertschlag,

Der Siegesruf und die Totenklage,

Erschöpft, ohnmächtig lagt ihr beide,

Ein Hohn und Spott dem Fremden.


Sei denn, wie einst zum Verderben,

Nun euch zum Heil, eu'r Schicksal

Unauflöslich verbunden,

Und, wie in einer Sonne Mittagsglanz

Eu'r Auferstehungsfest ihr feiert,

So schreitet Arm in Arm

Der größern Zukunft entgegen.

Quelle:
Adolf Friedrich von Schack: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Stuttgart 31897, S. 551-552.
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