|
[73] Jon, Kreusa mit Gefolge, das sich nachher in den Hintergrund verliert.
KREUSA.
Wir sind am Ziel der Reise. Ja, ich sehe
Die hochberühmte Wohnung des Apoll.
Wenn mich der stolze Bau noch zweifeln ließe,
So geben sie die Lorbeerzweige kund,
Das schöne Denkmal jener spröden Nymphe,
Die seine Lieb' in starren Tod gejagt.
Ist's doch, als schlänge sie, ach, nun zu spät!
Um den Verfolger liebevoll die Arme.
Was klopfst du, ungeduldig banges Herz,
Und deutest mir beim Eintritt Übles vor?
Wir wollen das Orakel ruhig hören,
Was es auch offenbar' und was verschweige.
JON.
Schon wartet drinnen dein die Pythia.
Allein wie kommt es, Fürstin von Athen,[73]
Daß du vom heitern Anblick dieses Tempels,
Der sonst die Sterblichen mit Freude füllt,
Hinweg dich wendest und mit innrer Wehmut
Zu kämpfen scheinst? Ich kenne nichts als Delphi,
Doch Fremde hört' ich jubelnd oft beteuern,
Daß sie auf Erden Schön'res nie gesehn.
KREUSA.
Wer bist du, Jüngling, der so freundlich fragt?
JON.
Man heißt mich Jon; keinen Vater weiß ich
Zu nennen, als den Gott, der rings hier waltet.
KREUSA.
Ein Sohn Apolls? O ja, du wärst es wert.
JON.
Sein Zögling bin ich mindstens, und sein Diener,
Von Kindheit sein geweihtes Eigentum.
KREUSA.
Bot jemand dich dem Gott zur Gabe dar?
JON.
Man fand als Säugling mich auf dieser Schwelle.
KREUSA.
Vielleicht von deiner Mutter ausgesetzt?
JON.
So muß es sein; sie blieb noch unentdeckt.
KREUSA.
Wie konnte sie solch lieblich Kind verstoßen?
JON.
Du weißt wohl: Scham bedrängt die Frauen oft.[74]
KREUSA.
Ich weiß es, ja; und macht die Sanften hart.
JON.
Wenn sie nur endlich mir sich zeigen wollte,
Um die versäumte Liebe nachzuholen!
KREUSA.
Ach, welche Liebe bringt das zarte Pflegen
Am Mutterbusen ein, das du verlorst?
JON.
Wie sie, die mich gebar, auch gegen mich
Gesinnt war, hat sie doch glücksel'ge Tage
Mir zubereitet; denn ich führe hier
Ein stilles Leben zwischen heil'gen Bäumen,
Bildsäulen und Altären, schmücke täglich
Das herrliche Gesäul mit frischen Kränzen,
Und sorge, daß Gerät und goldner Zierat
In unverletzter Reinheit immer glänze.
So wird mir, was ich treu bewahr' und ordne,
Zwar göttlich Eigentum, doch wie mein eigen,
Mein Werk, mein Leben, und mein ewig Fest.
Sieh, darum staunt' ich, edle Königin,
Wie diese schöne Welt dich traurig machte.
KREUSA.
Es waren Wolkenbilder ferner Zeiten,
Die meine Augen feuchtend überzogen:
Dein Blick und dein Gespräch hat sie zerteilt.
JON.
Von dem vorausgesandten Greis erfuhr ich,
Dir fehl' ein großes Gut bei großen Gütern,
So, daß dich Wehmut leicht ergreifen kann.[75]
Je reicher dich dein Königshaus umgibt,
Je öder scheint es wohl der Kinderlosen.
KREUSA.
Apollo weiß, wie kinderlos ich bin.
JON.
Du solltest Mutter edler Söhne sein.
Gewiß, gewiß, du wirst es noch erleben!
Denn, wie ich eben wundersvoll vernahm,
Bist du des großen Erichthonius Enkelin,
Und Pallas, die Beschirmerin Athens,
Hat deines Stammes Ursprung selbst gepflegt,
Wie ließe sie so bald ihn untergehn?
KREUSA.
Doch meine Opfer und Gebete haben
Bis jetzo nichts gefruchtet, und ich sorge
Daß unfreiwill'ge Schuld mich ihrer Gunst
Verlustig machte. Ernst ist das Gebot
Der Göttin, streng der Übertretung Strafe;
Das haben Cekrops Töchter wohl erfahren.
JON.
Sag', wie verdienten sie Minervens Zorn?
KREUSA.
Die hohe Jungfrau hatte ihren Liebling,
Das erdgeborne Kind, in einer Kiste
Vor allen Menschen und dem Tag verschlossen,
Den Schwestern zur Bewahrung anvertraut,
Mit dem Befehl, bevor sie wiederkäme,
Den Deckel nicht zu öffnen; denn geheim
Und wunderbar, wie er zuerst entsproß,
Sollt' er in dunkler Enge sich entfalten.[76]
Doch Neugier lockt sie zum Verbotnen, und es reißt
Vorwitzig ihre Hand das Kästchen auf.
Sie seh'n den Knaben lächelnd drinnen liegen,
Den zarten Leib umwunden von zwei Schlangen,
Die ihm als Hüter beigegeben sind,
Und ihnen in ihr frevelnd Auge starren.
Der Anblick scheucht sie mit Entsetzen auf,
Das Grausen wird zur wildverwirrten Wut,
So, Arm in Arm, die Haare flatternd, stürzen
Sie sich vom schroffen Fels hinab ins Meer.
Seitdem befolgt des Erichthonius Stamm
Die Sitte, jedem Säugling in die Wiege,
Zum Angedenken jenes furchtbar'n Schutzes,
Ein goldgeringelt Schlangenpaar zu legen.
JON.
