Fünfter Akt


[97] Dieselbe Scene wie im ersten Akt.

Statt der beiden roten Kometen steht aber jetzt nur einer am Himmel und zwar einige Handbreiten über dem runden blauen Stern in der Mitte mit nach oben gerichtetem Schweif.


ERSTER RAT wie im ersten Aufzuge von links mit dem zweiten Rate zusammen auftretend. Was wollen wir denn hier? Ich dächte, wir hätten schon genug über die Sache geredet.[97]

ZWEITER RAT. Durchaus nicht! Es ist kein Spass. Gesetzt, wir hätten kein so dummes Volk – so würden wir doch wahrhaftig nicht im Stande sein, den ausserordentlich grossartigen Geschehnissen im Reiche der kosmischen Grandiosität zu folgen. Meinst Du, man würde uns um rein idealer Zwecke willen hier durchfüttern? Oh nein – man muss die Völker mit kitzelnden Machtphantasieen zu ködern wissen. Und darum ist ein Betrug einfach anständig. Oder – meinst du das Gegenteil?

ERSTER RAT. Ich meine, dass es immerhin bedenklich sei, diese Komödie von der sogenannten Sterndirektion aufzuführen.

ZWEITER RAT. Bedenklich! Natürlich ist das ganze Leben bedenklich! Aber mir erscheint es wichtiger, in unsrem Sternpalast die grossen Vorgänge im kosmischen Weltall zu verfolgen – als – weniger wichtige Angelegenheiten in Betracht zu ziehen. Bist du nicht auch der Meinung?

ERSTER RAT. Allerdings – der Meinung schliesse ich mich vollkommen an.


Beide Räte wieder rechts ab, während Okurirasûna, Lekafolirâm und Mesmeimônio von links hereinkommen.


LEKAFOLIRÂM. Jetzt glaube ich, dass auch mich der schöne Rappel ergreifen wird.

OKURIRASÛNA. Was erlaubst Du Dir? Ich habe noch meinen Verstand.

LEKAFOLIRÂM. Wenn ich Deinen Verstand ansehe, so habe ich bald meinen Verstand nicht mehr.

OKURIRASÛNA. Schweig! Mesmeimônio, sage mir: hat sich an dem blauen Stern irgend etwas verändert?

MESMEIMÔNIO. Keine Spur! Der ist, wie er war!

OKURIRASÛNA. Nun, dann bitte ich Euch, mich zu verlassen.

LEKAFOLIRÂM. Wir wünschen Euer Gnaden eine angenehme Siesta.


Beide ab.


OKURIRASÛNA allein, beugt sich über die Brüstung, klopft an die Wände und rennt mit den Füssen stampfend herum – währenddem schreit sie in kurzen Absätzen das Folgende. Heda! Kommt heran! Ihr verfluchten Betrüger! Ihr Schwindelnarren! Ihr gemeinen Schufte! Ihr erbärmlichen Halsabschneider! Ihr![98] Kommt heran! Ich werde Euch die Wahrheit geigen: Heraus! Ihr Schmarotzer! Hierher!

ERSTER RAT. Der gnädigen Frau ist wohl nicht wohl! Darf ich die Aerzte rufen?

OKURIRASÛNA. Ersparen Sie sich die Mühe, Sie altes Ochs.


Die andern sechs Räte erscheinen nach einander von beiden Seiten. Lekafolirâm und Mesmeimônio, die zurückkamen, werden gleich wieder hinausgedrängt.


ZWEITER RAT. Na ja! Der Ausbruch des vollendeten Rappels ist zum Ereignis geworden.

SECHSTER RAT. Wir hörten schon die nötigen Dokumente. Halten Sie gefälligst Ihr gnädigstes Maul, gnädigste Okurirasûna! Sie werden sofort für verrückt erklärt werden.


Geht nach hinten und pfeift gellend über die Mauerbrüstung in die Tiefe hinunter.


OKURIRASÛNA. Ihr Hallunken, Ihr habt mich betrogen; der blaue Stern sieht so aus, wie er immer ausgesehen hat.

GRAF ABGRUND. Man binde diesem rabiaten Frauenzimmer Arme und Beine und stopfe ihm einen Knebel in den etwas zu kühnen Mund.

FÜNFTER RAT. Ich finde es urkomisch, dass immer die Frauen den grossen Mund riskieren.

SECHSTER RAT während Okurirasûna von drei Räten, ohne Widerstand zu leisten, gefesselt wird. Ich lächle über diese ganze Weltgebieterei.

GRAF ABGRUND. Mein lieber Herr Weltrat, es ist durchaus nicht geistreich von Ihnen, dass Sie unsre Institutionen belächeln. In offiziellen Augenblicken wenigstens könnten Sie sich das gefälligst abgewöhnen.

OKURIRASÛNA plötzlich kreischend. Hilfe! Sie wird geknebelt.


Der sechste Rat fängt sie, während sie in Ohnmacht fallen will, geschickt auf und hält sie von hinten an den Armen fest. Die sechs andern Räte ziehen ihren Zylinder und verbeugen sich vor ihr. Aus der Tiefe ertönt Wehgeschrei.


GRAF ABGRUND. Gnädigste Frau Weltgebieterin, wir erklären[99] Ihnen hiermit, dass das Wehgeschrei der Völker nichts Andres bedeutet, als dass Sie auch verrückt geworden sind. Sie waren eben für den Sternpalast der dunklen Centralsonne noch nicht reif.

ZWEITER RAT. Sie waren eben noch zu jung.

GRAF ABGRUND. Arrangiert gefälligst das althergebrachte Arrangement der Absetzungszeremonie.


Die sechs ersten Räte fallen, während jetzt der Graf die Okurirasûna vor sich festhält, auf beide Kniee vor ihr hin, schwenken die Zylinder und leuchten ihr mit ihren Blendlaternen ins Angesicht.


ERSTER RAT aufstehend. Wir sind tatsächlich nicht Euretwegen da. Bravorufen der andern Räte.

ZWEITER RAT aufstehend. Wir sind tatsächlich nur unsretwegen da.


Gelächter der Räte.


DRITTER RAT aufstehend. Wir haben ein heiliges Recht, die Völker zu betrügen.

VIERTER RAT aufstehend. Die Völker können glücklich sein, dass wir sie betrügen.

FÜNFTER RAT aufstehend. Wenn wir die Völker nicht betrügen würden, hätten die Völker von der Grandiosität der Welt keine blasse Idee.

SECHSTER RAT aufstehend. Ich lächle blos.


Die sechs Räte umwandeln die Okurirasûna in grösseren und kleineren Kreisen, beleuchten sie mit ihren Blendlaternen, lächeln und lachen und

strecken vor ihr die Zunge raus und schneiden Grimassen und tanzen und springen dazu, während hinten aus der Tiefe jämmerliches Wehgeschrei ertönt.

Vorhang!


Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 97-100.
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