Fünfzehntes Kapitel

[122] Florentin war allein geblieben. Er ging auf den Platz im Park: er war leer, die Leute waren hinausgegangen auf den Weg zur Kirche, dort wollten sie, in zwo Reihen geordnet, die herrschaftlichen Wagen durchfahren lassen. Er ging verdrüßlich ins Schloß zurück. Auf Gängen und Treppen war alles voller Tumult und Gedränge von wichtig tuenden, mit nichts lärmend beschäftigten Menschen. Allenthalben begegneten ihm fremde Gesichter. Unmutig floh er auf sein Zimmer. Das Gerassel der Wagen zog ihn ans Fenster. Eine lange Reihe von vier- bis sechsspännigen Equipagen, mit goldbedeckten Lakaien behangen, leerte sich, eine nach der andern. Unerträgliche Figuren wurden maschinenmäßig aus dem glänzenden Kasten gehoben, und ins Schloß gefördert. Florentin schauderte bei dem Anblick. Endlich ward er von den prächtigen Kleidungen erinnert, daß er sich wohl auch noch anders anziehen müsse, und nun fiel es ihm erst ein, daß ihm die wesentlichen Stücke zum gehörigen Anzug mangelten. Halb verlegen, halb lustig, war er noch unschlüssig, was er zu tun habe, als ihn ein Bedienter zu Julianen rief. Er fand sie in ihrem Zimmer völlig angekleidet.

»Kommen Sie her, Florentin«, rief sie ihm entgegen, »ich will nicht allein bleiben. Haben Sie die Mutter nicht gesehen? Ist Eduard nicht bei Ihnen? Es kömmt auch kein Mensch zu mir. Aber wie Sie mich[122] anstaunen! Nicht wahr, es kleidet mich nicht?« – Sie war mit fürstlicher Pracht gekleidet. Sie blitzte und funkelte vom köstlichen Geschmeide und reicher Stickerei. An der Stelle des frischen Morgenkranzes war eine kleine Krone von Juwelen gesetzt, die Arme und der freie Hals waren mit den auserlesensten Perlenschnüren geschmückt, und diesen angemessen schimmerte der übrige dazugehörige Schmuck.

»Wundert Sie mein Erstaunen?« fragte Florentin, »Sie sind blendend, Juliane!« – »Aber ich gefalle Ihnen nicht, nicht wahr?« – »Ich suche vergebens den leichtfüßigen schalkhaften Knaben im Walde; wo ist die gedemütigte Übermütige hin, im geliehenen Wams und kurzen Rock? Wo sind die Umrisse der gewohnten Gestalt vom heutigen schönen Morgen?« – »Ich glaube es Ihnen gern«, sagte Juliane. »Der Himmel behüte mich auch vor einer Existenz, wo ich oft so gekleidet sein müßte; ich glaube, am Ende könnte man das Lachen dabei verlernen.« – »Ja, es mag wohl ernsthaft machen, aber was zwingt Sie dazu?« – »Wir haben herzlich gewünscht, diesen Tag mit Festen ganz anderer Art zu begehen; aber Sie wissen, der Vater läßt nicht leicht eine alte Sitte abändern; um ihm nun seine Freude auf keine Weise zu stören... wären nur erst diese Tage vorüber!« – »Sie werden durch sie auf alle künftige glücklich!« – »O über alles glücklich werde ich sein! Ohne diese Hoffnung müßte ich der glänzenden Last erliegen. Es ist schön von Ihnen, daß Sie meine augenblickliche schlechte Laune durch diese Erinnerung verscheuchten. Wie man doch oft so undankbar sein kann!« – »Üble Laune ist freilich am ersten dazu aufgelegt.« – »Lieber Florentin, Sie müssen ein Andenken von mir nehmen, um sich dieser Stunde und meines Glücks zu erinnern.« – Sie suchte einen Augenblick unschlüssig in einigen Schubladen. – »Nehmen Sie diese Brieftasche, die Stickerei darauf ist von mir, dies mag ihr einigen Wert in Ihren Augen verleihen.« – Er kniete nieder vor ihr und küßte ihre Hand: »– So empfange ich den Dank aus Euren Händen, schöne Jungfrau; wäre mir doch der erste Dank bestimmt, so dürfte ich ihn von den holden Lippen einsammeln!« – Die Tür ward geöffnet, Eduard trat herein, Florentin stand auf. – »Was hast du vor, Florentin?« – »Anbetung, mein Freund!« – »Tolle Possen! und noch nicht anders gekleidet? Fort, fort, es kömmt Gesellschaft.« –

