|
[134] Die Vorigen, Pythia mit einer Dienerin, die ihr einen Korb nachträgt.
PYTHIA tritt zwischen sie.
Halt ein, verweg'ner Jüngling! Lehrt' ich so
Dich die Asyle deines Gottes ehren?
JON.
Befrei'n ja eben will ich dieses da
Von ihr, der Schuld'gen, die es frech entweiht.
Denn weilt sie hier, so zieht die blut'ge Spur
Stiefmütterlichen Mordes bald ihr nach
Die Rachejungfrau'n aus der Nacht uraltem Reich,
Ein scheußlich Graun, in diesen lichten Hain.
PYTHIA.
Dir ziemt es nicht zu richten noch zu strafen,
Denn dich empört der Jugend heftig brausend Blut.
Dankopfer und Gelübde solltest du[134]
Dem Sohn Latonens bringen, welcher dich,
Vorschauend, an des Orkus Toren warnte,
Und denen, die dir Feindliches ersannen,
Wer weiß, von welches Dämons Wahn besessen,
Die endlos namenlose Reu erspart.
Laß jetzt die Waffen und dein wild Beginnen,
Und hör', da du nun bald aus Delphi wanderst,
Mein scheidend Wort, und nimm die letzte Gabe.
Bei diesem greisen längst erblichnen Haar!
Wie eine Mutter hab' ich dich vom Anfang
Geliebt, gepflegt, im Herzen dich getragen.
So hofft' ich auch als Sohn dich zu erwerben:
Das ist ja süßer Ehrenlohn der Eltern,
Auch sterbend noch fortblühen sich zu sehn;
Der Tod kommt wie in Freundesnäh' ein Schlummer,
Wenn Kindeshand die müden Augen zudrückt.
Ich hoffe hier dich einem frommen Leben
Zu hinterlassen, wenn ich bald nun schiede;
Nicht einsam selbst nach dir zurückzubleiben.
Der Götter Rat beschloß es anders. Wohl!
Apoll, der stets dich väterlich versorgte,
Hat unter Sterblichen dir einen Vater
Nun zugewiesen, dem du folgen mußt.
Noch bist du mutterlos: drum siehe hier,
Was dir die Mutter finden helfen kann.
Bisher hielt ich es sorgsam dir verborgen,
Damit dich nicht ein unruhvoller Trieb
Auf blinde Abenteur ins Weite risse;
Auch bangend, das Geheimnis deiner Abkunft
Möcht unerfreulich, heillos sich enthüllen.
Doch des Gebieters Wink vom Dreifuß heißt
Auch diesen Zeichen einen Mund mich leihn:
Jetzt mögen sie dir sagen, was sie können.
Da nimm das Körbchen zur Begleitung mit
Auf deinen Weg, worin ich erst dich fand,[135]
Samt allem, was es Köstliches enthielt:
Dich, einzig Kleinod, nahm ich nur heraus.
Die Dienerin setzt das Körbchen vor Jon nieder.
JON.
Wie dank' ich dir, du Segensspenderin?
Was du mir weise vorenthalten, Pythia,
Gewährst du gütig, da die Zeit gekommen.
O süße Wiege! kleiner Nachen du,
Worin ich, auf des Lebens wüsten Meeren
Bewußtlos ausgesetzt, umhergeschwankt,
Wie einer, der vom Schiffbruch kaum sich rettet!
Seh' ich dich wieder? bist du's wahrhaft auch?
Ich grüße dich mit liebevollen Augen,
Die über dir von wilder Ahndung tau'n:
Denn Bürge bist du mir und Pfand, daß ich
Nun meine Mutter bald umarmen werde.
Ich muß den Deckel heben, um von innen
Dich zu betrachten. Sieh, da sind die Windeln,
Er kniet hinter den Kord, und nimmt die beschriebenen Sachen heraus.
Die meine schwachen Glieder erst umhüllt.
So zart von weiblich kluger Hand gestickt!
Ein Zeichen, daß, die mich gebar, die Müh'
Nicht schonte, mich zu pflegen, wenn sie nur gedurft.
Ihr seid mir teurer, kindische Gewänder,
Als golddurchwirkter Purpur, den fortan
Ich als der Sohn des Herrschers tragen soll.
Was find' ich hier? Geschmeide, Perlen, Spangen,
Wie königliche Jungfrau'n sie besitzen.
So reich war sie, und doch so unbeglückt,
Gezwungen ihren Erstling auszustoßen!
Da hier ein Ölzweig; wie? was deutet der
Wohl anders als die Herkunft aus Athen,
Der ölbekränzten Stadt der hohen Pallas?
