Erstes Kapitel.

Hadwig, Herzogin von Schwaben.

[26] Es war vor beinahe tausend Jahren. Die Welt wußte weder von Schießpulver noch von Buchdruckerkunst.

Über dem Hegau lag ein trüber, bleischwerer Himmel, doch war von der Finsternis, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter lastete, im einzelnen nichts wahrzunehmen. Vom Bodensee her wogten die Nebel übers Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Turm vom jungen Gotteshaus Radolfszelle war eingehüllt, aber das Frühglöcklein war lustig durch Dunst und Dampf erklungen, wie das Wort eines verständigen Mannes durch verfinsternden Nebel der Toren.

Es ist ein schönes Stück deutscher Erde, was dort zwischen Schwarzwald und Schwäbischem Meer sich auftut. Wer's mit einem falschen Gleichnis nicht allzu genau nimmt, mag sich der Worte des DichtersA1 erinnern:


»Das Land der Alemannen mit seiner Berge Schnee,

Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee,

Mit seinen gelben Haaren, dem Ährenschmuck der Auen,

Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schauen.«


– wiewohl die Fortführung dieses Bildes Veranlassung werden könnte, die Hegauer Berge als die Nasen in diesem Antlitz zu preisen.

Düster ragte die Kuppe des hohen Twiel mit ihren Klingsteinzacken in die Lüfte. Als Denkstein stürmischer Vorgeschichte unserer alten Mutter Erde stehen jene schroffen malerischen Bergkegel in der Niederung, die einst gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogender Flut überströmt war. Für Fische und Wassermöven mag's ein denkwürdiger Tag gewesen sein, da es in den Tiefen brauste[27] und zischte, und die basaltischen Massen glühend durch der Erdrinde Spalten sich ihren Weg über die Wasserspiegel bahnten. Aber das ist schon lange her. Es ist Gras gewachsen über die Leiden derer, die bei jener Umwälzung mitleidlos vernichtet wurden; nur die Berge stehen noch immer, ohne Zusammenhang mit ihren Nachbarn, einsam und trotzig wie alle, die mit feurigem Kern im Herzen die Schranken des Vorhandenen durchbrechen, und ihr Gestein klingt, als säße noch ein Gedächtnis an die fröhliche Jugendzeit drin, da sie zuerst der Pracht der Schöpfung entgegengejubelt.

Zur Zeit, da unsere Geschichte anhebt, trug der hohe Twiel schon Turm und Mauern, eine feste Burg. Dort hatte Herr Burkhard gehaust, der Herzog in Schwaben. Er war ein fester Degen gewesen und hatte manchen Kriegszug getan; die Feinde des Kaisers waren auch die seinen, und dabei gab es immer Arbeit: wenn's in Welschland ruhig war, fingen oben die Normänner an, und wenn die geworfen waren, kam etwann der Ungar geritten, oder es war einmal ein Bischof übermütig oder ein Grafe widerspenstig, – so war Herr Burkhard zeitlebens mehr im Sattel als im Lehnstuhl gesessen. Demgemäß ist erklärlich, daß er sich keinen sanften Leumund geschaffen.

In Schwaben sprachen sie, er habe die Herrschaft geführt, sozusagen als ein Zwingherr, und im fernen Sachsen schrieben die Mönche in ihre Chroniken, er sei ein kaum zu ertragender Kriegsmann gewesen1.

Bevor Herr Burkhard zu seinen Vätern versammelt ward, hatte er sich noch ein Ehgemahl erlesen. Das war die junge Frau Hadwig, Tochter des Herzogs in Bayern. Aber in das Abendrot eines Lebens, das zur Neige geht, mag der Morgenstern nicht freudig scheinen. Das hat seinen natürlichen Grund2. Darum hatte Frau Hadwig den alten Herzog in Schwaben genommen ihrem Vater zu Gefallen, hatte ihn auch gehegt und gepflegt, wie es einem grauen Haupt zukam, aber wie der Alte zu sterben ging, hat ihr der Kummer das Herz nicht gebrochen.

