Erster Auftritt


[748] Dunois und La Hire.


DUNOIS.

Wir waren Herzensfreunde, Waffenbrüder,

Für eine Sache hoben wir den Arm

Und hielten fest in Not und Tod zusammen.

Laßt Weiberliebe nicht das Band zertrennen,

Das jeden Schicksalswechsel ausgehalten.

LA HIRE.

Prinz, hört mich an!

DUNOIS.

Ihr liebt das wunderbare Mädchen,

Und mir ist wohl bekannt, worauf Ihr sinnt.

Zum König denkt Ihr stehnden Fußes jetzt

Zu gehen, und die Jungfrau zum Geschenk

Euch zu erbitten – Eurer Tapferkeit

Kann er den wohlverdienten Preis nicht weigern.

Doch wißt – eh ich in eines andern Arm

Sie sehe –

LA HIRE.

Hört mich, Prinz!

DUNOIS.

Es zieht mich nicht

Der Augen flüchtig schnelle Lust zu ihr.

Den unbezwungnen Sinn hat nie ein Weib

Gerührt, bis ich die Wunderbare sah,

Die eines Gottes Schickung diesem Reich

Zur Retterin bestimmt und mir zum Weibe,

Und in dem Augenblick gelobt ich mir

Mit heilgem Schwur als Braut sie heimzuführen.[748]

Denn nur die Starke kann die Freundin sein

Des starken Mannes, und dies glühnde Herz

Sehnt sich an einer gleichen Brust zu ruhn,

Die seine Kraft kann fassen und ertragen.

LA HIRE.

Wie könnt ichs wagen, Prinz, mein schwach Verdienst

Mit Eures Namens Heldenruhm zu messen!

Wo sich Graf Dunois in die Schranken stellt,

Muß jeder andre Mitbewerber weichen.

Doch eine niedre Schäferin kann nicht

Als Gattin würdig Euch zur Seite stehn,

Das königliche Blut, das Eure Adern

Durchrinnt, verschmäht so niedrige Vermischung.

DUNOIS.

Sie ist das Götterkind der heiligen

Natur, wie ich, und ist mir ebenbürtig.

Sie sollte eines Fürsten Hand entehren,

Die eine Braut der reinen Engel ist,

Die sich das Haupt mit einem Götterschein

Umgibt, der heller strahlt als irdsche Kronen,

Die jedes Größte, Höchste dieser Erden

Klein unter ihren Füßen liegen sieht;

Denn alle Fürstenthronen aufeinander

Gestellt, bis zu den Sternen fortgebaut,

Erreichten nicht die Höhe, wo sie steht,

In ihrer Engelsmajestät!

LA HIRE.

Der König mag entscheiden.

DUNOIS.

Nein, sie selbst

Entscheide! Sie hat Frankreich frei gemacht

Und selber frei muß sie ihr Herz verschenken.

LA HIRE.

Da kommt der König!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 748-749.
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