III. Zur Sage von dem wilden Jäger.

[419] Die Sagen, welche wir von dem wilden Jäger oder Hackelberg mitgetheilt haben, enthalten zwar manches, das aus andern Quellen schon bekannt ist, bieten aber mehrere bemerkenswerthe neue Züge dar, so daß ein kurzer erläuternder Ueberblick über denselben hier an seiner Stelle ist.

Fragen wir zunächst nach dem physischen Ursprunge der ganzen Sage, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß, wie schon altd. Rel. 319 ausgeführt ist, der tosende Sturmwind eine Veranlassung dazu gegeben hat. Das ergibt sich auch deutlich aus N. 99, 2, wo es heißt, Hackelberg lasse sich hören, wenn der Nordwestwind scharf durch die Bäume weht; ferner aus 99, 14, wo es ausgesprochen wird, daß Hackelberg Menschen durch die Luft führen könne; dann durch mehrere sonst vorkommende Sagen, daß der wilde Jäger oder das wilde Heer durch offen stehende Thüren fahre (vgl. z.B.D. Mythologie 886), indem diese Zugwind hervorbringen. Doch reicht diese Erklärung nicht aus. Die Erscheinung Hackelbergs ist auch mit Regen verbunden (N. 99, 12) und da er zugleich ein feuriges Aussehen hat (N. 99, 10; vgl. Ndd. S. 265, 6), so darf man dabei an feurige Lufterscheinungen, namentlich den Blitz denken. Damit stimmt, daß der wilde Jäger Ohrfeigen austheilt (N. 99, 15; vgl. Pröhle S. 125), oder einem Bauern die Mütze abschlägt (N. 99, 5), wovon sein Gesicht zu schwellen anfängt und er selbst am andern Tage stirbt. Der Bauer ist vom Blitze getroffen. Auch die sehr verbreitete Sage von der Pferdekeule, welche der wilde Jäger in das Feuer wirft und mit einem lauten Nachrufe begleitet, ist von Schwartz1 schon richtig auf den Blitz und den nachfolgenden lauten Donner bezogen. Auf dieselbe Erscheinung führt, daß Hackelberg einen Schäfer, der sich unter Hürden gelegt hat, zu erschlagen sucht (N. 99, 17; vgl. 96, 3) oder wirklich erschlägt, und die laut schallende Stimme des Nachtraben, der vor ihm her fliegt, darf man wieder auf den Donner beziehen. Daß aber die Macht[420] des wilden Jägers noch ausgedehnter ist, daß er überhaupt als Herr der Wettererscheinungen aufgefaßt wird, geht aus N. 100 hervor, wornach er bewirkt, daß die Teiche im Einbecker Walde vertrocknen.

Mit dieser Anschauung hat sich eine zweite verknüpft. Das Gestirn, der große Bär oder der Himmelswagen, wird als der Wagen Hackelbergs gedacht, auf dem er fährt (N. 98, 2. vgl. 95). Darauf ist auch wohl die Sage zu beziehen, daß Hackelberg alle sieben Jahre herum kommt (N. 97, 3. 99, 3), wie der Nachtrabe oder Fuhrmann alle hundert Jahre.

Die Person des wilden Jägers ist schon richtig auf den Gott Wodan bezogen. Noch jetzt heißt er in norddeutschen Gegenden Wode, Woenjäger u.s.w. und der Name Hackelberg, richtiger Hackelbernd ist von J. Grimm (D. Mythol. 873) durch Mantelträger erklärt. Nach der nordischen Mythologie hat Odhinn einen Mantel (altd. Rel. 184) der früher auch wohl in deutschen Sagen hervortrat. Auch der Nachtrabe, der den wilden Jäger begleitet, läßt eine Beziehung auf Wuotan zu. Dem nordischen Odhinn gibt der Mythus zwei Raben, die auf seinen Schultern sitzen und ihm alles ins Ohr sagen, was sie auf ihrem Fluge um die Welt erfahren (altd. Rel. 190). Wenn die deutsche Sage nur einen Raben erwähnt, so wird das keine Entstellung, sondern nur eine inviduelle Abweichung sein, die vielleicht ursprünglicher ist, als der Mythus der Edden. Man kann den Raben, der den im Gewitter waltenden Gott begleitet, für die dunkele Wetterwolke halten, aus der der laute Donner erschallt. In allen diesen Sagen erscheint der deutsche Wuotan, besonders der sächsische Wodan, eben so als ein die Wettererscheinungen lenkender Gott, wie ich das schon früher von dem nordischen Odhinn nachgewiesen habe.

In der niedersächsischen Volkssage von dem wilden Jäger haben sich zwei uralte Mythen von Wuotan erhalten, von denen die Edden nichts wissen, die wir hier noch besonders hervorheben, weil sie auf das Wesen des Gottes ein eigentümliches Licht werfen. Der eine ist die Erzählung von Hackelberg, der einen Eber erlegt (so lautet die ursprüngliche Sage), nachher aber von dem getödteten Thiere erschlagen wird (N. 97. 98). Der andere ist in der folgenden merkwürdigen Sage aus Lutterbeck enthalten, die so lautet.

»Hackeberg (Hackebarg), der jetzt noch durch die Luft zieht, war zu der Zeit, wo er auf Erden lebte, ein armer und dabei bitterböser Mann. Er war verheirathet, und seine Frau gebar ihm nach und nach sieben Kinder, welche aber der böse Vater jedes Mal nach[421] der Geburt tödtete. Einst hatte er Leute durch eine falsche Quittung betrogen und sich dadurch der Bezahlung entzogen. Da starb die Frau. Als sie nun begraben und zu ihrem neuen Aufenthaltsorte – ich weiß nicht, ob es der Himmel, oder die Hölle oder ein anderer Ort war – gekommen war, da waren die sieben Kinder, welche sie gehabt hatte, keine Kinder, sondern sieben lebendige kleine Hunde, welche an ihr herumhingen, als wenn sie an ihr sögen. Endlich starb auch Hackeberg, bald darauf auch sein Bruder, der eben so schlecht gewesen war, wie er selbst. Der Bruder kam nach seinem Tode nun auch nach demselben Orte, wohin Hackeberg schon vor ihm gekommen war. Da dieser selbst von dem Orte nicht weggehen konnte, aber meinte, daß sein Bruder sich noch einmal entfernen könnte, so bat er ihn, er möge doch auf die Erde zurückkehren und die Quittung ›richtig machen,‹ sie stecke hinter dem Spiegel in der Stube; würde die Sache nicht richtig gemacht, so könne er nicht selig werden. Damit man ihm glaube, möge er seinen Ring mitnehmen. Darauf warf er ihm seinen goldenen Ring in den Hut, der aber sogleich dadurch fiel, weil er ganz glühend war. Jener kehrte auch noch einmal auf die Erde zurück; als er aber zu den Leuten kam, welche sein Bruder betrogen hatte, da waren diese schon todt, und so ging er unverrichteter Sache wieder zurück. Als Hackeberg nun hörte, daß er nichts ausgerichtet habe, ward er über alle Maßen wütend. In seiner furchtbaren Wut ›zerspaltete er sich selbst, indem er mit dem einen Beine wogegen trat und sich so zerriß.‹ ›Er konnte nun nicht zu Gnaden kommen und muß deshalb ewig durch die Welt ziehen und wallen.‹ So fliegt er durch die Luft mit einem langen glühenden Schwanze, woran die sieben jungen Hunde hängen, welche gif gaf, gif gaf bellen, während er selbst tje hô, tje hô ruft. ›Alle sieben Jahre kommt er durch;‹ wenn er durchzieht und ruft, dann ist Krieg. In Lutterbeck ist ein Mann, der muß jedes Mal, wenn Hackeberg durchzieht, aufstehn und ihn sehen.«

Zieht man hier die Geschichte von der Quittung ab, die den Selbstmord Hackelbergs begründen soll, aber mythologisch von keinem Gewichte ist, so bleibt als Kern des Mythus zurück, daß Hackelberg seine Kinder, darauf sich selbst tödtet und in Begleitung seiner in Hunde verwandelten Söhne als Jäger erscheint. Eine Andeutung an diesen Mythus findet sich bereits in andern Sagen (oben S. 347), welche berichten, daß Hackelbergs Hunde seine Söhne sind.

Aus beiden Sagen ergibt sich das wichtige Resultat, daß Wuotan[422] zu gewissen Zeiten todt geglaubt und während desselben als der jagende d.h. der unterweltliche Gott gedacht wurde2. Daß diese Zeit der Winter ist, dürfen wir aus der Analogie anderer Mythen, griechischer3 wie nordischer schließen, und wir werden hier um so weniger irren, da der in der vorigen Abhandlung erläuterte Mythus von Odhins Verbannung in seiner Bedeutung verwandt ist. Warum der Eber als chthonisches Symbol erscheint, ist aus dem Wenigen, was wir über deutsche und nordische Mythologie wissen, nicht klar.