Da begrub sie ihn in der Gruft seiner Väter und ließ ihm von grauem Sandstein ein Grabmal setzen und stiftete[28] eine ewige Lampe über das Grab; kam auch noch etliche Male zum Beten herunter, aber nicht allzuoft.

Dann saß Frau Hadwig allein auf der Burg Hohentwiel; es waren ihr die Erbgüter des Hauses und mannigfalt Befugnis, im Land zu schalten und zu walten, verblieben, sowie die Schutzvogtei über das Hochstift Konstanz und die Klöster um den See, und hatte ihr der Kaiser gebrieft und gesiegelt zugesagt, daß sie als Reichsverweserin in Schwaben gebieten solle, solange der Witwenstuhl unverrückt bleibe. Die junge Witib war von adeligem Gemüt und nicht gewöhnlicher Schönheit. Aber die Nase brach unvermerkt kurz und stumpflich im Antlitz ab, und der holdselige Mund war ein wenig aufgeworfen, und das Kinn sprang mit kühner Form vor, also, daß das anmutige Grüblein, so den Frauen so minnig ansteht, bei ihr nicht zu finden war. Und wessen Antlitz also geschaffen, der trägt bei scharfem Geist ein rauhes Herz im Busen und sein Wesen neigt zur Strenge. Darum flößte auch die Herzogin manchem ihres Landes trotz der lichten Röte ihrer Wangen einen sonderbaren Schreck ein3.

An jenem nebligen Tag stand Frau Hadwig im KlosettA2 ihrer Burg und schaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein stahlgrau Unterkleid, das in leichten Wellen über die gestickten Sandalen wallte, drüber schmiegte sich eine bis zum Knie reichende schwarze Tunika; im Gürtel, der die Hüften umschloß, glänzte ein kostbarer Beryll. Ein goldfadengestricktes Netz hielt das kastanienbraune Haar umfangen, doch unverwehrt umspielten sorgsam gewundene Locken die lichte Stirn.

Auf dem Marmortischlein am Fenster stand ein phantastisch geformtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdländisch Räucherwerk und wirbelte seine duftig weißen Wölklein zur Decke des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Teppichen umhangen.

Es gibt Tage, wo der Mensch mit jeglichem unzufrieden ist, und wenn er in Mittelpunkt des Paradiesgartens[29] gesetzt würde, es wär' ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmutig von dem zu jenem und wissen nicht, wo sie anhalten sollen, – aus jedem Winkel grinst ein Fratzengesicht herfür, und wenn einer ein fein Gehör hat, so mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man sagt dortlands, der schiefe Verlauf solcher Tage rühre gewöhnlich davon her, daß man frühmorgens mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gesprungen sei, was bestimmtem Naturgesetz zuwider.

Die Herzogin hatte heute ihren Tag. Sie wollte zum Fenster hinausschauen, da blies ihr ein feiner Luftzug den Nebel ins Angesicht; das war ihr nicht recht. Sie hub einen zürnenden Husten an. Wenn Sonnenschein weit übers Land geglänzt hätte, sie würde auch an ihm etwas ausgesetzt haben.

Der Kämmerer Spazzo war eingetreten und stand ehrerbietig am Eingang. Er warf einen wohlgefälligen Blick auf seine Gewandung, als wär' er sicher, seiner Gebieterin Augen heut auf sich zu lenken, denn er hatte ein gestickt Hemde von Glanzleinwand angelegt und ein saphirfarbiges Oberkleid mit purpurnen Säumen, alles nach neustem Schnitt; erst gestern war des Bischofs Schneider von Konstanz damit herübergekommen4.

