Der heilige Dulder

[402] 1811


Es ist ein Kämpfer mir bekannt,

Der nie hat Blut vergossen;

Fromm ist er und ein Hirt genannt,

Nur Segen kommt von seiner Hand

Und himmlisch Heil geflossen.


Dem Geier, der die Lüfte mißt,

Er hat ihm widerstanden;

Er kennt des Tigers blut'ge List,

Den Drachen, der im Abgrund ist,

Frei wandelt er in Banden.


Hatt' ihn des Argen Trug betört,

Verbergend seine Werke;

Schnell hat er sich von dem gekehrt,

Seitdem ist ihm die Kraft gemehrt,

Daß er die Brüder stärke.


Die Herrscher schimmern sonder Zahl

Mit Stolz auf ihren Thronen;

Doch faßt sie grimme Todesqual,

Sie müssen fort zum grausen Mahl,

Zerbrochen sind die Kronen.


Im Schlaf begraben liegt die Welt,

Und unten braust die Hölle;

Im Himmel ist des Hirten Zelt,

Den keine ird'sche Fessel hält,

Er eilt hinauf zur Stelle.[402]


Geheiligt und verklärt schon hier

Schwebt er hinauf zum Lichte;

Sein Blut weiht er Erlöser, Dir!

Er sieht des Himmels Liebeszier

In göttlichem Gesichte.


Ihn hindert nicht des Feindes Hohn

Im Glauben sich zu gürten.

Er ist's, des Lichtes wahrer Sohn,

Werft Herrscher! euch von eurem Thron

Zu beten vor dem Hirten.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 402-403.
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