Die Kindsmörderin

[52] Horch – die Glocken weinen dumpf zusammen,

Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf.

Nun, so seis denn! – Nun, in Gottes Namen!

Grabgefährten, brecht zum Richtplatz auf!

Nimm, o Welt, die letzten Abschiedsküsse,

Diese Tränen nimm, o Welt, noch hin!

Deine Gifte – o sie schmeckten süße!

Wir sind quitt, du Herzvergifterin.[52]


Fahret wohl, ihr Freuden dieser Sonne,

Gegen schwarzen Moder umgetauscht!

Fahre wohl, du Rosenzeit voll Wonne,

Die so oft das Mädchen lustberauscht!

Fahret wohl, ihr goldgewebten Träume,

Paradieseskinder-Phantasien!

Weh! sie starben schon im Morgenkeime,

Ewig nimmer an das Licht zu blühn.


Schön geschmückt mit rosenroten Schleifen

Deckte mich der Unschuld Schwanenkleid,

In der blonden Locken loses Schweifen

Waren junge Rosen eingestreut: –

Wehe! – die Geopferte der Hölle

Schmückt noch itzt das weißlichte Gewand,

Aber ach! – der Rosenschleifen Stelle

Nahm ein schwarzes Totenband.


Weinet um mich, die ihr nie gefallen,

Denen noch der Unschuld Lilien blühn,

Denen zu dem weichen Busenwallen

Heldenstärke die Natur verliehn!

Wehe! – menschlich hat dies Herz empfunden! –

Und Empfindung soll mein Richtschwert sein! –

Weh! vom Arm des falschen Manns umwunden,

Schlief Louisens Tugend ein.


Ach vielleicht umflattert eine andre,

Mein vergessen, dieses Schlangenherz,

Überfließt, wenn ich zum Grabe wandre,

An dem Putztisch in verliebten Scherz?

Spielt vielleicht mit seines Mädchens Locke?

Schlingt den Kuß, den sie entgegenbringt?

Wenn, verspritzt auf diesem Todesblocke,

Hoch mein Blut vom Rumpfe springt.


Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen

Folge dir Louisens Totenchor,[53]

Und des Glockenturmes dumpfes Heulen

Schlage schröcklichmahnend an dein Ohr –

Wenn von eines Mädchens weichem Munde

Dir der Liebe sanft Gelispel quillt,

Bohr es plötzlich eine Höllenwunde

In der Wollust Rosenbild!


Ha Verräter! nicht Louisens Schmerzen?

Nicht des Weibes Schande, harter Mann?

Nicht das Knäblein unter meinem Herzen?

Nicht was Löw und Tiger milden kann?

Seine Segel fliegen stolz vom Lande,

Meine Augen zittern dunkel nach,

Um die Mädchen an der Seine Strande

Winselt er sein falsches Ach! – –


Und das Kindlein – in der Mutter Schoße

Lag es da in süßer, goldner Ruh,

In dem Reiz der jungen Morgenrose

Lachte mir der holde Kleine zu,

Tödlichlieblich sprang aus allen Zügen

Des geliebten Schelmen Konterfei;

Den beklommnen Mutterbusen wiegen

Liebe und – Verräterei.


»Weib, wo ist mein Vater?« lallte

Seiner Unschuld stumme Donnersprach,

»Weib, wo ist dein Gatte?« hallte

Jeder Winkel meines Herzens nach –

Weh, umsonst wirst, Waise, du ihn suchen,

Der vielleicht schon andre Kinder herzt,

Wirst der Stunde unsrer Wollust fluchen,

Wenn dich einst der Name Bastard schwärzt.


Deine Mutter – o im Busen Hölle! –

Einsam sitzt sie in dem All der Welt,

Durstet ewig an der Freudenquelle,

Die dein Anblick fürchterlich vergällt.[54]

Ach, in jedem Laut von dir erwachet

Toter Wonne Qualerinnerung,

Jeder deiner holden Blicke fachet

Die unsterbliche Verzweifelung.


Hölle, Hölle, wo ich dich vermisse,

Hölle, wo mein Auge dich erblickt,

Eumenidenruten deine Küsse,

Die von seinen Lippen mich entzückt!

Seine Eide donnern aus dem Grabe wieder,

Ewig, ewig würgt sein Meineid fort,

Ewig – hier umstrickte mich die Hyder –

Und vollendet war der Mord –


Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen

Jage dir der grimme Schatten nach,

Mög mit kalten Armen dich ereilen,

Donnre dich aus Wonneträumen wach,

Im Geflimmer sanfter Sterne zucke

Dir des Kindes grasser Sterbeblick,

Es begegne dir im blutgen Schmucke,

Geißle dich vom Paradies zurück.


Seht, da lag es – lag im warmen Blute,

Das noch kurz im Mutterherzen sprang,

Hingemetzelt mit Erinnysmute,

Wie ein Veilchen unter Sensenklang; – –

Schröcklich pocht schon des Gerichtes Bote,

Schröcklicher mein Herz!

Freudig eilt' ich, in dem kalten Tode

Auszulöschen meinen Flammenschmerz.


Joseph! Gott im Himmel kann verzeihen,

Dir verzeiht die Sünderin.

Meinen Groll will ich der Erde weihen,

Schlage, Flamme, durch den Holzstoß hin –

Glücklich! Glücklich! Seine Briefe lodern,

Seine Eide frißt ein siegend Feur,[55]

Seine Küsse! – wie sie hochan flodern! –

Was auf Erden war mir einst so teur?


Trauet nicht den Rosen eurer Jugend,

Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie!

Schönheit war die Falle meiner Tugend,

Auf der Richtstatt hier verfluch ich sie! –

Zähren? Zähren in des Würgers Blicken?

Schnell die Binde um mein Angesicht!

Henker, kannst du keine Lilie knicken?

Bleicher Henker, zittre nicht! – – –


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 52-56.
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