Die Sagen von Hackelbergs Grabe, das an verschiedenen Orten gezeigt wird (Nr. 97. 98 und Anm.), erhalten nun mehr Bedeutung. Verschiedene Plätze werden in heidnischen Zeiten für Grabstäten des Gottes gegolten haben, wie ein Grab des Zeus in Creta gezeigt wurde, und wie nordische Sagen (altd. Rel. 202) auch von einem Grabe Odhins wissen.

In der Lutterbecker Sage erscheint der Gott zugleich als ein grollender, der im Zorne seine eigenen Kinder erschlägt und, wie wir nun nach andern Erzählungen hinzusetzen dürfen, verzehrt. Auch das ist als ein alter roher symbolischer Zug aufzufassen, der bei Unterweltsgottheiten wieder kehrt. So verschlingt der Unterweltsgott Kronos seine eigenen Kinder4, so schlachtet Lykaon seinen Sohn, und setzt ihn dem Zeus als Speise vor, d.h. Zeus Lykaios schlachtet und verzehrt seinen Sohn5.

Dieser Mythus von Wuotan oder Hackelberg muß früher in verschiedenen individuellen Formen verbreitet gewesen sein, weil wir davon noch vielfache Spuren in der deutschen Volkssage, der Heldensage und dem Märchen finden. Aus der deutschen Volkssage ziehe ich die besonders Norddeutschland eigenthümlichen Sagen von in Höhlen wohnenden (auch sonst durch einzelne Züge auf Wuotan deutenden) Räubern hierher (n. 67-69 und Anm.), die Mädchen entführen, sie gewaltsam zu ihrem Willen zwingen, die Kinder, die sie gebären, (auch wohl die Mutter) tödten und, wie Papendöneken, verzehren. Aus der Heldensage gehören die in der vorigen Abhandlung besprochen, vielfach verzweigten[423] Erzählungen von der Tödtung junger Kinder hierher, die sich an den Schmied Wieland6, dann an Ermenrich und Dietrich heften, welcher letztere nun wieder, wenn das nicht zufällig ist, in einigen Sagen als wilder Jäger erscheint (D. Mythol. 888). Die nordische Sage (Säm. 260) erzählt auch von Gudrun, daß sie ihrem Gemahle Atli die eigenen Söhne zum Mahle vorsetzte. Dann berichten, was wir hier nur eben erwähnen, noch mehrere Märchen und Sagen von einer edeln Frau, welche verläumdet wird Hunde geboren zu haben, worauf ihr Gatte die Kinder zu tödten befiehlt.

Die hervorgehobenen Züge, die sich noch weiter verfolgen ließen, sind in der Sage von Hackelberg die bedeutendsten. Manches, worauf andere Gewicht gelegt haben, kommt unserer Ansicht nach kaum in Betracht. Es ist z.B. ganz gleichgültig, was Hackelberg jagt, worauf auch die niedersächsische Sage, welche wir als die reinste ansehen müssen, kein Gewicht legt. Diese weiß auch von einem Heere, das den Jäger begleitet, ursprünglich nichts. Die Sagen von dem wütenden Heere, die in andern deutschen Gegenden vorkommen, weisen zwar in ihrem Namen auch auf Wuotan, es kommt aber doch in Frage, ob sie mit demselben in einem genauern Zusammenhange stehen. Sie deuten auf einen andern sehr verbreiteten alten Glauben, den wir bei einer andern Gelegenheit erläutern wollen.

Fußnoten

1 Der heutige Volksglaube S. 15.


2 Vgl. das jagende wütende Heer, das aus Geistern besteht. S. auch H.D. Müller über den Zeus Lykaios, Göttingen 1851. S. 29.


3 Der griechische Mythus von Adonis, der auch durch einen Eber getödtet wird, ist schon altd. Rel. 257 verglichen. Doch ist dort der Mythus von Hackelbergs Tode unrichtig auf Balder bezogen.


4 Müller Ares S. 123.


5 Müller über den Zeus Lykaios S. 22.


6 Von den Räubern wird vielfach erzählt, daß sie um ihre Verfolger zu täuschen, ihren Pferden die Hufeisen verkehrt aufschlagen ließen. Wieland beredete (Viltinasaga C. 29) die Söhne des Königs, die er tödten wollte, bei frisch gefallenem Schnee rückwärts zu seiner Schmiede zu kommen.


Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 419-424.
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Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.

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