Das Alte und das Neue

[341] Dieser folgt des Neuen Schein,

Jener lobt das Alt' allein;

Irdisch wirrt sich mehr die Zeit

Durch der Zeiten Widerstreit.

Eines doch ist mir erkannt,

Ewig jung mit Recht genannt;

Alter Sehnsucht tiefes Lied,[341]

Was durch alle Herzen zieht;

Neu stets grünt des Lebens Baum,

Himmels Füll' in lichtem Raum,

Garten Gottes, der einst blüht,

Wenn das Irdische versprüht,

Immer neu wächst die Gewalt,

Und quillt dennoch ewig alt.

Wen das Band der Lieb' umflicht,

Wer als Kind zum Vater spricht,

Aufgenommen in das Licht,

Fragt nach Alt' und Neuem nicht.

Fragt ihr aber nach der Zeit,

Wo der Mensch also gedacht,

Sich in Demut dargebracht,

O wie liegt sie jetzt uns weit!

Und sie war doch einst, die Zeit.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 341-342.
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