Arion

[203] Romanze.


Arion war der Töne Meister,

Die Cither lebt' in seiner Hand;

Damit ergötzt' er alle Geister,

Und gern empfieng ihn jedes Land.

Er schiffte goldbeladen

Jetzt von Tarents Gestaden,

Zum schönen Hellas heimgewandt.


Zum Freunde zieht ihn sein Verlangen,

Ihn liebt der Herrscher von Korinth.

Eh in die Fremd' er ausgegangen,

Bat der ihn, brüderlich gesinnt:

Laß dir's in meinen Hallen

Doch ruhig wohlgefallen!

Viel kann verlieren wer gewinnt.
[204]

Arion sprach: »Ein wandernd Leben

Gefällt der freien Dichterbrust.

Die Kunst, die mir ein Gott gegeben,

Sie sei auch vieler Tausend Lust.

An wohlerworbnen Gaben

Wie werd' ich einst mich laben,

Des weiten Ruhmes froh bewußt!«


Er steht im Schiff am zweiten Morgen,

Die Lüfte wehen lind und warm,

»O Periander, eitle Sorgen!

Vergiß sie nun in meinem Arm!

Wir wollen mit Geschenken

Die Götter reich bedenken,

Und jubeln in der Gäste Schwarm.« –


Es bleiben Wind und See gewogen,

Auch nicht ein fernes Wölkchen graut,

Er hat nicht allzuviel den Wogen,

Den Menschen allzuviel vertraut.

Er hört die Schiffer flüstern,

Nach seinen Schätzen lüstern;

Doch bald umringen sie ihn laut.


»Du darfst, Arion, nicht mehr leben:

Begehrst du auf dem Land' ein Grab,

So mußt du hier den Tod dir geben;

Sonst wirf dich in das Meer hinab.«

So wollt ihr mich verderben?

Ihr mögt mein Gold erwerben,

Ich kaufe gern mein Blut euch ab.
[205]

»Nein, nein, wir laßen dich nicht wandern,

Du wärst ein zu gefährlich Haupt.

Wo blieben wir vor Periandern,

Verriethst du, daß wir dich beraubt?

Uns kann dein Gold nicht frommen,

Wenn wieder heimzukommen

Uns nimmermehr die Furcht erlaubt.« –


Gewährt mir denn noch Eine Bitte,

Gilt, mich zu retten, kein Vertrag;

Daß ich nach Citherspieler-Sitte,

Wie ich gelebet, sterben mag.

Wann ich mein Lied gesungen,

Die Saiten ausgeklungen,

Dann fahre hin des Lebens Tag.


Die Bitte kann sie nicht beschämen,

Sie denken nur an den Gewinn,

Doch solchen Sänger zu vernehmen,

Das reizet ihren wilden Sinn.

»Und wollt ihr ruhig lauschen,

Laßt mich die Kleider tauschen:

Im Schmuck nur reißt Apoll mich hin.« –


Der Jüngling hüllt die schönen Glieder

In Gold und Purpur wunderbar.

Bis auf die Sohlen wallt hernieder

Ein leichter faltiger Talar;

Die Arme zieren Spangen,

Um Hals und Stirn und Wangen

Fliegt duftend das bekränzte Haar.
[206]

Die Cither ruht in seiner Linken,

Die Rechte hält das Elfenbein.

Er scheint erquickt die Luft zu trinken,

Er strahlt im Morgensonnenschein,

Es staunt der Schiffer Bande;

Er schreitet vorn zum Rande,

Und sieht in's blaue Meer hinein.


Er sang: »Gefährtin meiner Stimme!

Komm, folge mir ins Schattenreich!

Ob auch der Höllenhund ergrimme,

Die Macht der Töne zähmt ihn gleich.

Elysiums Heroen,

Dem dunkeln Strom entflohen!

Ihr friedlichen, schon grüß' ich euch!


Doch könnt ihr mich des Grams entbinden?

Ich laße meinen Freund zurück.

Du giengst, Eurydicen zu finden;

Der Hades barg dein süßes Glück.