Der Pallas Rache, deutest du sie recht,
Zeigt ja, wie sehr für dein Geschlecht sie eifert,
Und dessen Feinden selbst feindselig ist.
Doch hätte sie sich eine Zeitlang auch
Dir abgewendet: hilfreich ist der Himmel,
Ein andrer Gott gewährt, was einer weigert.
KREUSA.
So heißest du mich auf Apollen hoffen?
JON.
Und kamst du nicht mit dieser Hoffnung her?
KREUSA.
Es hegt sie mein Gemahl mehr, als ich selbst.
JON.
Du nahst dich hier dem freundlichsten der Götter.[77]
KREUSA.
Du rühmst ihn billig: dir erwies er Gutes.
JON.
Du hast nur seine Liebe nicht erprobt.
KREUSA.
So war's mein Glück; ein Mensch erprobt die Liebe
Der Himmlischen doch niemals ungestraft.
JON.
Erkläre mir dies rätselhafte Wort.
KREUSA.
Vernahmst du nie, wie in des Donnrers Armen
Einst Semele zu Asche niedersank.
Wohltaten kommen uns von höhern Wesen,
Doch Liebe kann das gleiche nur gesellen.
Hör' an, was mich auf den Gedanken leitet;
Dein offner Blick stößt Zuversicht mir ein.
Ich bringe außer meinem und des Gatten
Anliegen, einer Freundin Auftrag mit
Zu des Orakels vielbesuchtem Sitz:
Ist kein geheimer Ausspruch zu erlangen?
Du, der du stets beim Heiligtum verkehrst,
Kannst etwa mir mit Rat behilflich sein.
JON.
Zu schweigen wie zu reden weiß die Pythia,
Ich lernte nur zu schweigen, wo ich soll.
Nicht weisem Sinn, doch einer treuen Brust
Wirst du vertraun was dich zu drücken scheint.
KREUSA.
Hör' an. Vergib mein Zögern, denn der Ruf
Der Frau'n ist ein zerbrechlich kostbar Gut.[78]
Ein Weib, das ich als schuldlos kenn' und edel,
Doch deren Namen ich nicht nennen darf,
Beteuert, daß Apoll ihr einst genaht,
Und ihr der Jugend jungfräuliche Blüte,
Ein Gott der schwachen Sterblichen, entwandt.
JON.
Sag' keine Frevel, fremde Königin.
KREUSA.
Die Wahrheit ist zu sagen stets erlaubt.
JON.
Daß Götter Zucht und Sitte so zertreten?
KREUSA.
Es muß der Mensch die Übermacht wohl dulden.
JON.
Weißt du, ob jene nicht mit schönen Namen
Des unerlaubten Lagers Schmach bemäntelt?
KREUSA.
Das braucht sie nicht, denn keine Spur, kein Zeuge,
Hat an das Licht gebracht was sie erlitt.
Die Mutterliebe trieb sie einzig an,
Was ich erzähle, mir zu offenbaren.
Das Kind, das von der heimlichen Umarmung
Ihr Schoß gebar, hat sie, von Angst gedrängt,
Zu einer dunkeln Höhle hingetragen,
Es brünstig seinem Vater anbefehlend.
Doch als sie wieder hinkam, nachzusehn
Was draus geworden, ach! da war es fort,
Und sie zerraufte schreiend sich das Haar.[79]
JON.
Und sie fand keinen Gang von Menschen oder
Raubtieren, nach dem Orte hin bezeichnet?
Den Boden nicht betaut von blut'gen Spuren?
KREUSA.
Von allem nichts; verschwunden war das Kind.
Nun wünscht sie hier in Delphi zu erforschen,
Ob es gerettet ward, und, schaut es noch
Das Licht der Sonne, wie und wo es lebt.
JON.
Die arme Mutter! Aber ihr Beginnen
Dünkt mir gewagt und dennoch unersprießlich.
Wird Phöbus selbst, was er mit Fleiß verhehlt,
Verkünden? Kannst du hoffen, einen Spruch
Ihm abzuzwingen, der ihn tief beschämt?
Wird sich sein Zorn nicht auf den Frager lenken?
Nein, nein! verschließe still in deinem Busen
Was, offenbart, nur Unheil bringen kann,
Was mitzuwissen schon gefährlich ist.
Beruh'ge deine Freundin mit dem Trost,
Wenn sie nicht eitler Täuschung sich ergeben,
Daß Götter ihre Kinder nicht verlassen,
Und daß Apoll gewiß den Säugling schirmte,
Ihn nicht verschlingen oder rauben ließ,
Und irgendwo zu seiner Lust ihn pflegt.
KREUSA.
Das Kind ist ihr, sie will es auch besitzen.
JON.
Wohl hat sie recht; was soll ich dir erwidern?
Den Gott zu schelten scheut sich meine Zunge,
Nicht, weil ich knechtisch fürchten ihn gelernt,[80]
Nein, weil des Vorwurfs Widerhaken schmerzlich
Zurück sich wenden in mein eignes Herz.
Wie kann bei Menschen Recht und Tugend blühn,
Wenn selbstvergeßne Götter, Lüsten fröhnend,
Die hohe Macht, den weisen Seherblick
Mißbrauchen, reine Sitte zu bewält'gen,
Dann ihre Schmach ins Dunkel zu entziehn?
O wie ein unentfliehbar Netz umstrickt
Mich der Gedanke! Laß mich, laß mich fort,
Wo einsam ich in meine tiefste Brust
Einladen will den vielgeliebten Gott,
Ihn leise mahnen, kindlich mit ihm rechten,
Ob er mir's löst, ob ich es lösen kann.
Denn vielverschlungen sind des Schicksals Wege,
Kurz unser Blick und für die Zukunft blind.
Buchempfehlung
Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.
52 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro