Vierter Akt


[93] Scene wie im zweiten Akt.

Aber auf der hinteren Wand sind jetzt nur hell- und dunkelblaue Flecken von unregelmässiger Form sichtbar. Okurirasûna stehend und die sieben Räte, die auch stehen, bereits die Handschuhe an und die Zylinder in der Hand haben.


OKURIRASÛNA in einem weiten zinnoberroten Mantel mit Goldkometen. Meine Herren, was Sie von mir verlangen, ist denn doch zu viel. Die ganze Sache ist doch keine pure Vertrauensangelegenheit. Wenn ich Befehle erteilen darf, so will ich doch auch wissen, ob meine Befehle ausgeführt werden – oder nicht.[93]

GRAF ABGRUND. Gnädige Frau, wir haben schon in aller Form erklärt, dass unser Auftreten durch Traditionen bestimmt wird, die durch Jahrtausende geheiligt sind. Wir müssen so handeln – wie wir handeln.

OKURIRASÛNA. Dann können Sie mir ja Vieles erzählen. Gesetzt, ich würde der Meinung sein, dass alle Sterne, die von unsrer Sonne aus sichtbar werden, zu vernichten seien. Würden Sie die Vernichtung arrangieren? Ich frage den ersten meiner Räte.

ERSTER RAT. Ich bezweifle, gnädige Frau, dass Sie jemals einen so grausamen Befehl erlassen könnten.

OKURIRASÛNA. Das ist keine Antwort auf meine Frage.

GRAF ABGRUND. Wir Alle nehmen an, dass die gnädige Frau zufrieden ist, wenn blos die astralen Friedensstörer vernichtet werden.

OKURIRASÛNA. Gewiss würde ich dadurch zufriedengestellt sein – aber ich möchte auch die Gewissheit haben, dass die Friedensstörer tatsächlich vernichtet werden. Vor Monaten habe ich den Befehl gegeben, jenen blauen Stern der ersten Zone zu vernichten. Ich möchte nun sehen, wie weit der Vernichtungsprozess gediehen ist. Man müsste heute bereits eine Veränderung in der Farbe des Sterns wahrnehmen; die hellblauen Partieen haben sich, wie Sie mir das an den dort befindlichen Wandfiguren Weist auf die hintere Wand. erklärten, in dunkelgrüne verwandelt.

GRAF ABGRUND. Es ist unsre Pflicht, die Weltgebieterin nicht an die Teleskope ran zu lassen. Die persönliche Besichtigung der astralen Vorgänge strengt Sie, gnädige Frau, derart an, dass Sie auf Wochen hinaus die weiteren kosmischen Verhältnisse in ihren Zusammenhängen nicht mehr verfolgen und somit auch nicht mehr lenken können.

OKURIRASÛNA. Sie sind wirklich so schlau, dass es mir schwer fällt, Sie nicht für die gemeinsten Betrüger zu halten – die mit mir blos eine lächerliche Komödie aufführen.


Die Räte schreien entrüstet: »Aber!« »Was ist denn los?« »Unerhört!« und Aehnliches.
[94]

ZWEITER RAT. Das ist ein Vorbote des schönen Rappels – ist Ihnen das nicht klar?

ERSTER RAT. Ich mache die gnädige Frau in allem Ernste darauf aufmerksam, dass Sie sich die Gesundheit Ihres Verstandes bewahren wollten.

SECHSTER RAT. Zu den Worten aber, die Sie zu äussern beliebten, könnten wir nur lächeln.


Die sieben Räte lächeln.


OKURIRASÛNA nach einer Weile. Verzeihen Sie mir – es war nur ein Scherz.

GRAF ABGRUND. Wir wünschen Euer Gnaden eine angenehme Siesta.


Alle Räte lächelnd mit Bücklingen rechts ab. Von links erscheinen wieder wie im zweiten Akt Lekafolirâm und Mesmeimônio, die erstere in Schwarz, die letztere in Weiss.


OKURIRASÛNA aufgeregt in ihrem Mantel auf und ab gehend, während sich die beiden andern Frauen auf den Diwan setzen. Kinder, das war wieder eine Scene! Da hättet Ihr dabei sein sollen!

LEKAFOLIRÂM. Was war los?

OKURIRASÛNA. Ich wollte mich mit meinen eigenen Augen davon überführen, dass meine Befehle ausgeführt werden.

MESMEIMÔNIO. Und was sagten sie?

OKURIRASÛNA. Sie sagten, das widerstrebe den Traditionen – und ausserdem würden mich die Beobachtungen an den Teleskopen derart anstrengen, dass ich in meinem Amte gestört und behindert werden dürfte.