Und frisch noch, nach so viel verfloßnen Jahren?[136]
Von welchem Wunderbaum ward er gepflückt?
Zwei goldne Schlangen endlich hier, beweglich
Geringelt, gleich als wenn sie Leben hätten;
Was muß ich denken, und wie lös't sich dies?
Hört' ich nicht erst, im Erechthidenstamm
Sei's Sitte, die den Kindern beizulegen?
Ich staun' und staun' und kann es nicht enträtseln.
KREUSA die gegen das Ende der vorigen Rede aufmerksam geworden ist, sich entschleiert und aufgerichtet hat, stürzt sich vom Altar herunter in Jons Arme.
Mein Sohn! mein Sohn!
JON.
Wie ist mir? du, Kreusa!
KREUSA.
Sieh' deine Mutter, Jon.
JON.
Ja, du bist's.
KREUSA.
Mein und Apollos Sohn!
JON.
O hohes Wunder!
KREUSA.
O Wonn' und Jubel!
JON.
Freudenreiches Licht!
KREUSA.
Ich halte dich, du lebst.[137]
JON.
Fand ich dich wirklich?
KREUSA.
Dir wollt' ich einen Todesbecher reichen!
JON.
Nach diesem Busen hat mein Pfeil gezielt!
KREUSA.
Kannst du mir je verzeihn?
JON.
Ach süße Mutter!
KREUSA.
Fast nahm ich dir zum zweitenmal das Leben.
JON.
Du gabst es mir, und, was ich bin, ist dein.
KREUSA.
Nun quillt' die Lieb' in ungehemmten Strömen.
JON.
Und hat des Zornes Gluten längst gelöscht.
KREUSA.
Entzücken, unaussprechliches Entzücken!
Wie Lüfte der glücksel'gen Inseln haucht es
Um meine Brust, und hebt, und wiegt mich fort
In taumelnder Bezaub'rung aller Sinne.
Bin ich es noch? Die schwer verworr'nen Träume
Sind wie im Lethe weggespült, vergessen[138]
Ist alles sonst, nur eines halt' ich fest:
Daß du mein Sohn, Apoll dein Vater ist.
JON.
Die so sich freut, muß meine Mutter sein.
Ich glaub' auch, ja ich glaube stolz und kühn
Mich aus des Welterleuchters Lieb' entsprossen,
Zu dem stets kindlich mein Gemüt sich wandte,
Die Wolken durch, dem blauen Äther zu.
Doch wie es zuging, kann ich noch nicht fassen.
Hast du von einer Freundin nicht erzählt,
Die aus Apollos heimlicher Umarmung
Ein Kind empfangen, und es ausgesetzt?
KREUSA.
Die war ich selbst, versteckt mich dir verratend,
Ich sprach mit dir von dir, und wußt' es nicht.
PYTHIA.
Ich war dir unvermutet nah, Kreusa,
Als einsam du in schmerzlich Angedenken,
Und, wie verschmäht, in Klagen dich ergossest.
O hättest du dich früher einer Freundin
Vertrauen mögen, die bejahrt und ruhig
Gern ein geängstet Herz der Last entledigt!
So hättest du in der Verblendung nicht
Die Nächsten dir entfremdet, und beinah
Um ein Erröten all dein Glück verscherzt.
KREUSA.
Dir unterwerf' ich willig meine Schuld:
Nicht bloß der Zukunft weise Deuterin,
Ich seh' in dir die hohe Schicksalsgöttin,
Die, was sie prophezeiet, selbst erfüllt.
Drum walte, Pythia, ferner über uns.[139]
PYTHIA.
Sprich, denke von der Sterblichen mit Maß,
Die dadurch nur Unsterblichen sich nähert,
Daß sie in Demut ganz dahin sich gibt.
JON.
Wie ich's betrachten mag und drüber sinnen,
Stets mit der Freud' erneut das Wunder sich.
Wie kam mit mir dies Körbchen her nach Delphi,
Wenn du mich in Athen ans Licht gebarst?
Gabst du's vielleicht vertrauten Händen mit?
KREUSA.
Ich bracht' es selber in die Grotte Pans,
Empfahl es da der Obhut aller Götter,
Vor allen deines Vaters, der, so scheint's,
Von dort zu seiner Wohnung dich entrückte.
JON.
Und wann geschah's, daß wir uns so verloren?
KREUSA.
Die vor'ge Nacht erfüllte sechzehn Jahr seitdem.
JON.
So lang ist's grade, seit mich Pythia
Frühmorgens auf der Tempelschwelle fand.
So weit her kam ich in so kurzen Stunden!
PYTHIA.
Den Göttern, Kind, ist noch viel Größ'res leicht.