Florentin ging hinaus. Auf der Treppe begegnete ihm der Jockei, der ihn noch vom ersten Augenblick an, da er ihn im Walde gesehen, zugetan war. – »Sattle mir gleich den Schimmel, mein guter Heinrich«, sagte er ihm leise, »reite ihn durch das Hintertor hin aus vor das Dorf,[123] und erwarte mich dort, daß dich aber niemand sieht; sage es auch niemanden! Hörst du?« – »Verlassen Sie sich auf mich.« – Er sprang fort; Florentin ging wieder auf sein Zimmer. – »Du hältst es nicht aus«, rief er unmutig; »was soll dir das widersinnige Wesen? Immer wieder die alte Weise: wieder einige bessere Menschen, die vom Haufen der Gewöhnlichen bestimmt werden! Halte es nicht aus!... aber die wenigen Stunden noch; es ist kindische Ungeduld,... nicht einen Augenblick will ich mir selbst zur Last sein... Was werden sie aber dabei denken?... Gut gefragt, wer steht mir in irgendeinem Falle für die Gedanken der Menschen?... Es ist aber ungesittet, wenn ich gehe... es ist aber unwürdig, wenn ich bleibe. Eduard! wirst du mich verstehen? wirst du dein schwankendes, zweifelndes Gemüt bald beruhigen können?... Wie hat sich aber auch die Szene verändert! Wie sind die lieblichen Farben der Morgenröte hingeschwunden, und haben dem lärmenden Tage Platz gemacht! Wie werden vom schweren Geschütz der Konventionen deine zarten Freuden zertrümmert, göttliche Liebe! Alles ist zerstört! Julianens holde Gestalt durch ein Gewicht angefesselt, verzerrt; das eigne, schöne, bewegliche Leben von versteinertem Kristall umstarrt. Eduard! was will der blasse Mondschimmer der heimlichen Kränkung auf deinem Gesicht, worauf der Sonnenschein der glücklichen Liebe sonst glänzte? O es ist wahr, daß Friede und Freude bald entfliehen, wo ich verweile. Fort will ich, fort muß ich! Alles wird bald gut werden für dich, Eduard. Nur der Verbannte wird oft seine Arme umsonst nach einem Freunde ausstrecken, und sie ohne Trost wieder sinken lassen. Aber fort, fort; allein will ich den Fluch tragen, der über mich verhängt ist!« –

Während diesen bald hastigen, bald zögernden Worten war er, indem er sich zu gleicher Zeit zur Reise anschickte, im Zimmer unruhig auf und ab gegangen. Jetzt war er ganz reisefertig und stand in der geöffneten Tür, den Hut in der Hand; er besann sich, es war ihm, als müßte er Abschied nehmen. Zu Eleonoren will ich noch einmal gehen, dachte er, ich finde sie vielleicht noch allein. –

