Auf der Richtstätte der Jungfrau von Orleans zu Rouen

[258] Hier schlugen dir die Flammen

Hoch überm Haupt zusammen,

Du heil'ges Heldenweib!

Doch ihrer Lohe Qualmen

Durchwehten Himmelspalmen,

Kühlend den reinen Leib.


Kein Wahn war das Gesichte,

Das einst in innerm Lichte

Dich machte glaubensstark:

Wie 's dich zum Sieg erlesen,

Sollt du im Tod genesen,

Edle Johanna d'Arc!


Mit göttlichem Erbarmen

Und liebend offnen Armen

Lehnt sich Maria hin,

Und Engelsflügel schlagen

Zu ihr empor zu tragen

Die holde Dulderin.
[259]

O falscher Lohn der Erde!

Wer strebt, daß der ihm werde,

Wie trügt ihn seine Wahl!

Die Frankreich hat errettet,

Seht hier sie festgekettet

Am schnöden Marterpfahl.


Zum Dank für hohe Thaten

Vom eignen Volk verrathen

Gespielt in Feindes Hand;

Beschuldigt und gerichtet

Nach dem, was Bosheit dichtet,

In Lügenkunst gewandt.


Dennoch die Magd unschuldig

Blieb standhaft und geduldig,

Erröthend nur der Schmach,

Wie sich von wüsten Rotten

Der Heiland ließ verspotten,

Und betend für sie sprach.


Dieß ist der Arm, der muthig

Das Banner trug, doch blutig

Gefärbet nie das Schwert.

Dieß ist die Brust, das Herze,

So schwellend unterm Erze

Nur keuschen Trieb genährt.


Verflogen nun zu Aschen,

Vom Fluß hinweggewaschen.

Aus diesem Sündenland;[260]

Des hohen Geistes Spuren

Aus den erlös'ten Fluren

Vom Leichtsinn längst verbannt.


Ein Dichter, nein, ein Schmäher

Der frommen Gottesseher,

Verhöhnt das reine Weib:

Die Glorie der Geschichte

Dient euch im Schandgedichte

Zu eklem Zeitvertreib.


Fühllos Geschlecht, vermeßen

In eitelm Selbstvergeßen

Und kalter Schwindelei!

Der Treue fremd, dem Rechte,

Bald Dränger und bald Knechte,

Doch niemals mild' und frei!

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 258-261.
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