Der Wolfshund dessen von Fridingen hatte zwei Lämmer der Burgherde zerrissen, da gedachte Herr Spazzo pünktlichen Vortrag zu erstatten und Frau Hadwigs fürstliches Gutachten einzuholen, ob er in friedlichem Austrag sich mit dem Herrn des Schädigers vergleichen oder am nächsten Gaugericht Wehrgeld und Buße einklagen solle5. Er hub seinen Spruch an. Aber eh' und bevor er zu Ende gekommen, sah er, daß ihm die Fürstin ein Zeichen machte, dessen Bedeutung einem verständigen Mann nicht fremd bleiben konnte. Sie fuhr mit dem Zeigefinger der Rechten erst nach der Stirn, dann wies sie mit gleichem Finger nach der Tür. Da merkte der Kämmerer, daß es seinem eigenen Witz anheimgestellt sei, nicht nur den Bescheid wegen der Lämmer zu finden, sondern auch sich mit möglichster Beschleunigung zu entfernen. Er verbeugte sich und ging.[30]

Mit heller Stimme rief Frau Hadwig jetzt: »Praxedis!« – Und wie's nicht sogleich die Stufen zum Saal herauf huschte, rief sie noch einmal schärfer: »Praxedis!«

Es dauerte nicht lange, so schwebte die Gerufene ins Klosett herein.

Praxedis war der Herzogin in Schwaben Kammerfrau, von griechischer Nation, ein lebend Angedenken, daß einst des Byzantiner Kaisers Vasilius Sohn um Hadwigs Hand geworben6. Der hatte das des Gesangs und weiblicher Kunstfertigkeit erfahrene Kind samt vielen Kleinodien und Schätzen der deutschen Herzogstochter geschenkt und als Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menschen verschenken, auch kaufen. Freiheit war nicht jedem zu eigen. Aber eine Unfreiheit, wie sie das Griechenkind auf der schwäbischen Herzogsburg zu tragen hatte, war nicht drückend.

Praxedis war ein blasses feingezeichnetes Köpfchen, aus dem zwei große dunkle Augen unsäglich wehmütig und lustig zugleich in die Welt vorschauten. Das Haar trug sie in Flechten um die Stirn geschlungen; sie war schön.

»Praxedis, wo ist der Star?« sprach Frau Hadwig.

»Ich werd' ihn bringen«, sagte die Griechin. Und sie ging und brachte den schwarzen Gesellen, der saß so breit und frech in seinem Käfig, als wenn sein Dasein im Weltganzen eine klaffende Lücke auszufüllen hätte. Der Star hatte bei Hadwigs Hochzeit sein Glück gemacht7. Ein alter Fiedelmann und Gaukler hatte ihm unter langwieriger Mühsal einen lateinischen Hochzeitsgruß eingetrichtert; das gab einen großen Jubel, wie beim Festschmaus der Käfig auf den Tisch gestellt ward und der Vogel seinen Spruch sprach: »Es ist ein neuer Stern am Schwabenhimmel aufgegangen, der Stern heißt Hadwig, Heil ihm!« und so weiter.

Der Star war aber tiefer gebildet. Er konnte außer dem gereimten Klingklang auch das Vaterunser hersagen. Der Star war auch hartnäckig und konnte seine Grillen haben, so gut wie eine Herzogin in Schwaben.

Heute mußte dieser eine Erinnerung an alte Zeit durch[31] den Sinn geflogen sein, der Star sollte den Hochzeitsspruch sagen. Der Star aber hatte seinen frommen Tag. Und wie ihn Praxedis ins Gemach trug, rief er feierlich: »Amen!« und wie Frau Hadwig ihm ein Stück Honigkuchen in den Käfig reichte und schmeichelnd fragte: »Wie war's mit dem Stern am schwäbischen Himmel, Freund Star?« da sprach er langsam: »Führe uns nicht in Versuchung!« Wie sie aber zur Ergänzung seines Gedächtnisses ihm zuflüsterte: »Der Stern heißt Hadwig, Heil ihm!« – da fuhr der Star in seiner Melodie fort und intonierte würdig: »Erlöse uns von dem Übel!«

»Fürwahr, das fehlt noch, daß auch die Vögel heutigentages unverschämt werden«, rief Frau Hadwig, »Burgkatze, wo steckst du?« und sie lockte die schwarze Katze herbei, der war der Star schon lange ein Dorn im Auge, mit funkelnden Augen kam sie geschlichen.

