3. Bild des Menschlichen Lebens

[441] Ich neulich früh am Morgen,

Zu edler Frühlingszeit,

War losgemacht von Sorgen,

Von aller Last befreit;

Da sah ich in dem Garten

Erblüht ein Blümlein zart,

Das wollt' ich gerne warten,

Bis es vollkommen ward.


Die Morgenröt' verschwunde,

Weil ihren Purpurschein

Der helle Tag umwunde

Mit großer Klarheit sein.

Die Sonn' mit sanften Strahlen

Das Blümlein übergoß,

All' Blättlein sie tät malen,

Tief in den Blütenschoß.


Nun es gar lieblich blickte,

Und süß Geruch ausstreut,

Die Leiden es erquickte,

Die Sterbenden erfreut.

Ein Lüftlein lind von Atem

Rührt an das Blümelein,

Da schwebts wie an dem Faden

Gebundnes Vögelein.


Auf feinem Stiel im Mute

Sich wendt' es hin und her,

Voll Kraft und Lebensblute

Als käm' der Tod nie mehr.

O Blümlein schön ohn' Maßen[441]

Bist du in deiner Zier;

Will nun von dir nicht lassen

Bis auf den Abend hier.


Ei, wer mag dann aussprechen

Dein Schön und Lieblichkeit;

In dir weiß kein Gebrechen,

Bist voller Zierlichkeit.

Ja Salomon, der mächtig,

War nicht so schön bekleid't,

Wann er schon leuchtet prächtig

In Pomp und Herrlichkeit.


Um dich die Bienlein summen

Und Honig sammeln ein,

Zu saugen sie da kummen

Dein' zarte Wängelein.

Der Menschen Kind imgleichen

Mit Lust dich schauen an;

All' Schönheit muß dir weichen,

Dein freut sich jedermann.


Wohl magst du nun stolzieren.

Du Gartensternelein,

Mußt endlich doch verlieren

All' dein gefärbten Schein;

Zu bald wirst dich entfärben,

Gestalt wird reißen ab;

Noch heute mußt du sterben,

Denk zeitlich nur zum Grab.


Ich zwar will dich nicht brechen,

Von mir wird's nicht geschehn,

Die Sonne wird dich stechen,

Wirst nicht mehr lange stehn.

Ach, halt, soll's dann schon werden? –

Verdoppelt schießt den Strahl

Die Sonne her zur Erden

All' Glut und Feuers Qual.


Ach was will nun beginnen

So zartes Gartenblut,

Die Blättlein gar entrinnen

Von heißer Sonnenglut.

Da neigt es sich zur Stunde,[442]

Das jetzt noch aufrecht stunde

Verwelkt und sinket hin,

Mit also stolzem Sinn.


Das Blümlein jung an Tagen,

Sein Häuptlein niedersenkt,

Ach, ach, sollt' ich nicht klagen,

Was mich im Herzen kränkt.

O weh der kurzen Stunden,

O weh, da schläft es ein,

Jetzt liegt es überwunden

Mein zartes Blümelein.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 441-443.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon