Dritter Auftritt.

[98] Die Vorigen, Kreusa, Phorbas.


KREUSA.

Verweilst du hier noch, Xuthus, mein Gemahl?

XUTHUS.

Du siehst mich, Teure, deiner Rückkunft wartend.

KREUSA.

Den Ausspruch hört' ich von den Priestern schon.

XUTHUS.

Und eilst herbei nun, den Erfolg zu sehn.

KREUSA.

Ja, wer zuerst sich deinen Blicken nahte.

XUTHUS.

Sieh diesen Jüngling an.[98]

KREUSA.

Ich kenn' ihn wohl.

XUTHUS.

Der ist es.

KREUSA.

Dieser?

XUTHUS.

Warum sollt' er nicht?

KREUSA beiseit.

Weh mir, Apoll! wie tatest du mir das?

XUTHUS.

Mißfällt er dir, daß du befremdet murmelst?

KREUSA.

Ich wünsche Heil dir mit dem schönen Fund.

XUTHUS.

Ja, stolz erkenn' ich mein Geschlecht in ihm.

KREUSA.

Du nahmst ihn an als Sohn?

XUTHUS.

Ich fand ihn mein.

KREUSA.

Wie? doch das ziemt der Gattin nicht zu fragen.

XUTHUS.

Verhüten es die Götter, daß ich jemals

Dein Recht verletzt, und das Gelübd' der Eh'!

Des Sechzehnjähr'gen Alter zeigt dir schon,

Daß ich sein Vater ward, eh' meine Taten[99]

Mit unserm Bund das Szepter von Athen

Mir noch erworben, eh' ich dich gekannt.

Doch, was der jugendliche Trieb gefehlt,

Darf mich nun nicht gereu'n, es ist entschuldigt,

Da es zur Freude dir, wie mir, gedeiht,

Wenn du ihn auch als deinen achten willst.

KREUSA.

Zu gütig gibst du Rechenschaft, mein König.

Das Weib, das seinem Gatten keine Kinder bringt,

Ist schon zufrieden, duldet man sie nur

Im Hause, dessen Hoffnung sie betrog;

Und neben ihr sich andre zu gesellen,

Aus deren Liebe bess'rer Segen blüht,

Ist Männerrecht, und mehr der Kön'ge noch.

Allein wo ist die Mutter deines Sohnes?

XUTHUS.

Wir wissen nicht, wie nah, wie fern sie ist,

Ob sie noch lebt, ob sie dem Orkus schon

Vermählt ward; unbekannt war ihre Heimat

Und Name mir, kaum würd' ich der Gestalt

Mich noch entsinnen, säh' ich jetzt sie wieder:

Denn mich umgaben der Betäubung Wolken

Den einen Augenblick, der uns verband,

Und viele Jahr' entrückten sie seitdem.

KREUSA.

Du redest Rätsel, aber was geschehn

Ist klar, und wird sich mehr und mehr entfalten.

Und weiß auch Jon nichts von seiner Mutter?

JON.

Ich sagte dir vorhin schon, Königin,

Daß sie sich nie mir zeigte, daß auch Pythia,[100]

Die meiner Kindheit ihre Sorg' ersetzt,

Noch keine Spur von ihr entdecken konnte.

KREUSA.

Ja, doch die Zeiten ändern alle Dinge,

Nichtwissen, Wissen, selbst Gemüt und Sinn.

Viel schwerer sind wohl Mütter auszuforschen,

Wenn Dienstbarkeit und Armut sie verbirgt,

Als wenn sie eines Fürsten mächt'ge Gunst

Zu sich erhebt: da finden sie sich an,

Und man erkennt sie auf den ersten Blick.

JON.

O denke nicht von mir, verehrte Fürstin,

Ich könnte mich der ärmsten Mutter schämen.

Wie niedrig auch, unedel war sie nicht,

Sagt mir die innre Seele. Bei dem Wunsch,

Der dich hieher geführt, bei deiner Hoffnung,

Ihn künftig auch für dich erfüllt zu sehn!

Nicht einer Mutter Herrlichkeit begehr' ich,

Die blendend über mich den Glanz verbreite;

Der Mutter Herz, das seine süße Wärme

Zu einem Strom der Lieb' in mein's ergieße.

Gewähre du, Kreusa, mir ein solches,

Was deiner Großmut leicht ist: und das meine

Gelobt – nicht mehr, das könnt' ich nicht – so sehr

Als meine wahre Mutter dich zu lieben.

Wär' sie gefunden, o wir wollten beide

Hier deine Knie umfassen, und dich flehn

Die Eintracht deines Hauses nicht durch uns

Gestört zu wähnen. Kein ehrsüchtig Streben

Regt sich in einer lieberfüllten Brust:

Wir werden keinen Anspruch machen, als

Einander Sohn und Mutter ganz zu sein,[101]

Von allem dem, was dein ist, nichts bedürfen

Zu unserm Glück, als deine Freundesblicke.

XUTHUS.

Du siehst, Kreusa, wie dich zu gewinnen

Der Eifer meinen wackern Sohn beseelt.

Doch wenn als nahverwandt sich plötzlich die

Betrachten sollen, die sich fremd gewesen,

So tritt erst zwischen sie das blöde Staunen,

Und, an sich selber irr', mißtrauen sie,

Wie es auch dir und mir geschah, mein Jon,

Und unsrer Freude Flut zu ebben zwang,

Bis sie den Damm des Zweifels überschwoll.

Nur die beisammen durchgelebte Zeit,

Gesell'ge Näh' und frohe Gegenwart

Kann der Vertraulichkeit Gewöhnung stiften:

Sie wird es bei Kreusen auch und dir.

Laßt dann sogleich das Leben uns beginnen,

Zwar auf der Reise hier, und fern der Heimat,

Das um den Herd der Götter unsers Hauses

Uns immer wirtlicher versammeln soll.

Das Erstlingsfest der Tage meines Kindes

Mahnt, wie ein Gläubiger, der lang' geschwiegen,

Mich heut, und mit dem angehäuften Wucher

So manchen Jahrs will ich ihm G'nüge leisten.

Apoll hat nicht vergebens mich erinnert,

Ihn hoch zu ehren, dessen Seherwink

Den holden Sohn mir zugeführt: es soll

Ihm eine volle Hekatombe fallen,

Und rings umher an jeglichem Altar

Der Päan von geschmückten Chören jubeln.

Indessen teile, wer da will, mit uns

Der Becher Lust und ein gemeinsam Mahl;

Herolde sollen Delphis rühmliche

Bewohner laden, unsre Feier zu begehn,[102]

Daß sie in Zukunft auch des Tags gedenken,

Wo Xuthus den gewünschen Erben fand.

Komm, Sohn, laß selbst uns sorgen und beschicken,

Daß Überfluß dies Gastmahl zier' und Ordnung,

Und nichts, was unsre Würde heischt, gebreche.

Du sollst Bewirter sein, und sollst dir selber

Den huldigenden Zoll der Ehrengaben

Darbringen, nicht empfangend, sondern gebend,

Aus meinem reichen Schatz mit vollen Händen

Ihn ausstreun unter ein glückwünschend Volk.

Da will ich sehn, wie du zum erstenmal

Ein Fürstenamt verwalten lernst: denn

Freigebig spenden ist des Herrschers Pflicht,

Und seine Pracht dien' allen zum Genuß.

JON.

Ich folge dir, mein königlicher Vater.


Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 98-103.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klingemann, August

Die Nachtwachen des Bonaventura

Die Nachtwachen des Bonaventura

Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon