Die Geschlechter

Sieh in dem zarten Kind zwei liebliche Blumen vereinigt,

Jungfrau und Jüngling, sie deckt beide die Knospe noch zu.

Leise löst sich das Band, es entzweien sich zart die Naturen,

Und von der holden Scham trennet sich feurig die Kraft.

Gönne dem Knaben zu spielen, in wilder Begierde zu toben:

Nur die gesättigte Kraft kehret zur Anmut zurück.

Aus der Knospe beginnt die doppelte Blume zu streben,

Köstlich ist jede, doch stillt keine dein sehnendes Herz.

Reizende Fülle schwellt der Jungfrau blühende Glieder,

Aber der Stolz bewacht streng wie der Gürtel den Reiz.

Scheu wie das zitternde Reh, das ihr Horn durch die Wälder verfolget,

Flieht sie im Mann nur den Feind, hasset noch, weil sie nicht liebt.

Trotzig schauet und kühn aus finstern Wimpern der Jüngling,

Und, gehärtet zum Kampf, spannet die Sehne sich an.

Fern in der Speere Gewühl und auf die stäubende Rennbahn

Ruft ihn der lockende Ruhm, reißt ihn der brausende Mut.

Jetzt beschütze dein Werk, Natur! Auseinander auf immer

Fliehet, wenn du nicht vereinst, feindlich, was ewig sich sucht.

Aber da bist du, du Mächtige, schon, aus dem wildesten Streite

Rufst du der Harmonie göttlichen Frieden hervor.

Tief verstummet die lärmende Jagd, des rauschenden Tages

Tosen verhallet, und leis sinken die Sterne herab.

Seufzend flüstert das Rohr, sanft murmelnd gleiten die Bäche,

Und mit melodischem Lied füllt Philomela den Hain.

Was erreget zu Seufzern der Jungfrau steigenden Busen?

Jüngling, was füllet den Blick schwellend mit Tränen dir an?[236]

Ach, sie suchet umsonst, was sie sanft anschmiegend umfasse,

Und die schwellende Frucht beuget zur Erde die Last.

Ruhelos strebend verzehrt sich in eigenen Flammen der Jüngling,

Ach, der brennenden Glut wehet kein lindernder Hauch.

Siehe, da finden sie sich, es führet sie Amor zusammen,

Und dem geflügelten Gott folgt der geflügelte Sieg.

Göttliche Liebe, du bists, die der Menschheit Blumen vereinigt,

Ewig getrennt, sind sie doch ewig verbunden durch dich.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 236-237,255-256.
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