Frau Hadwig erschloß den Käfig und überantwortete ihr den Vogel, der Star aber, dem schon die scharfen Krallen das Gefieder zausten und etliche Schwungfedern geknickt hatten, ersah noch ein Gelegenheitlein und entwischte durch einen Spalt am Fenster.

Bald war er verschwunden, ein schwarzer Punkt im Nebel.

»Eigentlich«, sprach Frau Hadwig, »hätt' ich ihn auch im Käfig behalten können. Praxedis, was meinst du?«

»Meine Herrin hat bei allem recht, was sie tut«, erwiderte diese.

»Praxedis«, fuhr Frau Hadwig fort, »hol' mir meinen Schmuck. Mich gelustet, eine goldene Armspange anzulegen.«

Da ging Praxedis, die immerwillige, und brachte der Herzogin Schmuckkästchen. Das war von getriebenem Silber, mit starken unfertigen Strichen waren etliche Gestalten darin angebracht in erhabener Arbeit, der Heiland als guter Hirt und Petrus mit dem Schlüssel und Paulus mit dem Schwert, samt allerhand Blattwerk und reich verschlungener Zierart, als wenn es früher zur Aufbewahrung von Reliquien gedient hätte. Es war durch[32] Herrn Burkhard eingebracht worden, doch sprach er nie gern davon, denn er kam zu selber Zeit von einer Fehde heimgeritten, darin er einen burgundischen Bischof schwer überrannt und niedergeworfen hatte.

Wie die Herzogin das Kästchen aufschlug, gleißten und glänzten die Kleinodien mannigfalt auf dem roten Sammtfutter. Bei solchen Denkzeichen der Erinnerung kommen allerhand alte Geschichten herangeschwirrt. Auch das Bildnis des griechischen Prinzen Konstantin lag dort, zierlich, geleckt und sonder Geist vom Byzantiner Meister auf Goldgrund gemalt.

»Praxedis«, sprach Frau Hadwig, »wie wär's geworden, wenn ich deinem spitznasigen, gelbwangigen Prinzen die Hand gereicht hätte?«

»Meine Herrin«, war Praxedis' Antwort, »es wäre sicher gut geworden.«

»Ei«, fuhr Frau Hadwig fort, »erzähl' mir etwas von deiner langweiligen Heimat, ich möchte mir gern vorstellen, was ich für einen Einzug in Konstantinopolis gehalten hätte.«

»O Fürstin«, sprach Praxedis, »meine Heimat ist schön« – wehmütig ließ sie ihr dunkles Aug' in die neblige Ferne gleiten – »und solch trüber Himmel wenigstens wär' Euch am Ufer des Marmormeers für immer erspart. Auch Ihr hättet den Schrei des Staunens nicht unterdrückt, wenn wir auf stolzer Galeere dahingefahren wären: an den sieben Türmen vorbei, da heben sich zuerst die dunklen Massen, Paläste, Kuppeln, Gotteshäuser, alles im blendend weißen Marmor, aus den Brüchen der Insel Prokonnesos, groß und stolz steigt die Lilie des Meeres aus dem blauen Grunde auf, dort ein dunkler Wald von Zypressen, hier die riesige Wölbung der hagia Sophia, auf und ab das weite Vorgebirg' des Goldenen Horns; gegenüber am asiatischen Gestade grüßt eine zweite Stadt, und als blaugoldener Gürtel schlingt sich das schiffbelastete Meer um den Zauber – o Herrin, auch im Traum vermag ich hier im schwäbischen Land den Glanz jenes Anblicks nicht wieder zu schauen.[33]

