Fünfte Szene.


[68] Ein Wald; im Hintergrunde die Burg Alarcos.

Don Alvaro. Alarcos.


ALVARO.

Der Abend naht, der Wald wird immer dunkler,

Im Mond erscheinen dort schon deine Burgen.

Zum König eil' ich nun zurück im Fluge,

Das Unheil abzuwehren, was im Sturme

Dort etwa blinde Leidenschaft versuchte,

Mit weiser Überredung goldner Zunge,

Die schnell oft wiederbringt die milde Ruhe,

Wo Zorn und Liebe wild bewegt den Busen.

Ich lasse dich ansetzt mit sicherm Mute,

Weil ich so stark entschlossen dich gefunden.

Wie wird die Fürstin freun sich dieser Kunde,

Daß sie vertrauen dürfe deinem Schwure,

Und Hoffnung in das Herz nun wieder rufen,

Das liebend in Verzweiflung oft geblutet.

ALARCOS.

Ich hab' als rechten Freund dich stets erfunden,

So klug als gutgesinnt, im Sturm auch ruhig.[68]

ALVARO.

So lerne du von mir denn diese Klugheit,

Wie ich mich deiner Kühnheit nachgeschwungen.

Verschmäh' nicht, was so leicht, im Übermute.

Du stehst im hellen Glanz des höchsten Ruhmes,

Den schnell ein einz'ger kleiner Fleck verdunkelt.

O daß man nicht einst sagt aus einem Munde:

Es fehlt ihm nur an dieser einen Tugend,

Daß er sich selber hätte überwunden!

Ja, handle mäßig, schonend und mit Ruhe;

Behutsamkeit heilt oft die schlimmste Wunde.

Es gibt der Dinge, die das Schwert nicht dulden,

Und manches was er tat, weil er es mußte,

Hüllt der Verständ'ge in ein weises Dunkel.

Vorsicht hat nie ein Unheil noch verschuldet.

Nun lebe wohl, und nimm in diesem Kusse

Der Liebe Pfand! – Noch einmal sei umschlungen

Von deinem treusten Freunde, Diener, Bruder.


Alvaro geht ab.


ALARCOS.

Ja geh nur hin! – So milde wie du klüglich denkst,

Wird dieses große Unheil wahrlich nicht geschehn.

Dein Herz hat nie der Liebe Flammensturm bewegt;

Drum ist die hohe Ehre dir ein kalt Gesetz;

Und große Tat dir, so wie groß Verbrechen, fremd.

Ruhm, Liebe, Glorie, Lust sind mir des Lebens Herz,

Wo hoch in Flammen all die Kraft vereinigt brennt;

So lichter Fackel folgend, hab' ich stets gelebt,

Fortan auch mutig will ich vorwärts ferner gehn,

In Sturm mich selber reißend, achten keinen Schmerz,

Ging auch durch Höll' und Pein und Blut der dunkle Weg!

Des Todes Grimm quillt plötzlich aus der höchsten Lust,

Schnell färbt sich rosenlichte Liebe oft in Blut,

Und Leichen häuft auf Leichen zorn'ge Ehr' in Wut.[69]

Denn schrecklich rächt oft Ehre noch so kleine Schuld,

Und muß sie uneins zürnen gar dem eignen Tun,

Reißt unaufhaltsam wachsend alles fort der Fluch,

Macht in Verwüstung ihre Allmacht greulich kund.

Wie meine Burg dort glänzend glorreich oben thront,

Der Väter Denkmal, sonst Alarcos hoher Stolz,

Die nun als Wohnsitz grausen Unheils mich bedroht!

Vielleicht daß Donna Clara jetzt um mich besorgt,

Auf jeden Fußtritt merkend, sorgsam leise horcht,

Mit stiller Sehnsucht auf die Rückkehr dessen hofft,

Der heimlich hingab ihrem Feind sein eisern Wort,

Der eignen Brust ein ewig schneidendscharfer Dolch.

Bald öffnet nun die hohen Pforten dort das Schloß,

Mit freud'gem Blick tritt Clara mir entgegen schon;

Doch Gruß und Freude geben dem wohl keinen Trost,

Der nichts mehr denkt und glaubt und sieht als bittern Tod.

So ich verstummt nur tiefer, schweige immer noch,

Bis einsam nächtlich alles still im ganzen Schloß.

Da bricht der Schmerz aus tiefem Herzen endlich los;

»Wie traurig, unglücksel'ge Gräfin, ist dein Los!

Wie bitter ist dein Schicksal, fern von allem Trost!'« –

»Nein! glücklich, spricht sie, freudenreich ist wohl mein Los,

Weil du zur glücklichen Genossin mich erkorst.« –

»Das eben, Gräfin, raubt dir wahrlich allen Trost.«

Und wie den Lippen diese herbe Red' entflohn,

Da hält dann länger nicht der Schmerz, und sieh, es sproßt

Aus vollen Augen zwiefach mir der heiße Strom.

O weh, es schwillt das Auge wahrer Tränen voll,

Indes ich so in Träum' und Mitleid mich verlor;

Schmerzübermannt fließt unaufhaltsam fort der Strom

Der bittern Zähren aus des Herzens vollem Born.


Er weint.


Wohlan, Alarcos, mutig nun der Burg genaht!

Und wie dein Wort du rasch entschlossen zweimal gabst,

So schreite jetzt auch mutig rasch zur dunkeln Tat.[70]

Ich nahe dir, o Burg, mit innerm Grausen.

Die Mauern sehn mich an wie Grabessteine,

Die hohen Fenster mit trübsel'gem Scheine:

Es ist, als könnte da nur Unheil hausen.

Und wie im Wind die alten Eichen sausen,

Mehrt sich die Angst; ich sehe mich alleine,

Die Schrecken alle drohend im Vereine,

Und höre dumpf die Hölle unten brausen.

Es ziehn herbei die schwarzen Geisterhorden,

Hohnlachend, daß sie bald in Blut sich laben,

Seh ich sie all' auf mich die Blicke richten;

Im Wahnsinn will ich alles dann vernichten,

Den Leib im Schutt der eignen Burg begraben,

Und grausam selbst das treue Weib ermorden.


Er geht auf die Burg zu.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 68-71.
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