10. Der Jäger und das Echo

[455] In Hitze, in Kält',

Im offenen Feld,

Im düsteren Wald

Mein Jagdhorn erschallt.

Mit Kummer und Plage

Dem Wild ich nachjage,

Und bleibe dabei

Diana dir treu.

Reu!


Wer spricht hier von Reu?

Ich sage es frei,

Es findet das Herz

Wohl Freude im Schmerz;

Wie soll in den Wäldern

Auf lustigen Feldern

Die Freude nicht sein?

Sprich Ja oder Nein.

Nein!


Wer ist, der die Jagd

So trotzig veracht?

Sag' Echo, sag' an,

Bist du es etwann?

Geschwätzige Nymphe

Flieh weiter und schimpfe;

Unsichtbare Eul'

Nicht länger verweil.

Eil!


O Göttin verweile,

Wohin soll ich eilen?

Ist etwa ein Wild,

Worauf ich gezielt?

Ich seh' nichts dergleichen,

So weit ich kann reichen,

Sprich, Göttin, ein Wort,

Ist's hier oder dort?[455]

Dort!


Dort seh' ich ein' Hütt',

Was willst du damit?

Ich folg' deinem Sinn,

Ich gehe dahin.

Ein Kindlein ich finde

Beim Esel, beim Rinde,

In Jammer und Not,

Was ist das mein Gott?

Gott!


Ja wohl, ich das Kind

Auch göttergleich find';

Sein himmlischer Glanz

Bewähret es ganz.

Was mag dich wohl zwingen

So elender Dingen,

Daß dir in der Kripp'

Zu liegen belieb?

Lieb!


O himmlischer Trieb

Der göttlichen Lieb!

Hat denn deine Macht

Zum Mensch' dich gemacht,

Die Welt zu entbinden

Vom Bande der Sünden?

Was gibt dieser Lieb'

Die Erde zu lieb?

Lieb!


All Liebe dir weicht,

Der deinen nicht gleicht,

Und nimmer auf Erd'

Wird Dank dir gewährt.

Der Schöpfer der Erden

Zum Knechte will werden

In der Sterblichkeit,

In Jammer und Leid.

Leid!


Ich hab' es gehört,

Mein Schöpfer begehrt

Nur Lieb' und Geduld[456]

Für all seine Huld.

Nun soll mich nichts scheiden

Von Lieben, von Leiden,

O daß ich nur möcht'

Dich lieben so recht.

Recht!


Nun höchste Gewalt,

In Kindes Gestalt,

Nimm Herze und Sinn

Zum Opfer dir hin.

Nimm hin all' mein Wesen,

Du willst mich erlösen,

Was immer war mein,

Sei zwiefach jetzt dein.

Dein!


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 455-457.
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