Und dann, wenn die Sonne niedergestiegen und über flimmernden Meereswellen die schnelle Nacht aufgeht, der Königsbraut zu Ehren alles im blaufahlen Glanz griechischen Feuers, – jetzt fahren wir in Hafen ein, die große Kette, die ihn sonst absperrt, löst sich dem Brautschiff, Fackeln sprühen am Ufer, dort steht des Kaisers Leibwache, die Waräger mit ihren zweischneidigen Streitäxten, und die blauäugigen Normänner, dort der Patriarch mit zahllosen Priestern, überall Musik und Jubelruf, und der Königssohn im Schmucke der Jugend empfängt die Verlobte, nach dem Palaste von Blacharnae wallt der Festzug ...«

»Und all diese Herrlichkeit habe ich versäumt«, spottete Frau Hadwig. »Praxedis, dein Bild ist nicht vollständig. Und schon des andern Tags kommt der Patriarch und erteilt der abendländischen Christin einen scharfen Glaubensunterricht, was von all den Ketzereien zu halten, die auf eurem verstandesdürren Erdreich aufsprießen wie Stechapfel und Bilsenkraut, – und was von den Bildern der Mönche und dem Konzilschluß zu Chalcedon und Nicaea; dann kommt die Großhofmeisterin und lehrt die Gesetze der Sitte und Bewegung: so die Stirn gefaltet und so die Schleppe getragen, diesen Fußfall vor dem Kaiser und jene Umarmung der Frau Schwiegermutter und diese Höflichkeit gegen jenen Günstling und jene gigantische Redensart gegen dieses Untier: Eure Gravität, Eure Eminenz, Eure erhabene und wunderbare Größe! – was am Menschen Lebenslust und Kraft heißt, wird abgetötet, und der Herr Gemahl gibt sich auch als gefirnißtes Püppchen zu erkennen, eines Tages steht der Feind vor den Toren oder der Thronfolger ist den Blauen und Grünen des Zirkus nicht genehm, der Aufstand tobt durch die Straßen, und die deutsche Herzogstochter wird geblendet ins Kloster gesteckt ... Was frommt's ihr dann, daß ihre Kinder schon in der Wiege mit dem Titel Alleredelster begrüßt wurden? Praxedis, ich weiß, warum ich nicht nach Konstantinopolis ging.«

»Der Kaiser ist der Herr der Welt«, sprach die Griechin;[34] »was der Wille seiner Ewigkeit ordnet, ist wohlgetan: so hat man mich gelehrt.«

»Hast du auch schon darüber nachgedacht, daß es dem Menschen ein kostbar Gut ist, sein eigener Herr zu sein?«

»Nein«, sprach Praxedis.

Das angeregte Gespräch behagte der Herzogin.

»Was hat denn«, fuhr sie fort, »euer Byzantiner Maler für einen Bescheid heimgebracht, da er mein Konterfei fertigen sollte?«

Die Griechin schien die Frage überhört zu haben. Sie hatte sich erhoben und stand am Fenster.

»Praxedis«, sprach Frau Hadwig scharf, »antworte!«

Da lächelte die Gefragte mild und sagte: »Das ist schon eine lange Zeit her, aber Herr Michael Thallelaios hat wenig Gutes von Euch gesprochen. Die schönsten Farben habe er bereitgehalten, so erzählt er uns, und die feinsten Goldblättchen, Ihr seiet ein reizend Kind gewesen, wie man Euch zum Gemaltwerden vor ihn führte, und es hab' ihn feierlich angemutet, als sollt' er seine ganze Kunst zusammennehmen, wie damals, als er die Mutter Gottes fürs Athoskloster malte. Aber die Prinzessin Hadwig hätten geruht, die Augen zu verdrehen, und wie er eine bescheidene Einwendung erhoben, hätten Eure Gnaden die Zunge gewiesen und beide Hände mit gestreckten Fingern an die Nase gehalten und in anmutig gebrochenem Griechisch gesagt, das sei die rechte Stellung.

