Sieg und Kampf der leidenden Seele

[499] Wohl schneidet an der wunden Stelle

Am tiefsten ein des Lebens Schmerz.

Starrend am innern Tränenquelle

Löst sich in Klagen auf das Herz.

Gekränkt von Kummer, bittern Sorgen

Erneut die Last sich jeden Morgen,

Und drückt die Seele niederwärts.


Da blitzt ein Glanz herab von oben,

Durchleuchtend tief der Seele Grund;

Zum Himmel hell hinauf gehoben,

Wird ihr der Morgenstern nun kund.

O könnte wer im Lichte leben,

Dem Kerker würd' er bald entschweben,

Noch sterbend jubelte sein Mund.


Herabgestürzt zur Erde wieder,

Fällt neue Qual die Seele an;

Verfolgung wirft sie wütend nieder,

Was nur die Höll' ersinnen kann.

Gefesselt an dem Schmerzenbette,

Erliegt sie solcher Leidenkette;

Es blickt der Feind sie drohend an.


Da treten freundlich Lichtgestalten

Im Dunkel trostvoll zu ihr hin.

Wie Geister liebend um sie walten,

Fühlt sie nun klar im hellen Sinn.

Das Auge mitleidsvoll befeuchtet,

Vom reinsten Lilienglanz umleuchtet,

Winkt ihr des Himmels Königin.


In Nacht ist schnell der Trost verschwunden,

Angstvoll fühlt sich die Seel' allein.

Da wird kein Rat noch Licht gefunden,

Durchbohrt das innerste Gebein.

Verhöhnt, zerrissen, ganz zertreten,

Im Innern ohne Mut zu beten;

Soll sie, o Gott, verlassen sein![500]


Noch einmal schlägt, ihr Himmelsgeister!

Um Rettung sie den Blick hinauf.

Und vor ihr steht ihr Gott und Meister,

Und schließt ihr alle Wahrheit auf.

Er zeigt ihr blutend seine Hände;

»Die Wunder, die ich jetzt dir sende,

Leuchten dir vor im Erdenlauf!«


Dann lehrt er selbst das Kreuz sie tragen,

Und allen Feinden gern verzeihn;

Wie darf der Mensch noch bitter klagen,

Mit Gott im seligsten Verein?

Des innern Wortes Licht und Segen

Ist wie ein Stab auf dunkeln Wegen,

Und macht der Seele süß die Pein.


Er drückt ihr auf die Dornenkrone,

Als seiner Leiden höchstes Ziel;

Die leuchtet jetzt am Gnadenthrone

Unter der ew'gen Harfe Spiel.

Er warnt die Seele vor dem Feinde;

So wie ein Freund spricht mit dem Freunde,

Sagt ihr geheimer Worte viel.


Erstarkt in seinem Liebesschmerzen

Durchkämpft sie duldend ihre Zeit;

Er wohnt nun in dem reinen Herzen,

Bis er sie krönend ganz befreit. –

»Ich werde fortan bei dir bleiben,

Dir in die Brust ein Zeichen schreiben,

Das leuchtet dir in Ewigkeit.« –


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 499-501.
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