Die Weltweisen

Der Satz, durch welchen alles Ding

Bestand und Form empfangen,

Der Kloben, woran Zeus den Ring

Der Welt, die sonst in Scherben ging,

Vorsichtig aufgehangen,[221]

Den nenn ich einen großen Geist,

Der mir ergründet, wie er heißt,

Wenn ich ihm nicht drauf helfe –

Er heißt: Zehn ist nicht Zwölfe.


Der Schnee macht kalt, das Feuer brennt,

Der Mensch geht auf zwei Füßen,

Die Sonne scheint am Firmament,

Das kann, wer auch nicht Logik kennt,

Durch seine Sinne wissen.

Doch wer Metaphysik studiert,

Der weiß, daß, wer verbrennt, nicht friert,

Weiß, daß das Nasse feuchtet

Und daß das Helle leuchtet.


Homerus singt sein Hochgedicht,

Der Held besteht Gefahren,

Der brave Mann tut seine Pflicht

Und tat sie, ich verhehl es nicht,

Eh noch Weltweise waren;

Doch hat Genie und Herz vollbracht,

Was Lock' und Descartes nie gedacht,

Sogleich wird auch von diesen

Die Möglichkeit bewiesen.


Im Leben gilt der Stärke Recht,

Dem Schwachen trotzt der Kühne,

Wer nicht gebieten kann, ist Knecht,

Sonst geht es ganz erträglich schlecht

Auf dieser Erdenbühne.

Doch wie es wäre, fing der Plan

Der Welt nur erst von vornen an,

Ist in Moralsystemen

Ausführlich zu vernehmen.


»Der Mensch bedarf des Menschen sehr

Zu seinem großen Ziele,[222]

Nur in dem Ganzen wirket er,

Viel Tropfen geben erst das Meer,

Viel Wasser treibt die Mühle.

Drum flieht der wilden Wölfe Stand

Und knüpft des Staates daurend Band.«

So lehren vom Katheder

Herr Pufendorf und Feder.


Doch weil, was ein Professor spricht,

Nicht gleich zu allen dringet,

So übt Natur die Mutterpflicht

Und sorgt, daß nie die Kette bricht

Und daß der Reif nie springet.

Einstweilen, bis den Bau der Welt

Philosophie zusammenhält,

Erhält sie das Getriebe

Durch Hunger und durch Liebe.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 206-207,221-223.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (1789-1805)
Gedichte
Sämtliche Gedichte und Balladen
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Don Karlos: Text - Erläuterungen - Materialien. Empfohlen für das 10.-13. Schuljahr: Ein dramatisches Gedicht
Sämtliche Werke, Band 3 von insgesamt 5 Bänden, Ln, Gedichte: Nachdruck der Ausgabe letzter Hand unter Hinzuziehung der Erstdrucke und Handschriften

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon