Neunter Auftritt

[651] Graf Shrewsbury zu den Vorigen.


SHREWSBURY kommt in großer Bewegung.

Man will dich übereilen, Königin![651]

O halte fest, sei standhaft –


Indem er Davison mit der Schrift gewahr wird.


Oder ist es

Geschehen? Ist es wirklich? Ich erblicke

Ein unglückselig Blatt in dieser Hand,

Das komme meiner Königin jetzt nicht

Vor Augen.

ELISABETH.

Edler Shrewsbury! Man zwingt mich.

SHREWSBURY.

Wer kann dich zwingen? Du bist Herrscherin,

Hier gilt es deine Majestät zu zeigen!

Gebiete Schweigen jenen rohen Stimmen,

Die sich erdreisten, deinem Königswillen

Zwang anzutun, dein Urteil zu regieren.

Die Furcht, ein blinder Wahn bewegt das Volk,

Du selbst bist außer dir, bist schwer gereizt,

Du bist ein Mensch und jetzt kannst du nicht richten.

BURLEIGH.

Gerichtet ist schon längst. Hier ist kein Urteil

Zu fällen, zu vollziehen ists.

KENT der sich bei Shrewsburys Eintritt entfernt hat, kommt zurück.

Der Auflauf wächst, das Volk ist länger nicht

Zu bändigen.

ELISABETH zu Shrewsbury.

Ihr seht, wie sie mich drängen!

SHREWSBURY.

Nur Aufschub fordr ich. Dieser Federzug

Entscheidet deines Lebens Glück und Frieden.

Du hast es Jahre lang bedacht, soll dich

Der Augenblick im Sturme mit sich führen?

Nur kurzen Aufschub. Sammle dein Gemüt,

Erwarte eine ruhigere Stunde.

BURLEIGH heftig.

Erwarte, zögre, säume, bis das Reich

In Flammen steht, bis es der Feindin endlich

Gelingt, den Mordstreich wirklich zu vollführen.

Dreimal hat ihn ein Gott von dir entfernt.

Heut hat er nahe dich berührt, noch einmal

Ein Wunder hoffen, hieße Gott versuchen.

SHREWSBURY.

Der Gott, der dich durch seine Wunderhand[652]

Viermal erhielt, der heut dem schwachen Arm

Des Greisen Kraft gab, einen Wütenden

Zu überwältgen – er verdient Vertrauen!

Ich will die Stimme der Gerechtigkeit

Jetzt nicht erheben, jetzt ist nicht die Zeit,

Du kannst in diesem Sturme sie nicht hören.

Dies eine nur vernimm! Du zitterst jetzt

Vor dieser lebenden Maria. Nicht

Die Lebende hast du zu fürchten. Zittre vor

Der Toten, der Enthaupteten. Sie wird

Vom Grab erstehen, eine Zwietrachtsgöttin,

Ein Rachegeist in deinem Reich herumgehn,

Und deines Volkes Herzen von dir wenden.

Jetzt haßt der Brite die Gefürchtete,

Er wird sie rächen, wenn sie nicht mehr ist.

Nicht mehr die Feindin seines Glaubens, nur

Die Enkeltochter seiner Könige,

Des Hasses Opfer und der Eifersucht

Wird er in der Bejammerten erblicken!

Schnell wirst du die Veränderung erfahren.

Durchziehe London, wenn die blutge Tat

Geschehen, zeige dich dem Volk, das sonst

Sich jubelnd um dich her ergoß, du wirst

Ein andres England sehn, ein andres Volk

Denn dich umgibt nicht mehr die herrliche

Gerechtigkeit, die alle Herzen dir

Besiegte! Furcht, die schreckliche Begleitung

Der Tyrannei, wird schaudernd vor dir herziehn,

Und jede Straße, wo du gehst, veröden.

Du hast das Letzte, Äußerste getan,

Welch Haupt steht fest, wenn dieses heilge fiel!

ELISABETH.

Ach Shrewsbury! Ihr habt mir heut das Leben

Gerettet, habt des Mörders Dolch von mir

Gewendet – Warum ließet Ihr ihm nicht

Den Lauf? So wäre jeder Streit geendigt,

Und alles Zweifels ledig, rein von Schuld,[653]

Läg ich in meiner stillen Gruft! Fürwahr!

Ich bin des Lebens und des Herrschens müd.

Muß eine von uns Königinnen fallen,

Damit die andre lebe – und es ist

Nicht anders, das erkenn ich – kann denn ich

Nicht die sein, welche weicht? Mein Volk mag wählen,

Ich geb ihm seine Majestät zurück.

Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht für mich,

Nur für das Beste meines Volks gelebt.

Hofft es von dieser schmeichlerischen Stuart,

Der jüngern Königin, glücklichere Tage,

So steig ich gern von diesem Thron und kehre

In Woodstocks stille Einsamkeit zurück,

Wo meine anspruchlose Jugend lebte,

Wo ich, vom Tand der Erdengröße fern,

Die Hoheit in mir selber fand – Bin ich

Zur Herrscherin doch nicht gemacht! Der Herrscher

Muß hart sein können, und mein Herz ist weich.

Ich habe diese Insel lange glücklich

Regiert, weil ich nur brauchte zu beglücken.

Es kommt die erste schwere Königspflicht,

Und ich empfinde meine Ohnmacht –

BURLEIGH.

Nun bei Gott!

Wenn ich so ganz unkönigliche Worte

Aus meiner Königin Mund vernehmen muß,

So wärs Verrat an meiner Pflicht, Verrat

Am Vaterlande, länger stillzuschweigen.

– Du sagst, du liebst dein Volk, mehr als dich selbst,

Das zeige jetzt! Erwähle nicht den Frieden

Für dich und überlaß das Reich den Stürmen.

– Denk an die Kirche! Soll mit dieser Stuart

Der alte Aberglaube wiederkehren?

Der Mönch aufs neu hier herrschen, der Legat

Aus Rom gezogen kommen, unsre Kirchen

Verschließen, unsre Könige entthronen?

– Die Seelen aller deiner Untertanen,[654]

Ich fodre sie von dir – Wie du jetzt handelst,

Sind sie gerettet oder sind verloren.

Hier ist nicht Zeit zu weichlichem Erbarmen,

Des Volkes Wohlfahrt ist die höchste Pflicht;

Hat Shrewsbury das Leben dir gerettet,

So will ich England retten – das ist mehr!

ELISABETH.

Man überlasse mich mir selbst! Bei Menschen ist

Nicht Rat noch Trost in dieser großen Sache.

Ich trage sie dem höhern Richter vor.

Was der mich lehrt, das will ich tun – Entfernt euch,

Mylords!


Zu Davison.


Ihr, Sir! Könnt in der Nähe bleiben!


Die Lords gehen ab. Shrewsbury allein bleibt noch einige Augenblicke vor der Königin stehen, mit bedeutungsvollem Blick, dann entfernt er sich langsam, mit einem Ausdruck des tiefsten Schmerzes.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 651-655.
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