JON.
Allein, wenn mich Apollo zu sich nahm,
Und aufzog als den Seinen, ihm zum Dienst:[140]
Wie führt er jetzt dem Xuthus mich entgegen,
Als dessen echten leiblichen Erzeugten?
PYTHIA.
Nicht trüglich war des Gottes Ausspruch, aber
Voreilig hat ihn Neigung mißgedeutet.
Er hieß den Gatten deiner wahren Mutter
Als Sohn dich nur erkennen, weil bei deiner
Geburt die Fackel Hymens nicht gestrahlt,
Auf daß dir ein Geschlecht und Erbteil würde;
Und Xuthus wünscht' und wähnte dich sein eigen.
JON.
So laß uns, teure Mutter, zu ihm eilen,
Auch ihm zu lösen, was sich uns gelöst.
Ich bin nun euer beider: dein geboren,
Und ihm geschenkt durch des Erzeugers Wahl.
Ich, der ich wider Willen euch entzweit,
Muß euch zur schönsten Eintracht neu vereinen.
KREUSA.
Mitnichten, holder Knabe! Hoffe nicht
Das auszugleichen, was unheilbar ist.
Ich habe dich, du wirst von mir nicht lassen,
Und nimmer kehr' ich zum Gemahl zurück.
Dich zu verderben strebt' ich Rasende,
Da du, mir fremd, von ihm entsprossen schienst;
Nun, da sich's wendet und an's Licht hervortritt,
Daß ich dich zwar Verlornen heimlich hatte,
Nicht kinderlos zuvor, bei ihm es blieb,
Und des vertrauten Betts Genossenschaft
Seit der Vermählung so viel Jahre täuschte:
Wie kann ich Xuthus Antlitz je noch sehn
Ohn' unauslöschlich brennendes Erröten?[141]
JON.
Weh mir! So schämst du mein, des Armen, dich?
KREUSA.
Du, Götterjüngling, bist mein Stolz und Ruhm,
Der sterbliche Gemahl beschämt mich nur.
Schon der Gedanke ist mir unerträglich.
O lass' uns fliehn, eh' er uns überrascht!
JON.
Wohin entfliehn?
KREUSA.
Fort zu entfernten Städten.
JON.
Dein Vaterland, den Thron willst du verlassen,
Bedürftig, hilflos, in die Fremde wandern?
KREUSA.
Du bist mir Reichtum, bist mir Heimat nun,
Bist mir des Erichthonius Heldenhaus
Und aller schutzverwandten Götter Tempel.
Mit dir bedarf ich keines andern Glücks.
PYTHIA.
Zum zweiten Male, Königin Athens,
Reißt heute schon Verblendung, und der Eifer
Des stolz mißtrauenden Gemüts dich fort.
Die besten Gaben, hast du selbst erfahren,
Verkehrt ein Sinn, der sie nicht still empfängt.
Es wird dich, mir zu folgen, nicht gereun.
Wenn du dich mit dem Sohn vom Gatten wendest,
Verschmähst du ihn nicht bloß, du lehnst dich auf
Des Gottes deutlich kundgegeb'nem Willen.
Er hieß den König selbst ja seinen Jon[142]
An Sohnes Statt aufnehmen in eu'r Haus,
Um euer aller Bündnis zu begründen
KREUSA.
Doch wird mir Xuthus glauben, dieser Jüngling
Sei wahrhaft aus olympischem Geblüt?
Und daß ich nicht die ird'sche Schuld zum Wunder
Jetzt zu verklären suche? Hab' ich doch
Kein andres Zeugnis, als die eignen Schwüre.
PYTHIA.
Es ist gewiß. Die wundervolle Rettung
Des Säuglings; seine Pfleg' im Heiligtum;
Apollos Sorg' und Obhut, die, entlassend,
Ihn einem edlen Vater übergab;
Eu'r Wiederfinden, eu'r Erkennen, hier
Am selben Ort, der Jons erstes Los bestimmt,
Wie vor des Gottes huldgesenktem Antlitz;
Und selbst der Zeiten Kreislauf, dieser Tag:
Das alles spricht mit vieler Zeugen Mund.
Wohl nichts von solchem schnellen Wechsel ahndend
Wird Xuthus die erkornen Bürger Delphis
Noch eifernd, wie er drohte, rufen zum Gericht.
Geh' Jon, such' ihn auf: erzähl' ihm alles,
Wie sich's begeben, und bered' ihn her.
Wir wollen die Versöhnung dann vollenden.
Indes erhole du, Kreusa, dich,
Von Leid erschüttert und gewalt'ger Lust.
Alle ab.
Buchempfehlung
Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.
248 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro