Vierter Auftritt.

[103] Kreusa, Phorbas.


PHORBAS.

O Tochter des Erechtheus! Enkelin

Des Erichthonius! du, mein Pflegekind!

Wir werden ausgestoßen und verdrängt.

KREUSA.

So meinst du, Alter? siehst du noch so scharf?

PHORBAS.

Das war es, einem eingeschlichnen Fremdling

Das heil'ge Diadem ums Haupt zu winden,

Was nur ein Erechthide tragen sollte![103]

KREUSA.

Ach immer unglücksel'ges Los der Frau'n,

Doch zehnfach mehr der Fürstentöchter noch?

Uns bleibt nach freier Neigung keine Wahl,

Die mit dem Leib auch das Gemüt vermählte:

Wir werden wie ein Eigentum verhandelt.

Wie man ein Roßgespann, ein künstlich Erz,

Zum Preis beim Wettspiel wohl dem Sieger setzt,

Hat man für Schlachten mich zum Lohn erteilt.

PHORBAS.

Und wer bloß mit des Arms Gewalt ein Glück

Erobert, das ihm nicht beschieden war,

Hält den Besitz als Raub, und übermütig

Schätzt er das Unverdiente noch gering:

So Xuthus deine Ehgenossenschaft.

KREUSA.

Fürwahr, nie hätt' ich selber sie erkoren.

PHORBAS.

Wenn sie an Kindern ungesegnet blieb,

War doch nichts andres Schuld, als daß Minerva

Dem Ankömmling mißgönnte, in den Boden

Des attischen, von ihr gepflegten Gartens

Ein wild ausländisch wuchernd Reis zu pflanzen.

KREUSA.

Wer weiß, worüber sonst die Göttin zürnt!

PHORBAS.

Statt nun mit allem Fleiß sie zu gewinnen,

Lockt er dich hier zu andern Göttern her,

Die trefflich mit ihm einverstanden sind.[104]

KREUSA.

So scheint's. Er muß viel gelten beim Apoll.

PHORBAS.

Laß nicht voreilig uns den Gott verklagen.

Die Himmlischen sind wahrhaft und gerecht:

So wenig als die Richter drunten läßt

Des Delphiers Orakel sich bestechen.

Doch was es redlich ausspricht ohne Falsch,

Dem schieben ihre Ränke Menschen unter,

Und wissen, eben weil es unbekümmert

Auf grader Bahn geht, und in keine Krümmen

Sich einläßt, dienstbar es dem Trug zu machen.

Glaubst du, es habe Xuthus nicht gewußt,

Hier wachs' ein Sohn von ihm zum Jüngling auf?

KREUSA.

Weswegen trieb er sonst so oft nach Delphi?

PHORBAS.

Er ließ ihn heimlich auferziehen vor dir:

Sei's, daß er ihn erzeugt, wie er beteuert,

Eh' er dein Gatte ward zu sein gewürdigt;

Sei's, daß er höher auch des Knaben Alter

Angibt, um zu verhehlen, daß seitdem

Er einem unerlaubten Bett gefrönt.

Nun offenbart er sich, und weiß die Schuld

Gar schlau mit heil'gem Ansehn zu bemänteln,

Den höchsten Seher feierlich befragend

Um das, was er nur allzu gut gewußt.

KREUSA.

Ich muß ihm gar ein Freudenfest begehn,

Daß er nicht länger den Verrat darf bergen.[105]

PHORBAS.

Die Mutter soll verschwunden sein, von ihr

Will keiner wissen: doch der ihren Sohn

So gut versorgt, hat sie wohl auch bewahrt.

Wie scheue unglückdroh'nde Vögel, die

Man nicht bemerkt bei Tag, erst mit der Dämmerung

Ausfliegen, wird sie bald zum Vorschein kommen:

Denn des Erechtheus Sonne ging ja unter,

Du schimmerst noch, ein matter Abendstern,

Bald überschattet Dunkel Attika.

KREUSA.

O hätt' ich nimmer diesen schwarzen Tag erlebt!

PHORBAS.