MESMEIMÔNIO. Ja, brauchst Du denn die Teleskope dazu? Könntest Du Dich nicht mit blossem Auge überführen?

LEKAFOLIRÂM. Ich würde doch Alles ruhig so gehen lassen. Glaube mir, es ist das Beste.

OKURIRASÛNA. Oho! Da bist Du aber im Irrtum. Mesmeimônio, ich danke Dir für Deinen Rat. Aber zunächst muss ich denn doch ein ganz ernstes Wort mit Dir, Lekafolirâm, sprechen.

LEKAFOLIRÂM. Bitte! Sprich nur!

OKURIRASÛNA. Wenn, wie ich leider Grund habe zu vermuten, die Weltgebieterin einfach eine lächerliche Figur ist – so halte[95] ich's für lächerlich, wenn sich eine Weltgebieterin etwas Derartiges gefallen lassen wollte.

LEKAFOLIRÂM. Und weiter?

OKURIRASÛNA. Was denn? Verlangst Du noch mehr?

LEKAFOLIRÂM. Was willst Du denn tun?

OKURIRASÛNA. Diesen Gaunern hier die Larve vom Gesichte reissen und die Völker darüber aufklären, dass sie in diesem Sternpalaste blos schlaue Schmarotzer auffüttern.

LEKAFOLIRÂM. Das Eine wird Dir nichts nützen, und das Andre wird Dir nicht gelingen.

OKURIRASÛNA. So? Nun – das werden wir sehen.

LEKAFOLIRÂM. Du wirst unklug handeln.

OKURIRASÛNA. Sag doch lieber, ich sei eine dumme Gans.

LEKAFOLIRÂM. Das sage ich nicht. Tu, was Du willst! Ich bin es müde, Dein Vertrauen – zu erkämpfen.

OKURIRASÛNA. Und ich bin es müde, Deine apathischen Grobheiten zu hören.

MESMEIMÔNIO. Nun wollen wir aber zusehen, was sich tun lässt.

OKURIRASÛNA. Ja, liebe Mesmeimônio! Sieh, da drüben ist der blaue Stern der ersten Zone, wie er sich im grössten Teleskope zeigen soll. Nun habe ich befohlen, diesen Stern zu zerstören. Und meine Räte haben mir erklärt, dass dieses möglich ist – durch Mittel, die ich allerdings nicht beurteilen kann. Denn um diese Mittel zu beurteilen, müsste ich über tausend Jahre Dinge studieren, die mir doch etwas zu – trocken erscheinen. Also: der blaue runde Stern wird nach Angabe meiner Räte durch sehr komplizierte Apparate jetzt wirklich zerstört; die hellblauen Flecke sollen jetzt schon dunkelgrün sein.

MESMEIMÔNIO. Das muss sich mit blossem Auge wahrnehmen lassen.

OKURIRASÛNA. Auch die Form des Sternes hat sich in der Mitte nach beiden Seiten auseinandergezogen.

MESMEIMÔNIO. Das muss sich ebenfalls mit blossem Auge wahrnehmen lassen.

LEKAFOLIRÂM. Das hat ja Alles keinen Zweck.[96]

OKURIRASÛNA. Liebe Freundin, würdest Du mich verraten?

LEKAFOLIRÂM. Nein – das hätte auch keinen Zweck.

OKURIRASÛNA. Gut, so wollen wir auf den Weltbalkon gehen und sehen, ob wir eine Veränderung an dem blauen Stern bemerken.

LEKAFOLIRÂM. Handle aber nicht unvorsichtig.

MESMEIMÔNIO. Wollen wir nicht sofort hingehen?

OKURIRASÛNA. Liebe Lekafolirâm, ich weiss, was ich zu tun habe. Noch bin ich die Weltgebieterin.

MESMEIMÔNIO. Kommt! Lasst uns eilen! Aber auf den Zehen! Ganz leise! Dass Niemand was merkt!


Die drei Frauen schleichen leise auf den Zehen links hinaus. Ein paar Sekunden hindurch ist Niemand auf der Bühne. Dann kommt von rechts der rote Diener mit den Hörnern, blickt sich um, geht – auch auf den Zehen – zum Globus, betastet ihn, geht zum Diwantisch und betastet dort die sieben Ringe auf Okurirasûnas Kopfputz – lächelt, schüttelt mit dem Kopf und geht wieder rechts ab – und wieder ist ein paar Sekunden hindurch Niemand auf der Bühne.

Vorhang!


Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 93-97.
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