Eleonore war mit ihrem Putze ganz fertig, und siegelte eben den Brief an Clementinen, um ihn noch fortzuschicken. – »Mich dünkt, es ist jemand im kleinen Korridor«, sagte sie zur Kammerfrau, »sieh zu.« – Florentin ward ihr gemeldet, und trat gleich darauf selbst hinein. – »Was ist das?« rief die Gräfin; »Stiefel? Sporen? Was wollen Sie in diesem Aufzuge?« – »Geben Sie mir Ihren Segen, teuerste Gräfin, ich will fort! « – »Träumen Sie? oder träume ich? Ich verstehe Sie nicht.« »Gütige[124] Eleonore, fragen Sie nicht, Ihre segnende Hand lassen Sie mich zum Abschied küssen.« – »Was ist Ihnen, um Himmels willen, was ist Ihnen widerfahren? Wo wollen Sie hin?« – Die Kammerfrau kam wieder hinein: »Gnädige Gräfin werden erwartet, es ist geschickt worden.« – »Den Augenblick! Florentin, Sie dürfen nicht so rätselhaft sein, was wird mein Gemahl sagen?« – »Ihnen überlasse ich meine Verteidigung, Eleonore, und deswegen komme ich eigentlich zu Ihnen, leben Sie wohl, ich darf Sie nicht länger aufhalten.« – »Aber wo wollen Sie hin? Wir sehen Sie doch wieder?« – »Soll ich einst noch so glücklich sein? Der Ort, wohin ich gleich zuerst komme, ist Ihnen bekannt.« – »Mein Gott! freilich, Sie reisen zu Clementinen. Wollen Sie uns dort erwarten? Sobald es hier wieder ruhig ist, werden wir zu ihr reisen.« – Florentin verbeugte sich: »Geben Sie mir irgendein Zeichen für die Gräfin Clementina mit, das mich ihr empfiehlt.« – »Hier nehmen Sie diesen Brief, ich hätte nicht gedacht, daß er durch Sie würde bestellt werden, Ihrer ist nicht darin erwähnt, aber Sie sind ihr sonst schon bekannt. Sie dürfen nur Ihren Namen nennen.« – »Gnädige Gräfin!« rief die Kammerfrau wieder. – »Leben Sie denn wohl, Florentin, auf Wiedersehen!« – »Leben Sie wohl, Eleonore, Ihnen trage ich es auf, Eduard zu beruhigen, und mein Andenken bei Julianen zu erhalten!« – »Wie, diese wissen nicht?« – Florentin war wieder zur kleinen Tür hinaus, ohne weiter zu hören, oder zu antworten. Die Kammerfrau schloß hinter ihm zu; in dem Augenblick führte von der andern Seite der Graf einige Damen herein.

Florentin ging durch den Park, wo er hoffen durfte, niemandem zu begegnen, und sofort zum Dorfe hin, wo er Heinrich, mit dem Schimmel ihn erwartend, fand. Er nahm Abschied von dem Knaben, drückte ihm eine Belohnung für seinen Diensteifer in die Hand, setzte sich auf den getreuen Schimmel, und fort sprengte er im Galopp, ohne sich umzusehen. Heinrich sah ihm noch nach, als er ihn plötzlich stillhalten und das Pferd herumwenden sah; er kam wieder zurück. – »Warte noch einen Augenblick«, rief er ihm zu. Heinrich trat hinzu und hielt das Pferd; Florentin zog seine Schreibtafel heraus, und schrieb mit Bleistift auf ein Blatt: »Des Schicksals Schläge stählen und geben Kraft sich aufzurichten, indem sie niederbeugen; aber der Menschen kleinliche Mißverhältnisse und Mißverständnisse zerstören grausam das Gemüt. Ich segne meinen Eintritt in Euren Kreis, aber ich gehe, damit ihn niemand verwünsche! Lebe wohl, Eduard, gedenke meiner. –[125] Juliane, wer Sie sieht, wird Sie kennen; wer Sie kennt, muß Sie lieben; wer Sie liebt, kann nie aufhören. Bleiben Sie glücklich!

Florentin.«


»Gib es an Eduard von Usingen, guter Heinrich, aber gib es ihm allein. Und nun Adieu.« – Er ritt langsam fort. Er hatte beschlossen, die Nacht in der bekannten Mühle zu bleiben, und mit Tagesanbruch vollends zur Stadt zu reiten.

Quelle:
Dorothea Schlegel: Florentin. Berlin 1987, S. 122-126.
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