Der Herr Hofmaler nahm Veranlassung, vieles über den Mangel an Bildung in deutschen Landen dran zu knüpfen, und hat einen hohen Schwur getan, daß er zeitlebens dort kein Fräulein mehr malen wolle. Und der Kaiser Basilius hat auf den Bericht hin grimmig in seinen Bart gebrummt ...8«

»Laß Seine Majestät brummen«, sprach die Herzogin. »Und flehe zum Himmel, daß er jeder andern die Geduld verleihen möge, die mir damals ausging. Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, einen Affen zu sehen, aber allem zufolge, was glaubwürdige Männer erzählen, reicht Herrn[35] Michaels Ahnentafel zu jenen Mitgliedern der Schöpfung hinauf.«

Sie hatte inzwischen die Armspange angelegt, es waren zwei ineinander verstrickte Schlangen, die sich küssen, jede trug ein Krönlein auf dem Haupt9. Da ihr unter dem vielen Geschmucke jetzt ein schwerer silberner Pfeil unter die Hände geraten war, so mußte auch er seinen Aufenthalt im Gefängnis des Schreins mit anderem Platze vertauschen. Er ward in die Maschen des goldfadigen Haarnetzes gezogen.

Als wollte sie des Schmuckes Wirkung prüfen, ging Frau Hadwig mit großen Schritten durchs Gemach. Ihr Gang war herausfordernd. Aber der Saal war leer; selbst die Burgkatze war von dannen geschlichen. Spiegel waren keine an den Wänden. Der Zustand wohnlicher Einrichtung überhaupt ließ damals manches zu wünschen übrig.

Praxedis' Gedanken waren noch bei der vorigen Geschichte. »Gnädige Gebieterin«, sprach sie, »er hat mich doch gedauert.«

»Wer?«

»Des Kaisers Sohn. Ihr seid ihm im Traum erschienen«, sagt' er, »und all sein Glück hab' er von Euch erhofft. Er hat auch geweint ...«

»Laß die Toten ruhen«, sprach Frau Hadwig ärgerlich. »Nimm lieber die Laute und sing mir das griechische Liedlein:«


»Konstantin, du armer Knabe,

Konstantin, und laß das Weinen!«


»Sie ist zersprungen«, war die Antwort, »und alle Saiten zugrund' gerichtet, seit die Frau Herzogin geruhten, sie ...«

»Sie dem Grafen Boso von Burgund an Kopf zu – werfen«, ergänzte Hadwig. »Dem ist nicht zu viel geschehen, 's war gar nicht notwendig, daß er uneingeladen zur Leichenfeier Herrn Burkhards kam und mir Trost zusprechen wollte, als wär' er ein Heiliger. Laß die Laute flicken.«

»Sag' mir indes, du griechische Goldblume, warum hab' ich heut den festlichen Schmuck angelegt?«[36]

»Gott ist allwissend«, sprach die Griechin, »ich weiß es nicht.« Sie schwieg. Frau Hadwig schwieg auch. Da trat eine jener schwülen inhaltsvollen Pausen ein, wie sie der Selbsterkenntnis vorangehen. Endlich sprach die Herzogin: »Ich weiß es auch nicht!«

Sie schlug mißmutig die Augen nieder: »Ich glaube, es geschah aus langer Weile. Der Gipfel unseres Hohentwiel ist aber auch ein gar zu betrübtes Nest – zumal für eine Witib. Praxedis, weißt du ein Mittel gegen die lange Weile?«

»Ich habe einmal von einem weisen Prediger gehört«, sprach Praxedis, »es gäb' mannigfalte Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reisen – das beste sei Fasten und Beten.«

Da stützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, sah die dienstbereite Griechin scharf an und sprach: »Morgen reisen wir!«

Fußnoten

A1 Gustav Schwab.


A2 Verschließbares Gemach, Kabinett. Die jetzt gewöhnliche Bedeutung ist ganz jung.


Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 3, Leipzig/ Wien 1917.
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