Da wie ein Traum zerronnen

Was dir dein Lied gewonnen,

Verfluchtest du der Sonne Blick. –


Ich muß hinab, ich will nicht zagen!

Die Götter schauen aus der Höh.

Die ihr mich wehrlos habt erschlagen,

Erblaßet, wenn ich untergeh'!

Den Gast, zu euch gebettet,

Ihr Nereïden, rettet!« –

So sprang er in die tiefe See.
[207]

Ihn decken alsobald die Wogen,

Die sichern Schiffer segeln fort.

Delphine waren nachgezogen,

Als lockte sie ein Zauberwort:

Eh Fluten ihn ersticken,

Beut einer ihm den Rücken

Und trägt ihn sorgsam hin zum Port.


Des Meers verworrenes Gebrause

Ward stummen Fischen nur verliehn;

Doch lockt Musik aus salz'gem Hause

Zu frohen Sprüngen den Delphin.

Sie konnt' ihn oft bestricken,

Mit sehnsuchtsvollen Blicken

Dem falschen Jäger nachzuziehn.


So trägt den Sänger mit Entzücken

Das menschenliebend sinn'ge Thier.

Er schwebt auf dem gewölbten Rücken,

Hält im Triumph der Leier Zier,

Und kleine Wellen springen

Wie nach der Saiten Klingen

Rings in dem blaulichen Revier.


Wo der Delphin sich sein entladen,

Der ihn gerettet uferwärts,

Da wird dereinst an Felsgestaden

Das Wunder aufgestellt in Erz.

Jetzt, da sich jedes trennte

Zu seinem Elemente,

Grüßt ihn Arions volles Herz:
[208]

»Leb' wohl und könnt' ich dich belohnen,

Du treuer, freundlicher Delphin!

Du kannst nur hier, ich dort nur wohnen:

Gemeinschaft ist uns nicht verliehn.

Dich wird auf feuchten Spiegeln

Noch Galatea zügeln,

Du wirst sie stolz und heilig ziehn.« –


Arion eilt nun leicht von hinnen,

Wie einst er in die Fremde fuhr;

Schon glänzen ihm Korinthus Zinnen,

Er wandelt singend durch die Flur.

Mit Lieb' und Lust geboren,

Vergißt er was verloren,

Bleibt ihm der Freund, die Cither nur.


Er tritt hinein: »Vom Wanderleben

Nun ruh' ich, Freund, an deiner Brust.

Die Kunst, die mir ein Gott gegeben,

Sie wurde vieler Tausend Lust.

Zwar falsche Räuber haben

Die wohlerworbnen Gaben;

Doch bin ich mir des Ruhms bewußt.«


Dann spricht er von den Wunderdingen,

Daß Periander staunend horcht.

»Soll Jenen solch ein Raub gelingen?

Ich hätt' umsonst die Macht geborgt.

Die Thäter zu entdecken

Mußt du dich hier verstecken,

So nah'n sie wohl sich unbesorgt.« –
[209]

Und als im Hafen Schiffer kommen,

Bescheidet er sie zu sich her.

»Habt vom Arion ihr vernommen?

Mich kümmert seine Wiederkehr.« –

Wir ließen recht im Glücke

Ihn zu Tarent zurücke. –

Da, siehe! tritt Arion her.


Gehüllt sind seine schönen Glieder

In Gold und Purpur wunderbar.

Bis auf die Sohlen wallt hernieder

Ein leichter, faltiger Talar;

Die Arme zieren Spangen,

Um Hals und Stirn und Wangen

Fliegt duftend das bekränzte Haar.


Die Cither ruht in seiner Linken,

Die Rechte hält das Elfenbein.

Sie müßen ihm zu Füßen sinken,

Es trifft sie wie des Blitzes Schein.

»Ihn wollten wir ermorden;

Er ist zum Gotte worden:

O schläng' uns nur die Erd' hinein!« –


»Er lebet noch, der Töne Meister;

Der Sänger steht in heil'ger Hut.

Ich rufe nicht der Rache Geister,

Arion will nicht euer Blut.

Fern mögt ihr zu Barbaren,

Des Geizes Knechte, fahren;

Nie labe Schönes euren Muth!«

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 203-210.
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