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[98] Die Vorigen, Kreusa, Phorbas.
KREUSA.
Verweilst du hier noch, Xuthus, mein Gemahl?
XUTHUS.
Du siehst mich, Teure, deiner Rückkunft wartend.
KREUSA.
Den Ausspruch hört' ich von den Priestern schon.
XUTHUS.
Und eilst herbei nun, den Erfolg zu sehn.
KREUSA.
Ja, wer zuerst sich deinen Blicken nahte.
XUTHUS.
Sieh diesen Jüngling an.[98]
KREUSA.
Ich kenn' ihn wohl.
XUTHUS.
Der ist es.
KREUSA.
Dieser?
XUTHUS.
Warum sollt' er nicht?
KREUSA beiseit.
Weh mir, Apoll! wie tatest du mir das?
XUTHUS.
Mißfällt er dir, daß du befremdet murmelst?
KREUSA.
Ich wünsche Heil dir mit dem schönen Fund.
XUTHUS.
Ja, stolz erkenn' ich mein Geschlecht in ihm.
KREUSA.
Du nahmst ihn an als Sohn?
XUTHUS.
Ich fand ihn mein.
KREUSA.
Wie? doch das ziemt der Gattin nicht zu fragen.
XUTHUS.
Verhüten es die Götter, daß ich jemals
Dein Recht verletzt, und das Gelübd' der Eh'!
Des Sechzehnjähr'gen Alter zeigt dir schon,
Daß ich sein Vater ward, eh' meine Taten[99]
Mit unserm Bund das Szepter von Athen
Mir noch erworben, eh' ich dich gekannt.
Doch, was der jugendliche Trieb gefehlt,
Darf mich nun nicht gereu'n, es ist entschuldigt,
Da es zur Freude dir, wie mir, gedeiht,
Wenn du ihn auch als deinen achten willst.
KREUSA.
Zu gütig gibst du Rechenschaft, mein König.
Das Weib, das seinem Gatten keine Kinder bringt,
Ist schon zufrieden, duldet man sie nur
Im Hause, dessen Hoffnung sie betrog;
Und neben ihr sich andre zu gesellen,
Aus deren Liebe bess'rer Segen blüht,
Ist Männerrecht, und mehr der Kön'ge noch.
Allein wo ist die Mutter deines Sohnes?
XUTHUS.
Wir wissen nicht, wie nah, wie fern sie ist,
Ob sie noch lebt, ob sie dem Orkus schon
Vermählt ward; unbekannt war ihre Heimat
Und Name mir, kaum würd' ich der Gestalt
Mich noch entsinnen, säh' ich jetzt sie wieder:
Denn mich umgaben der Betäubung Wolken
Den einen Augenblick, der uns verband,
Und viele Jahr' entrückten sie seitdem.
KREUSA.
Du redest Rätsel, aber was geschehn
Ist klar, und wird sich mehr und mehr entfalten.
Und weiß auch Jon nichts von seiner Mutter?
JON.
Ich sagte dir vorhin schon, Königin,
Daß sie sich nie mir zeigte, daß auch Pythia,[100]
Die meiner Kindheit ihre Sorg' ersetzt,
Noch keine Spur von ihr entdecken konnte.
KREUSA.
Ja, doch die Zeiten ändern alle Dinge,
Nichtwissen, Wissen, selbst Gemüt und Sinn.
Viel schwerer sind wohl Mütter auszuforschen,
Wenn Dienstbarkeit und Armut sie verbirgt,
Als wenn sie eines Fürsten mächt'ge Gunst
Zu sich erhebt: da finden sie sich an,
Und man erkennt sie auf den ersten Blick.
JON.
O denke nicht von mir, verehrte Fürstin,
Ich könnte mich der ärmsten Mutter schämen.
Wie niedrig auch, unedel war sie nicht,
Sagt mir die innre Seele. Bei dem Wunsch,
Der dich hieher geführt, bei deiner Hoffnung,
Ihn künftig auch für dich erfüllt zu sehn!
Nicht einer Mutter Herrlichkeit begehr' ich,
Die blendend über mich den Glanz verbreite;
Der Mutter Herz, das seine süße Wärme
Zu einem Strom der Lieb' in mein's ergieße.
Gewähre du, Kreusa, mir ein solches,
Was deiner Großmut leicht ist: und das meine
Gelobt – nicht mehr, das könnt' ich nicht – so sehr
Als meine wahre Mutter dich zu lieben.
Wär' sie gefunden, o wir wollten beide
Hier deine Knie umfassen, und dich flehn
Die Eintracht deines Hauses nicht durch uns
Gestört zu wähnen. Kein ehrsüchtig Streben
Regt sich in einer lieberfüllten Brust:
Wir werden keinen Anspruch machen, als
Einander Sohn und Mutter ganz zu sein,[101]
Von allem dem, was dein ist, nichts bedürfen
Zu unserm Glück, als deine Freundesblicke.
XUTHUS.
Du siehst, Kreusa, wie dich zu gewinnen
Der Eifer meinen wackern Sohn beseelt.
Doch wenn als nahverwandt sich plötzlich die
Betrachten sollen, die sich fremd gewesen,
So tritt erst zwischen sie das blöde Staunen,
Und, an sich selber irr', mißtrauen sie,
Wie es auch dir und mir geschah, mein Jon,
Und unsrer Freude Flut zu ebben zwang,
Bis sie den Damm des Zweifels überschwoll.
Nur die beisammen durchgelebte Zeit,
Gesell'ge Näh' und frohe Gegenwart
Kann der Vertraulichkeit Gewöhnung stiften:
Sie wird es bei Kreusen auch und dir.
Laßt dann sogleich das Leben uns beginnen,
Zwar auf der Reise hier, und fern der Heimat,
Das um den Herd der Götter unsers Hauses
Uns immer wirtlicher versammeln soll.
Das Erstlingsfest der Tage meines Kindes
Mahnt, wie ein Gläubiger, der lang' geschwiegen,
Mich heut, und mit dem angehäuften Wucher
So manchen Jahrs will ich ihm G'nüge leisten.
Apoll hat nicht vergebens mich erinnert,
Ihn hoch zu ehren, dessen Seherwink
Den holden Sohn mir zugeführt: es soll
Ihm eine volle Hekatombe fallen,
Und rings umher an jeglichem Altar
Der Päan von geschmückten Chören jubeln.
Indessen teile, wer da will, mit uns
Der Becher Lust und ein gemeinsam Mahl;
Herolde sollen Delphis rühmliche
Bewohner laden, unsre Feier zu begehn,[102]
Daß sie in Zukunft auch des Tags gedenken,
Wo Xuthus den gewünschen Erben fand.
Komm, Sohn, laß selbst uns sorgen und beschicken,
Daß Überfluß dies Gastmahl zier' und Ordnung,
Und nichts, was unsre Würde heischt, gebreche.
Du sollst Bewirter sein, und sollst dir selber
Den huldigenden Zoll der Ehrengaben
Darbringen, nicht empfangend, sondern gebend,
Aus meinem reichen Schatz mit vollen Händen
Ihn ausstreun unter ein glückwünschend Volk.
Da will ich sehn, wie du zum erstenmal
Ein Fürstenamt verwalten lernst: denn
Freigebig spenden ist des Herrschers Pflicht,
Und seine Pracht dien' allen zum Genuß.
JON.
Ich folge dir, mein königlicher Vater.
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