Fünfzehnte Romanze

[145] Als die Toten nun bestattet

Sind nach dem Gebrauch der Christen,

In die Gruft hinabgesenket,

Mit Gebet und schönen Liedern,

Zu der frommen Kämpfer Ruhe

Manches Grab kunstreich gezieret;

Kaiser Karol mit dem Heere

Heimwärts nach Paris hinziehet.

Heil'ge Männer und Bischöfe

Hat er dorten hinbeschieden,

Nach des Dionysii Münster,

Kund zu machen seinen Willen.

Gotte dankend, der ihn schirmte,

Gnädig oft ihm half zu siegen,

Dann auch betend für die Seelen,

Die in Roncisvall geblieben,

Und der andren Märtrer alle

In den spanischen Gefilden,

Gibt und schenkt für ew'ge Zeiten

Reiche Gaben er der Kirche,

Die dem Sankt Denis gestiftet,

Hohes Gut und Gold und Silber,

Land und Leute, viele Rechte,

Daß der Heil'ge künftig schirmen

Wolle bis auf ew'ge Zeiten,

Alle, die dereinstens sitzen

Werden auf dem goldnen Stuhle

Dieses Reiches, daß im Kriege

Frankreich stets beschirm' und schütze

So der Heil'ge, wie im Frieden;

Tritt dann zu Denisens Leiche,

Sein Gebet gen Himmel richtend,

An dem offnen Sarge kniend,[145]

Daß der Heil'ge wolle bitten

Für die teuern Kriegsgenossen,

Die den Märtertod erlitten,

Daß, der Schulden losgesprochen,

Ihre Seele ruh' in Frieden.

In der Nacht nach diesem Tage

Ist Sankt Dionys erschienen,

Kaiser Karlen angelobend,

Daß auf sein Vorwort und Bitte

Aller Schulden sind entledigt

Jene frommen Glaubensritter,

Die für Gottes Ehre streitend,

In dem Heidenkriege fielen.

Auch für jene, welche willig

Fromme Gaben werden stiften,

Daß der Bau des schönen Münsters

Sei vollendet, will er bitten. –

Drauf nach Aachen über Lüttich

Karol seinen Weg hinrichtet,

Sich in linder Quelle Fluten,

Nach der Arbeit zu erquicken,

Sankt Marien schönes Münster,

Das er hatte da gestiftet,

Hat er reich mit Gold und Silber

Und mit heil'ger Kunst gezieret,

Ließ mit Fleiß da sorglich malen

Alle heiligen Geschichten.

Auch auf gleiche schöne Weise

Ward die Kaiserburg gezieret,

Die er dicht am hohen Münster

Sich zur Freude aufgerichtet;

Denn da sah man jene Schlachten

Alle wundersam geschildert,

Die in Spanien sind gefochten,

Wo die Heiden sie besiegten;

Auch die sieben freien Künste,

Die der Weisheit Kreis umschließen,

Sah man da nach ihren Zeichen,

Durch der Meister Kunst gebildet.

Als das Jahr achthundert vierzehn

Man nun zählte bei den Christen,

Sah man wundersame Zeichen,

Die auf Karles Tod hinzielten.[146]

Sonn' und Mond hat bei sechs Tagen

Schwärzlich leuchtend nur geschienen,

Auch die Worte »Kaiser Karol«,

Die zur Inschrift dort geschrieben

Standen an der Wand der Kirche,

Sah man plötzlich einst verschwinden.

Einstmals ward es auf der Reise

Dunkel um ihn her und finster,

Ganz des Tages Licht verschwunden;

Von der Rechten fährt zur Linken

Eine große Feuerkugel,

Daß erschrocken von dem Lichte,

Ab dem Rosse er gesunken,

Und der Bogen, den er hielte,

In dem Schrecken, in dem Taumel,

Nach der andern Seite fiele.

Seine Kriegsgenossen eilten

Ihn vom Boden aufzurichten;

Ruhig ist er bald entschlafen,

Noch manch' milde Gabe stiftend,

Für die Armen, für die Klöster,

Gibt er vieles Gold und Silber,

Daß für seine Kriegsgenossen

Und sein eigen Heil sie bitten.

Ruhig in dem Herrn entschlief er,

Zu empfah'n den Lohn des Himmels;

Seine Seele ruh' in Frieden.

Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 145-147.
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