Schon seh' ich mit dem schmucken dreisten Knaben

Die Buhlerin in deinem Hause herrschen.

Des Erben Mutter – und hat Xuthus nicht

Aus eigner Macht Bastarde seines Bluts

Zu Erben unsrer Pallasburg erklärt? –

Des Erben Mutter ist die wahre Gattin,

Das unfruchtbare Weib wird nichts geachtet,

Und muß der andern Sklavendienste leisten.

Sieh', diese grauen Haare möcht' ich mir

Bestreu'n mit Asch' und Staub, wenn ich bedenke,

Was deiner wartet, teure Königin!

KREUSA.

So läß'st du mich erniedern, meiner Väter

Beschützerin? hast du dich, strenge Jungfrau,

Denn gänzlich von Kreusen abgewandt?

PHORBAS.

Noch nicht genug. Solang' es möglich ist,

Daß sich dein Königsstamm, der teure Ölbaum[106]

Einheimisch nur bei uns, jetzt kaum noch grünend,

Aus deinem Schoß mit neuen Sprossen ziere,

Sind ihres Raubes jene nicht gewiß.

Dich zu verstoßen wagt nicht der Tyrann,

Er muß Empörung der Athener fürchten.

Sie stehn dir also heimlich nach dem Leben;

Du bringst nun keinen Becher an den Mund,

Daß du nicht vor dem Gifte schaudern müßtest,

Womit ihn buhlerischer Neid, und Haß

Des Stiefsohns, gärend, reichlich sätt'gen wird.

KREUSA.

Mir gilt es gleich, es komme, was da will.

Was soll ich ängstlich um mein Leben sorgen?

Möcht' ich doch gleich den Unmut meiner Seele,

Mit mir von jenes Berges Höhen stürzend,

In Klüften der Vergessenheit begraben.

PHORBAS.

Du wärst bequem, dich selber wegzuräumen,

Daß sie ihr Fest dann doppelt feiern dürften.

So willst du all die Schmach geduldig tragen?

Und willst, die Enkelin von Pallas Zögling,

Ein Spott jedwedem Freigesinnten sein?

KREUSA.

Was kann ich tun? Ich bin ein schwaches Weib.

PHORBAS.

Ein Weib ist unsre Heldengöttin auch;

Nicht das Geschlecht, der Mut macht schwach und stark.

Gedenke deiner Schwestern, die freiwillig

Und standhaft sich dem Vaterland geopfert.

Ganz andre Opfer, minder reine, heischt es jetzt,

Von dir die Pflicht nur, dich ihm zu erhalten:

Das Heil Athens ruht ja auf dir allein.[107]

KREUSA.

Sprich denn, wie rätst du mir? Gleich heimzueilen,

Und dort mein Volk zum Beistand aufzurufen?

Damit wir die thessal'schen Könige,

Die wir einst töricht dankbar aufgenommen,

Samt dem Gefolge mißerzeugter Söhne,

Aus unsern Grenzen jagen mit Gewalt?

PHORBAS.

Unzuverlässig ist die blöde Menge;

Sie sind gewöhnt, dem Fremdling zu gehorchen:

Was er noch nicht getan, wär's auch gewisser,

Als Abend oder Morgen, dessen wirst du sie

Zu überzeugen dich umsonst bemühn.

Vertrau'n wir uns allein, und führen das

Was jetzt notwendig, nicht gewaltsam wild

Wie übereilte Jünglingstaten, sondern

Bedächtig und verschwiegen sinnend aus.

KREUSA.

Was achtest du notwendig, treuer Greis?

PHORBAS.

Der aufgedrungne Stiefsohn darf nicht leben.

KREUSA.

Den zarten Knaben muß die Rache treffen?

PHORBAS.

Entfiel dir alles, daß dich dies befremdet

KREUSA.

Mich dau'rt die Unschuld seiner blühenden Jugend.

PHORBAS.

Willst du durchaus an dir ihn schuldig sehn?[108]

KREUSA.

Wohlwollend, schien es, kam er mir entgegen.

PHORBAS.

Des Falschen Freundlichkeit hat dich betört.

KREUSA.

In seinen Blicken las ich sein Gemüt.

PHORBAS.

Und lasest dein Verderben nicht darin?

KREUSA.

Wie weißt du, daß es mich von ihm bedroht?

PHORBAS.

Gedenk' an des Trophonius Weissagung.

Verwarnt' er nicht, ihr würdet statt erwünschter

Nachkommenschaft, nichts als Verderben eures

Geschlechts, Zerrüttung eures Hauses finden?

Hier gilt's entweder leiden oder tun.

Noch lächelt dir dein Unheil in dem Knaben,

Wiewohl er es ja sichtlich schon begonnen,

Indem er dir den Gatten umgewandt.

KREUSA.

Er selber trotzte, ganz verwandelt, mir.

PHORBAS.

Ha! das ist Kleines erst. Verstoßung deiner,

Mord deiner künst'gen Söhne, Ausrottung

Von deinem Stamm, mit Wurzeln, Zweigen, Blüten,

Sei dir gewärtig, wenn du nicht zuvorkommst.

KREUSA.

Wohlan, es muß geschehn. Doch wie vollbringen wir's?[109]

PHORBAS.

Vernimm: das Schicksal legt' in meine Hand

Ein schleunig wirkend, doch verborgnes Mittel.

Athene gab dem alten Erichthonius

Im kleinen Goldgefäß zwiefach gesondert,

Zwei Tropfen von der furchtbar'n Gorgo Blut,

Des Ungeheuers, das sie selbst erlegt.

Der eine fristet Sterbenden das Leben;

Der andre, aus des Herzens linker Ader

Entquollen, tötet sicher, augenblicklich,

Als wenn durch innerlichen Schlag den Gliedern

Die Lebensregung plötzlich wär' gehemmt.

Dein Ahn verwahrte heilig dies Geschenk,

Und hinterließ, als ihn der Himmel aufnahm,

Das köstliche Vermächtnis seinem Sohn.

Mir hat es dann Erechtheus anvertraut,

Da er zum letzten Kampfe ging, selbst im Siege

Vorahnend seinen Fall, auf daß es nicht

Mit ihm zugrunde ginge. Jetzo ruft uns

Die Zeit, die Not, und die Gelegenheit

Zu würdigem Gebrauch der Göttergabe.

Mich dünkt, ich sehe deine Väter winken

Mit ernster Mahnung, dich, ihr Blut zu retten,

Mein Alter nicht als feiger Knecht zu schänden.

Nein! euch ergeben will ich mich bewähren:

Den Todestropfen misch' ich unvermerkt

In des verräterischen Buben Wein.

KREUSA.

Ich schäme mich so hinterlist'gen Mordes.

PHORBAS.

Mein sei der Ruhm der Tat, dein der Gewinn.

KREUSA.

Doch wenn sie uns zurückfällt auf das Haupt?[110]

PHORBAS.

Mein's will ich freudig dar zum Opfer bieten:

So end' ich wohl die allzu langen Tage.

Nur einmal tragt noch frisch mich, alte Glieder!

Und ihr, erlosch'ne Augen! blicket scharf,

Damit ich nichts versäume, noch versehe.

Komm, Fürstin, eilen wir zum Gastmahl hin,

Wozu sich die Geladnen schon versammeln,

Und birg in Fröhlichkeit, was wir bereiten.


Ab.


KREUSA.

Fort, töricht Mitleid, das die Brust beklemmt!

Das eigne Kind gab ich den wilden Tieren:

An diesem will ich selbst zur Löwin werden.

Apoll hat ihn gepflegt; er ist sein Diener,

Sein Eigentum, noch mehr, sein Ebenbild.

Ihn liebt Apoll, der mich verschmäht, vergißt.

Ja, Jon, ja! das büße mir dein Tod!


Ab.


Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 103-111.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristoteles

Nikomachische Ethik

Nikomachische Ethik

Glückseligkeit, Tugend und Gerechtigkeit sind die Gegenstände seines ethischen Hauptwerkes, das Aristoteles kurz vor seinem Tode abschließt.

228 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon